Allgemeine Homöopathische Zeitung 2010; 255(3): 16
DOI: 10.1055/s-0029-1242600
Spektrum
© Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Interview mit Curt Kösters

Das Interview führte Matthias Wischner
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Publication History

Publication Date:
18 May 2010 (online)

Wann haben Sie das Organon kennengelernt? Genau weiß ich das nicht mehr. Es muss Anfang der 1980er-Jahre gewesen sein, zu Beginn meiner Homöopathieausbildung. Ich hatte schon als Student in Berlin Kontakt zur Homöopathie; das erste homöopathische Buch, das ich las – ein klinischer Leitfaden –, fand ich allerdings schon sehr merkwürdig. Wie war die erste Lektüre des Organons für Sie? Gewöhnungsbedürftig. Die Ausdrucksweise empfand ich zunächst als etwas antiquiert. Während meiner Ausbildung habe ich das Organon dann richtig kennengelernt und in der Folge mehrfach gelesen. Inzwischen habe ich die Sprache Hahnemanns schätzen gelernt. Hat sich Ihr Verhältnis zum Organon im Laufe der Jahre verändert? Es ist pragmatischer geworden. Für mich ist das Organon ein Lehrbuch der Medizin, das immer noch aktuell ist. Wenn man so vorgeht, wie Hahnemann es aufzeigt, funktioniert es in der Praxis immer noch sehr gut. Auch andere Passagen sind bis heute modern, z. B. die Klassifikation in ansteckende, psychische, endogene und durch äußere Reize hervorgerufene Krankheiten. Diese Weitsicht ist für ein 200 Jahre altes medizinisches Lehrbuch einzigartig. Ich halte deswegen nicht zwingend alles für richtig, was im Organon steht, und finde es nachgerade peinlich, wenn jemand sagt, dort stünde die „reine Wahrheit”. Das ist keine wissenschaftliche Auffassung und passt nicht zu einer rationalen Medizin. Deswegen finde ich die Bearbeitung von Josef M. Schmidt (München 2003) auch sehr gut, weil darin die „Praktischen Anweisungen und Maximen” unterschieden werden von den „Theoretischen Erklärungen und Hypothesen” sowie von den „Konzeptuellen Grundlagen und Voraussetzungen”. So kann man leichter differenzieren zwischen Aussagen, die heute noch Gültigkeit besitzen, und solchen, die historisch überholt sind. Welche Rolle spielt das Organon in der heutigen Homöopathie? Leider eine zu große. Noch immer werden Paragrafen in innerhomöopathischen Diskussionen als Beleg für die jeweiligen Ansichten verwendet. Für mich kann das Organon immer nur ein Ausgangspunkt für eine Diskussion sein. Jede Aussage muss in einen methodenkritischen Diskurs gebracht werden. Wir werden uns darüber verständigen müssen, auf welcher Basis wir in der Homöopathie Aussagen für wahr halten. Hier verspreche ich mir viel von der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Homöopathie (WissHom), die auf dem ICE 10 im November in Köthen gegründet werden soll, und vom Masterstudiengang in Magdeburg, der voraussichtlich im Wintersemester 2010 startet. Das Organon taugt nicht als autoritative Schrift. Es bringt niemanden weiter, wenn man sagt: „Es steht im Organon.” Als Lehrbuch für viele praktische Aspekte bleibt es aber unverzichtbarer Bestandteil der Ausbildung und als Ausgangspunkt fruchtbarer Diskussionen ist es nach wie vor wertvoll. Haben Sie eine Lieblingsstelle? Die Gesundheitsdefinition in § 9 „… so daß unser inwohnende, vernünftige Geist sich dieses lebendigen, gesunden Werkzeugs frei zu dem höhern Zwecke unsers Daseyns bedienen kann”. Mit welchen Aspekten des Organons haben Sie Schwierigkeiten? Hahnemanns Psora-Konzept würde ich so nicht unterschreiben. Das bedeutet aber nicht, dass ich das Miasmenkonzept grundsätzlich ablehne. Die Grundidee der Behandlung epidemischer Krankheiten mit spezifischen Mitteln ist nach wie vor spannend. Sie muss allerdings in den Kontext unseres heutigen Wissens übersetzt werden. Es gibt mehr als 3 chronische Infektionskrankheiten. Auch Hahnemanns Vorstellung der „immateriellen Ansteckung von Krankheiten” teile ich nicht. Das halte ich in dieser Form für überholt durch die Koch'schen Postulate. Bitte vollenden sie den Satz: Ohne Hahnemanns Organon … … wäre die Homöopathie nicht zu der geworden, die sie heute ist.

Curt Kösters

Eggerstedtstraße 56/58

22765 Hamburg

Email: curt.koesters@hamburg.de

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