Gesundheitswesen 2010; 72(12): e65-e70
DOI: 10.1055/s-0029-1243208
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Dialyse und Armutsrisiko

Dialysis and the Risk of PovertyS. Aßmann1 , F. Balck1
  • 1Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden,Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
14. Juni 2010 (online)

Zusammenfassung

Einleitung: Die derzeit einzige Alternative zur Transplantation ist bei schwerem Nierenversagen die dauerhafte Dialysebehandlung, die jedoch mit vielfältigen körperlichen und sozialen Einschränkungen sowie psychischen Belastungen für die Patienten und ihre Angehörigen verbunden ist. Die Untersuchung fragt nach den psychosozialen Folgen chronischer Krankheit, in unserem speziellen Fall: Stellt chronische Niereninsuffizienz ein Armutsrisiko für Betroffene dar?

Methode/Stichprobe: Im Jahr 2006 nahmen 625 Dialysepatienten an einer deutschlandweiten schriftlichen Befragung in 77 Dialysepraxen teil. Der selbst entwickelte Fragebogen enthielt 19 Items zur sozialen Lage, Behandlungssituation und Lebensqualität. Die Responserate betrug 54,3%. Die Auswertung erfolgte mittels deskriptiver Analysen und Diskriminanzanalyse.

Ergebnisse: 51,8% der Patienten wohnten in den neuen Bundesländern. 44,9% sind Frauen. Dass Durchschnittsalter in der Stichprobe betrug 62,2 Jahre. 57,5% der Probanden lebte in einer Partnerschaft/Ehe zusammen. Zu 12,0% der Haushalte gehörte mindestens eine Person im Alter von unter 18 Jahren. 54,8% der Befragten hatten einen Hauptschulabschluss, 25,3% einen Realschulabschluss und 12,4% Abitur. Unterhalb der Armutsgrenze (60% des mittleren Einkommens) lebten zum Befragungszeitpunkt 60,2% der befragen Patienten. Als wesentlich für die Verortung oberhalb bzw. unterhalb der Armutsgrenze erwiesen sich die Anzahl der Personen im Haushalt und das Alter der Probanden. Je mehr Personen zusammen in einem Haushalt lebten, umso größer war ihr Risiko, unter der Armutsgrenze zu leben. Haushalte mit mehr als zwei Personen hatten ein signifikant höheres Risiko, unter die Armutsgrenze zu fallen (OR=63,3). Personen im Alter unter 50 Jahren haben ein signifikant höheres Risiko zu verarmen (OR=2,0) als 50-jährige und Ältere.

Schlussfolgerungen: Chronische Niereninsuffizienz ist mit einem erhöhten Armutsrisiko verbunden, wenn die Patienten bestimmte Merkmale aufweisen. Obgleich Alleinleben allgemein als Armutsrisiko angesehen wird, da größere Haushalte gegenüber kleineren über relative Einsparungsmöglichkeiten verfügen, sind nach Datenlage unserer Untersuchung Patienten, die mit mehreren Personen im Haushalt leben, stärker gefährdet in Armut zu geraten. Sie befinden sich im jüngeren und mittleren Erwachsenenalter und haben Versorgungspflichten gegenüber Kindern oder Ehepartnern. Ein höheres Armutsrisiko für jüngere Patienten ergibt sich auch daraus, dass sie zu einem biografisch früheren Zeitpunkt in die Dialyse eintreten und zumeist eine (niedrigere) Erwerbsunfähigkeitsrente beziehen. Die Ergebnisse korrespondieren mit den Angaben des neuesten Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung, wonach der Anteil der von Armut Betroffenen in der Altersklasse der über 65-jährigen geringer ist als in jüngeren Altersklassen. Präventionsrelevant erscheint hierbei besonders die Einflussnahme des Arztes auf eine mögliche weitere Berufstätigkeit von Dialysepatienten im jüngeren und mittleren Lebensalter. Das betrifft vor allem die Unterstützung der Patienten in ihrem Bemühen um eine Vereinbarkeit von Berufsarbeit und Dialysebehandlung.

Abstract

Introduction: For patients with severe kidney failure, the only alternative to transplantation today is an enduring dialysis treatment. But dialysis is associated with manifold physical and social restrictions. The study analyses the psychosocial consequences of the chronic disease of renal insufficiency: Does chronic kidney failure increase the patients’ risk to sink into poverty?

Sample/Methods: In the year 2006 625 dialysis patients participated in an enquiry in 77 dialysis centres in Germany. The newly developed questionnaire included 19 items about social situation, treatment conditions, and quality of life. The response rate was 54.3%. The analyses were calculated using descriptive statistics and discriminatory analyses.

Results: 51.8% of the patients lived in the new German federal states (the former GDR), 44.9% are female. The mean age of the sample was 62.2 years. 57.5% of the participants were married or cohabited. There was at least one person aged younger than 18 years in 12% of the households. 54.8% of the respondents had a German CSE, 25.3% had a German Remedial School Certificate of Completion, and 12.4% had a German Abitur (German university entrance qualification). At the time of the enquiry, 60.2% of the patients were below the poverty level (60% of the mean income in Germany). Important impact factors for an existence above the poverty level were the number of persons per household and the age of the participants. The more persons per household, the greater was the risk to be below the poverty level. Households with more than two persons had a significantly higher risk to be below the poverty level (OR=63.3). Persons aged younger than 50 years had a significantly higher risk to be below the poverty level than those aged 50 years or older (OR=2.0).

Conclusions: Chronic renal insufficiency is associated with a higher poverty risk if the patients feature specific attributes. Although living alone is often regarded as a poverty risk because larger households usually have more opportunities to save costs, due to our findings patients living together with several persons in a household are at higher risk to sink into poverty. They are younger or middle-aged and have responsibility to support children or partners. A higher poverty risk results from the fact that they are at a younger age when their dialysis starts and usually receive a lower employment disability pension. The results correspond with data of the German Federal Statistical Office, which show that the number of paupers is greater within younger age groups. Relevant for prevention seems to be the impact of the physician on a possible further occupation of dialysis patients.

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Korrespondenzadresse

Dr. S. A ß mann

Universitätsklinikum Carl

Gustav Carus an der

Technischen Universität

Dresden

Medizinische Psychologie und

Medizinische Soziologie

Fetscherstraße 74

01307 Dresden

eMail: sabine.assmann@mailbox.tu-dresden.de