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DOI: 10.1055/s-0029-1244188
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Auswirkungen der Asbestfaserstaub-Exposition auf die Lungenfunktion – ein systematisches Review
Publication History
Publication Date:
14 July 2010 (online)
Pneumologie 2010; 64: 81 – 110
Die Diagnostik und die Begutachtung von asbestfaserstaubinduzierten Erkrankungen der Atemwege und der Lungen sind in besonderer Weise problematisch, da einem von den Versicherten vorgetragenen subjektiv empfundenen Krankheitsbild oftmals offenbar keine radiologisch verifizierbare bzw. nicht symptomadäquate Schädigung gegenübersteht. In ihrer Übersichtsarbeit haben sich Baur und Wilken in verdienstvoller Weise dieser Problematik angenommen und die verschiedenen hiermit verbundenen Aspekte einer detaillierten Auswertung der Datenlage gegenübergestellt.
Aus der Lektüre der Übersichtsarbeit ergeben sich verschiedene Erkenntnisse bzw. Diskussionspunkte.
Schon bei geringen asbestbedingten Pleura- und Lungenveränderungen kommt es gehäuft zu Funktionseinbußen wie Restriktion, Diffusionsstörung und Obstruktion. Die asbestbedingten Funktionseinschränkungen sind nur in etwa der Hälfte der Fälle korreliert mit radiologisch fassbaren Veränderungen, dies einschließlich CT.
Bei der Bewertung der Folgen einer langjährigen berufsbedingten Asbestexposition wird fortgesetzt dem Röntgenbefund die wichtigste diagnostische Aussage zugeordnet. Offenbar ist dies nicht vollumfänglich richtig, da bereits ohne Röntgenkorrelat funktionelle asbestbedingte Schädigungen vorliegen können. Hier gilt es insbesondere, bei der Bewertung und Begutachtung asbestinduzierter Erkrankungen auch die bislang vernachlässigten Obstruktionsparameter valide zu erfassen. Da auch zugleich Restriktionsparameter und die CO-Diffusionskapazität erfasst werden müssen, stellt die Bodyplethysmografie in dieser Hinsicht den diagnostischen Goldstandard dar.
Die alleinige Spirometrie ist als Lungenfunktionsuntersuchung zur Diagnostik und zur Verlaufskontrolle bei asbestinduzierten Erkrankungen der Lungen und der Pleura nicht geeignet, da wesentliche Ventilationsparameter hiermit nicht erfasst werden. Bisherige gutachterliche Praxis ist es, dass lungenfunktionell erfasste Funktionseinbußen bei nur geringen oder gar fehlenden röntgenmorphologischen Veränderungen nicht der stattgehabten Asbestexposition kausal zugeordnet werden.
Es ist eine regelmäßige gutachterliche Beobachtung, dass insbesondere langjährig und höhergradig Asbestexponierte das Krankheitsbild einer chronischen Bronchitis bzw. einer chronisch obstruktiven Bronchitis aufweisen.
Die vorliegende Übersichtsarbeit bietet vielfältige Ansätze, die bisherige Begutachtungspraxis der BK-Nr. 4103 zu überdenken, wobei insbesondere der Gesetzgeber aufgefordert ist, eine wissenschaftliche Klärung herbeizuführen, inwieweit – in Analogie zur BK-Nr. 4111 – die chronisch obstruktive Bronchitis durch Asbeststaub mit einer noch festzulegenden kumulativen Dosis in das Berufskrankheitenverzeichnis mit aufzunehmen ist.
Es gilt, eine diesbezügliche wissenschaftliche Diskussion zeitnah aufzunehmen, um der großen Zahl der ehemals Asbestexponierten im Rahmen ihrer Erst- bzw. Nachbegutachtungen gerecht werden zu können.
Dr. med. Horst Müsken
Detmolder Str. 267
33175 Bad Lippspringe
Email: praxis@dr-müsken.de