Psychiatr Prax 2009; 36(7): 353-354
DOI: 10.1055/s-0029-1242054
Serie ˙ Szene ˙ Media Screen
Media Screen
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Frankenstein und Belle de Jour

Further Information

Publication History

Publication Date:
01 October 2009 (online)

 

Zweifellos vermag das Kino als Medium Phänomene wie psychische Störungen in einem Ausmaß anschaulich zu vermitteln, wie dies mit einem Text selten oder dann nur unter großem Aufwand für den Schreibenden und Lesenden möglich ist. Selbstverständlich vermag nichts die klinische Erfahrung oder die eigene Betroffenheit als Angehöriger Psychischkranker zu ersetzen. Jedenfalls macht der Rezensent als forensisch psychiatrischer Experte immer wieder die Erfahrung, dass sich die Richter zwar den "einleuchtenden" Schlussausführungen anschließen, ohne letzten Endes den Unterschied z.B. zwischen einer Psychose und Persönlichkeitsstörung wirklich begriffen zu haben.

Die Herausgeber des Bandes "Frankenstein und Belle de Jour - 30 Filmcharaktere und ihre psychischen Störungen", der Psychiater und Psychoanalytiker Stephan Doering und die Psychologin, Philosophin und Soziologin Heidi Möller haben den Band "einerseits aus der Lust am Kino" herausgegeben, anderseits würden aber auch vermehrt Filmausschnitte in der ärztlichen, psychologischen und psychotherapeutischen Ausbildung eingesetzt. Die Tatsache, dass die 37 von ihnen angeschriebenen Autoren ihre Beiträge in Rekordzeit erstattet hätten, zeige, welche Leidenschaft und Freude das Kino zu vermitteln vermöge.

Die 7 Hauptkapitel des Bandes entsprechen den Hauptkapiteln F1-F6 und F9 der ICD-10. In der Gestaltung der Kapitel haben die Autoren unterschiedlich vorgenommen; entweder erfolgt eine Schilderung des Filmes, die diagnostische Einschätzung des Hauptprotagonisten entsprechend der Kriterien der ICD-10 und eine anschließende Diskussion; andere Autoren ziehen es vor, den Beginn des Kapitels zunächst dem Krankheitsbild zu widmen, um dann den Film zu schildern und diesen in den Kontext der Störung stellen.

Der Rezensent selbst war als Gymnasiast begeisterter Kinogänger und Mitglied eines Filmclubs; im Laufe der Jahre hat sich die Frequenz seiner Kinobesuche von 4-mal pro Woche auf 1-mal pro Monat verringert. Es sind ihm ziemlich genau die Hälfte der im Buch vorgestellten Filme persönlich bekannt, was ihn für diese Rezension qualifiziert, ist doch erklärte Absicht der Herausgeber, "Erfahrenen" die Gelegenheit zum Überprüfen eigener Meinungen und Vorurteile geben und andererseits "die Lust am Kino" zu wecken bzw. den einen oder anderen der Filme nachzuholen. Interessanterweise war einer der Autoren als junger Mann von Polanskis Film "Ekel" (Repulsion), der bei der Berufswahl des Rezensenten eine nicht unwichtige Rolle gespielt hat, ähnlich angetan wie der Rezensent selbst.

Die besprochenen Filme lassen sich in 3 Kategorien einteilen:

"Psychiatriefilme" i.e.S.: Die psychische Störung des Protagonisten, z.B. Demenz, Schizophrenie, Heroinabhängigkeit oder Panikstörung sind Thema des Filmes. Biografsche Schilderungen von"celebrities", deren Psychopathologie allgemein bekannt war - z.B. der Film "Aviator", der das Leben von Howard Hughes geschildert hat. Spielfilme mit fiktiven Charakteren, welche diagnostisch für die Autoren natürlich eine besonders reizvolle Aufgabe darstellten.

Gut die Hälfte der Autoren hat einen psychoanalytischen Hintergrund. Dies wirkt sich auf die Qualität der einzelnen Beiträge deutlich aus: Nicht allen Autoren gelingt es, die geschilderten Krankheitsbilder in das "Prokrustesbett" der ICD-10 zu zwingen, diese Beiträge wirken z.T. hölzern wie z.B. Austrittsberichte einer psychiatrischen Klinik. Brillant sind einzelne Beiträge über Spielfilme, deren ProtagonistInnen offensichtlich an Persönlichkeitsstörungen, sei es vom narzisstischen, paranoiden oder Borderline-Typ leiden; die gewählten Beispiele eignen sich tatsächlich, dieses schwierige Gebiet sowohl interessierten Laien als auch Lernenden anschaulich zu machen. Spannend ist die Begegnung mit Filmen, die der Rezensent in seiner Jugend, d.h. viel zu früh, um sie wirklich zu verstehen, gesehen hat wie z.B. "Belle de Jour" oder "Tod in Venedig".

Zuletzt eine subjektive Bemerkung zur Auswahl der Filme: Als forensischer Psychiater ist der Rezensent über die Wahl gewisser Filme etwas enttäuscht. Ein "Fantasy"-Film wie "Frankenstein" ist ebenso wenig geeignet, ein psychopathologisches Bild anschaulich zu machen wie das Kunstprodukt "Hannibal Lector" aus dem "Schweigen der Lämmer", dem die üblichen, höchst banalen Attribute der dissozialen Persönlichkeitsstörung wie mangelnde Schulbildung oder Zugehörigkeit zur Unterschicht abgehen; das Phänomen "Psychopathie" lässt sich sicher besser darstellen als mit einem ausgesprochenen "Trash-movie" wie "Kalifornia".

Gut gefallen hat, dass jedem Beitrag eine Literaturliste angefügt ist, sei es zum Hintergrund des Filmes, sei es zum im Film dargestellten Störungsbild. Am Schluss des Buches findet sich schließlich eine Literaturliste zum Thema Psychiatrie und Film. Zusammengefasst kann der Band durchaus zur Lektüre empfohlen werden; dies vor allen Dingen aufgrund der teils brillanten Essays zum Thema Persönlichkeitsstörung und verwandter Themen. Abschließend sei dem Rezensenten als Schweizer die Bemerkung erlaubt, dass er aus einem Land stammt, wo sämtliche Filme in Originalversion mit deutschen Untertiteln gezeigt werden, dies erspart ihm den Ärger mit den teilweise dümmlichen deutschen Filmtiteln ("Der Sauerkrautpoet", "Amelie - wahnsinnig verliebt").

Andreas Frei, Luzern

Email: andreas.frei@lups.ch

Doering S, Möller H, Frankenstein und Belle de Jour. 30 Filmcharaktere und ihre psychische Störungen. Heidelberg: Springer; 2008: 398 S., 64 Farbabb. Geb. 39,95 €, ISBN 978-3-540-76879-1

    >