Sprache · Stimme · Gehör 2009; 33(4): 165
DOI: 10.1055/s-0029-1243219
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Computereinsatz in der Sprach-, Sprech- und Schriftsprachtherapie

Computer-Based Therapy of Language, Speech, Reading and WritingL. Springer
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
28. Dezember 2009 (online)

Liebe Leserinnen und Leser,

auf die Frage, welche Vorteile die Arbeit am Computer bringe, antwortet ein 56-jähriger Mann mit Aphasie nach einem Schlaganfall: „Ich kann allein … allein … lange ich will … schreiben und lesen … besser … immer besser … und sprechen … sprechen auch … ich mach gern Computer”. Und ein 8-jähriger Junge mit schweren Lese- und Schreibstörungen erzählt begeistert: „Ich spiel gern am Computer… besonders die Spiele mit den Buchstaben … es ist nicht so langweilig wie in der Schule … schreiben tu ich sonst nicht gern”.

Personen mit Störungen der Sprache, des Sprechens und der Schriftsprache sind meist ebenso interessiert an moderner Computertechnik wie Personen ohne Sprachprobleme. Ergebnisse einer europäischen Pilotstudie über den Nutzen von Informations- und Kommunikationstechnologien aus dem Jahr 2003 belegen eine hohe Akzeptanz für Internet- und Computernutzung, wie das statistische Bundesamt mitteilt. Demnach verfügen 71% der Bevölkerung ab 10 Jahren bereits über Computer-Erfahrungen. Zwar nutzen Männer Computertechnik eher als Frauen, aber der Abstand wird deutlich kleiner. Für 96% der Befragten unter 25 Jahren gehört der Computer bereits zum Alltag.

Während Jugendliche und insbesondere jüngere Erwachsene mit Sprach- und Schriftsprachstörungen großes Interesse an Computertechnik haben, sind viele Therapeuten immer noch sehr skeptisch. Dabei liegen zum Computereinsatz in der Sprach-, Sprech- und Schriftsprachtherapie viele positive Wirksamkeitsnachweise vor. In den meisten logopädischen/sprachtherapeutischen Einrichtungen findet der Computereinsatz als Lern- und Kommunikationshilfe jedoch nach wie vor wenig Beachtung. Folgt man dagegen den Zielen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), so besagt die „Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit und Behinderung (ICF)” in den Bereichen „Aktivitäten und Partizipation”, dass allen Menschen beispielsweise die Verwendung von elektronischen Geräten und Kommunikationstechniken zu ermöglichen sei.

Unstrittig ist, dass Computer die Face-to-face-Therapie nicht völlig ersetzen, sondern vor allem ergänzen kann. Computer können sowohl als Lehr- und Lernhilfe – auch im Heimtraining – eingesetzt werden als auch assistiv in der Kommunikation und für Alltagshandlungen.

Die Therapie bei Sprach-, Sprech- und Schriftsprachstörungen lässt sich meist nur durch ein intensives, repetitives Sprach- bzw. Schriftsprachtraining signifikant verbessern; dies ist langwierig und kostenintensiv. Einen Weg aus dem Dilemma können moderne Computerlernprogramme bieten, die spezifische Übungsmodule und Feedbackmöglichkeiten bieten. Sie ermöglichen den Lernenden ein selbstbestimmtes Üben mit eigenständigen Lernwegen und individuellem Lerntempo.

Das Schwerpunktthema dieses Heftes ist der Computereinsatz bei Personen mit Aphasie, Sprechstörungen, Lese- und Schreibproblemen sowie bei stotternden Kindern und Jugendlichen.

Im ersten Themenblock zum Computereinsatz bei Aphasie gibt Irmgard Radermacher Einblicke in medienpädagogische und therapeutische Aspekte von computergestützten Verfahren in der Aphasietherapie. Die Autorengruppe Robert Darkow, Katja Hußmann und Walter Huber beschreibt an zwei Einzelfällen die Wirksamkeit einer supervidierten computergestützten Benenntherapie bei Aphasie.

Im nächsten Themenblock erläutert Bernd Kröger sein neurophonetisches Modell als theoretische Grundlage für die visuelle Animation der Artikulation als Therapiehilfe bei Sprechstörung. Wie sich ein audiovisuelles Feedback-Programm erfolgreich in der Sigmatismustherapie einsetzen lässt, belegen Alix Römer, Klaus Willmes und Bernd Kröger mit den Ergebnissen einer Therapiestudie.

Für die meisten deutschsprachigen Studien zum Computereinsatz in der Therapie fehlen Wirksamkeitsnachweise mit einer hohen Effektstärke. Deshalb ist es besonders erfreulich, einen Originalbeitrag zur langfristigen Wirksamkeit der Kasseler Stottertherapie (KST) im Heft vorstellen zu können. Hierbei handelt es sich um ein computergestütztes Fluency-Shaping-Verfahren bei Redeflussstörungen, das die multidisziplinäre Autorengruppe Harald A. Euler, Alexander Wolff v. Gudenberg, Kristina M. Jung und Katrin Neumann entwickelt hat. Diese Studie erfüllt fast alle Evidenzkriterien einer erfolgreichen Wirksamskeitsstudie und die Therapieeffekte auf der Verhaltensebene werden zudem durch Neuroimaging-Befunde gestützt.

Im Bereich der Förderung und Therapie von Kindern und Jugendlichen mit Lese-Rechtschreibschwierigkeiten werden viele unterschiedliche Computerprogramme angeboten. Dieses Thema greift Erich Hartmann in einem umfassenden Überblicksartikel auf, in dem er Lernprogramme beschreibt und Effektivitätsstudien zum Computereinsatz bei Lese- und Schreibschwierigkeiten kritisch bewertet.

Ich würde mich sehr freuen, wenn die Leser und Leserinnen durch die Beiträge motiviert würden, vermehrt Computerprogramme in der Therapie von Sprach-, Sprech- und Schriftsprachstörungen einzusetzen.

Ihre Luise Springer

Korrespondenzadresse

Dr. phil. Dipl.-Log. L. Springer

Lehranstalt für Logopädie

Universitätsklinikum Aachen

Pauwelsstraße 30

52074 Aachen

eMail: lspringer@ukaachen.de