Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2010; 45(1): 22-29
DOI: 10.1055/s-0029-1243374
Fachwissen
Schmerztherapie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Das Potenzial des analgetischen Plazeboeffektes – S3–Leitlinien–Empfehlung zur Behandlung akuter und perioperativer Schmerzen

The Potential of the Analgetic Placebo Effect – S3–Guideline Recommendation on the Clinical Use for Acute and Perioperative Pain ManagementRegine Klinger
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Publication Date:
20 January 2010 (online)

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Zusammenfassung

Die Effektivität analgetischer Plazeboeffekte ist durch eine Vielzahl von Metaanalysen empirisch belegt: wirkstofffreie Substanzen (Plazebos) können eine analgetische Wirksamkeit erlangen – aber auch potente Analgetika können in ihrer Wirksamkeit gesteigert werden, wenn sie durch Plazeboeffekte ergänzt werden. In der neuen S3–Leitlinie der AWMF (DIVS 2009, www.awmf.org) zur „Behandlung akuter und perioperativer Schmerzen” wird deshalb erstmals empfohlen, dieses Potenzial des Plazeboeffektes klinisch zu nutzen und Nozeboeffekte zu vermeiden. Es geht explizit nicht um den Ersatz von Analgetika durch Plazebos, sondern um den additiven Effekt der Plazebowirksamkeit auf das Analgetikum.

Abstract

The effectiveness of the analgetic placebo effect has been confirmed by several meta–analyses: not only can substances without active agents (placebos) achieve (hypo–) analgetic effectiveness, but also the effectiveness of active analgetics can be increased by added placebo effects. For this reason the new AWMF–S3 guidelines (DIVS 2009, www.awmf.org) on the "treatment of acute and perioperative pain" recommend the clinical use of placebo effects and the avoidance of nocebo effects. The point is not to use placebos as a substitute for analgetics, but rather to add placebo effects on to those of analgetics.

Kernaussagen

  • Nicht nur wirkstofffreie Substanzen (Plazebos) können analgetisch wirken, sondern auch potente Analgetika können in ihrer Wirksamkeit gesteigert werden, wenn sie durch Plazeboeffekte ergänzt werden.

  • Plazeboeffekte lassen sich durch klassische Konditionierung und Erwartungsprozesse aufbauen.

  • Für die Aufrechterhaltung ist hauptsächlich die Konditionierung verantwortlich.

  • Auf neurochemischer Ebene spielt das endogene Opioidsystem als mediierende Komponente für das Auftreten von Plazeboeffekten eine entscheidende Rolle.

  • Die Plazebowirkung und die Wirkung von Analgetika zeigen sich in FMRI/PET–Studien in vergleichbaren Hirnregionen.

  • Die Effektivität analgetischer Plazeboeffekte ist durch Metaanalysen empirisch belegt.

  • Die S3–Leitlinie der AWMF zur „Behandlung akuter und perioperativer Schmerzen” empfiehlt für diesen Bereich erstmals, Plazeboeffekte klinisch zu nutzen und Nozeboeffekte zu vermeiden.

  • Es geht explizit nicht um den Ersatz von Analgetika durch Plazebos, sondern um den additiven

  • Effekt der Plazebowirksamkeit auf die Wirkung des Analgetikums.

  • Für den klinischen Nutzen können folgende Merksätze herangezogen werden:

    • Die Erwartung eines positiven Effektes ergänzt und verstärkt den analgetischen Effekt.

    • Kontextvariablen ergänzen und verstärken die analgetische Effektivität.

    • Negative Erwartung bzgl. eines Analgetikums bzw. die Koppelung negativer Effekte an ein Analgetikum können dessen analgetischen

    • Effekt reduzieren (Nozeboeffekte).

    • Klassische Konditionierung erzeugt und hält den Plazeboeffekt aufrecht.

Literatur

Dr. Regine Klinger

Email: rklinger@uni-hamburg.de