Gesundheitswesen 2009; 71 - A131
DOI: 10.1055/s-0029-1239181

Ist der Verlauf geistiger Fitness im Ruhestand statusabhängig? Ein Beitrag zu sozialen Ungleichheiten in Lebenslauf und Alter

B Müller 1, U Hollneck 1, P Kropp 1
  • 1Institut für Medizinische Psychologie, Universität Rostock

Einleitung: Eingebettet in die Diskussion über die Veränderung von Struktur und Wirksamkeit sozialer Ungleichheiten im Laufe des Alterungsprozesses wird im Beitrag mit der Analyse kognitiver Fähigkeiten ein aus sozialstruktureller Perspektive eher vernachlässigter Aspekt aufgegriffen. Das geistige Potenzial im Alter kann dabei sowohl als Resultat lebenszeitlicher Entwicklung als auch als Voraussetzung zur aktiven Gestaltung des Alterns begriffen werden. Untersucht wird die Frage nach den Verläufen kognitiver Fähigkeiten bei unterschiedlichen Bildungshintergründen im höheren Lebensalter.

Methode: Die empirische Basis bilden Daten aus der „Interdisziplinären Längsschnitt-Studie des Erwachsenenalters“ (ILSE). Berücksichtigt wurden die Datensätze von n=177Männern der Geburtskohorte 1930–32 über drei Messzeitpunkte (t1=1994; t2=1998, t3=2006) aus Heidelberg, Leipzig und Rostock. Die Analyse der kognitiven Fähigkeiten erfolgte über Tests zur fluiden und kristallinen Intelligenz, Verarbeitungsgeschwindigkeit, Aufmerksamkeit/Konzentration und zu Gedächtnisleitungen. Als Statusmerkmal wurde die Bildung, speziell der Berufsabschluss, in die Analyse einbezogen. Allgemeine lineare Modelle mit Messwiederholung wurden angewandt.

Ergebnisse: In keinem der analysierten Tests zeigt sich ein Einfluss des Faktors Bildung auf den Verlauf der jeweiligen kognitiven Leistung im Beobachtungszeitraum von 12 Jahren. Probanden mit einem höheren Bildungsstatus haben zwar zu allen drei Messzeitpunkten in allen Tests höhere Leistungen als jene mit einem niedrigeren Status, aber die Unterschiede zwischen ihnen bleiben im beobachteten Altersverlauf konstant.

Diskussion: Das Ergebnis der Alterskonstanz des Einflussfaktors Bildung auf geistige Ressourcen lässt sich im Sinne der Kontinuitätsthese interpretieren: die kognitiven Ressourcen und die sich daraus ergebenden Bewertungen, Einstellungen, Zufriedenheiten und Handlungsspielräume strukturieren sich auch im Alter entlang sozialstruktureller Merkmale. Ähnliche Befunde zeigen sich in den längsschnittlichen Untersuchungen von Gribbin, Schaie & Parham 1980 und Siegler 1983, denen zufolge Personen mit hoher kognitiver Leistungsfähigkeit dasselbe Ausmaß an negativen Altersdifferenzen aufweisen wie Personen mit niedriger Leistungsfähigkeit.