Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 2010; 5(1): 1-22
DOI: 10.1055/s-0029-1243884
Polytrauma

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Management des Schädel-Hirn-Traumas beim Polytrauma – Diagnostik und Therapie

A.  Pingel2 , U.  Schweigkofler1 , F.  Kandziora2 , R.  Teßmann3 , R.  Hoffmann1
  • 1Abteilung für Unfallchirurgie und Orthopädische Chirurgie, BG-Unfallklinik Frankfurt/Main
  • 2Zentrum für Wirbelsäulenchirurgie und Neurotraumatologie, BG-Unfallklinik Frankfurt/Main
  • 3Abteilung für Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, BG-Unfallklinik Frankfurt/Main
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
22. Februar 2010 (online)

Preview

Wie kaum ein anderes Organsystem ist das zentrale Nervensystem im Rahmen eines Polytraumas gefährdet. Abgesehen von einer im Wesentlichen nicht zu beeinflussenden primären Hirnschädigung, hervorgerufen durch eine im Augenblick des Traumas auftretende Substanzschädigung wie z. B. Hirnkontusionen oder diffuse axonale Scherverletzungen, besteht eine besondere Gefährdung des Hirns, hervorgerufen durch sekundäre Schäden wie z. B. einer Hypotonie, Hypoxämie oder lokale und diffuse Druckwirkung, wie sie bei polytraumatisierten Patienten häufig auftreten.
Die ohnehin geringe Ischämietoleranz des Gehirns ist bei Vorliegen eines schweren Schädel-Hirn-Traumas (SHT) durch eine Störung der vaskulären Autoregulation zusätzlich herabgesetzt. Dies erschwert die Behandlung mehrfach verletzter Patienten mit schwerem SHT bedeutend und verschlechtert die Prognose. Umso bedeutsamer ist die frühzeitige Stabilisierung von Blutdruck und Atmung schon am Unfallort.
Andererseits sollte selbstverständlich eine möglichst rasche Verbringung des SHT-Verletzten in ein geeignetes neurotraumatologisches Zentrum erfolgen, um nach gezielter Erstdiagnostik im Rahmen einer Computertomografie des Kopfes intrakranielle, raumfordernde Blutungen unmittelbar operativ zu entlasten. Je schneller die Entlastung einer raumfordernden primären Verletzung erfolgt, desto geringer ist das Ausmaß der mit der lokalen oder diffusen Druckwirkung verbundenen sekundären Hirnschädigung. Dies ist für die Gesamtprognose relevant.
In Deutschland werden etwa 38 000 polytraumatisierte Patienten mit einem Verletzungsschweregrad von ISS > 16 stationär behandelt. Ca. 60 % dieser Patienten haben ein SHT. Nach wie vor beträgt die Letalität des Polytraumas etwa 16 %, dies ist zum größten Teil durch Verletzungen des Kopfes bedingt.
Ein standardisiertes präklinisches Vorgehen bei der Versorgung von Schwerstverletzungen (z. B. nach dem PHTLS-Algorithmus) sowie eine rasche und verletzungsorientierte Schockraumdiagnostik und Therapie nach dem ATLS-Konzept (Advanced Trauma Life Support) können dazu beitragen, vermeidbare Komplikationen oder gar Todesfälle zu minimieren.
Gerade dem SHT ist im Rahmen der Polytraumaversorgung eine gewichtige Rolle zuzuschreiben, auch unter dem Aspekt des Aufbaus von sog. Traumanetzwerken, da neurotraumatologische Abteilungen in der Regel nicht bei den als „Basisversorger” einzustufenden Kliniken – die noch bis zu 50 % der Polytraumaversorgung (zumindest initial) gewährleisten – vorgehalten werden.
Eine rasche Diagnostik und Schockraumversorgung nach dem ATLS-Algorithmus mit Sicherung der Vitalfunktionen und dann ggf. einer „Damage-Control-Therapie” mit Entlastung des intrakraniellen Kompartments muss beim Polytrauma mit schwerem SHT oberste Priorität haben. Bei gesicherten Vitalparametern und differenzierter Diagnostik kann dann unter Berücksichtigung weiterer Verletzungen ein Stufenkonzept für die Versorgung, aber auch intensivmedizinische Überwachung und Therapie entwickelt werden. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Unfallchirurgen, Neurochirurgen und Intensivmedizinern ist hierfür unabdingbar (vgl. auch Nast-Kolb D et al. Polytrauma – Versorgungsstrategie. Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 2008; 3 : 289 – 300; Schweigkofler U et al. Notärztliche Versorgung von Traumapatienten. Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 2008; 3 : 423 – 438; Hildebrandt F. Die Intensivbehandlung des polytraumatisierten Patienten. Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 2009; 4 : 209 – 228).

Literatur

Dr. med. Andreas Pingel

Neurochirurg
Oberarzt des Zentrums für Wirbelsäulenchirurgie und Neurotraumatologie
BGU Frankfurt

Friedberger Landstr. 430
60389 Frankfurt

eMail: Andreas.Pingel@BGU-Frankfurt.de