Z Gastroenterol 2010; 48(7): 774-775
DOI: 10.1055/s-0029-1245355
Kommentiertes Referat

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Therapie der Achalasie: Doppelt hält besser?

Treatment of Achalasia: Belt and Suspenders?V. F. Eckardt
  • 1Fachbereich Gastroenterologie, Deutsche Klinik für Diagnostik
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Publikationsdatum:
06. Juli 2010 (online)

Zhu Q, Liu J, Yang C. Clinical study on combined therapy of botulinum toxin injection and small balloon dilation in patients with esophageal achalasia. Dig Surg 2009; 26: 493 – 498.

Hintergrund

Für die Behandlung der Achalasie steht eine Vielzahl von Methoden zur Verfügung, die sämtlich palliativen Charakter haben, da eine kausale Therapie der Innervationsstörung des Ösophagus bisher nicht möglich ist. Die erste, erfolgreich durchgeführte Behandlung wurde bereits 1674 von Thomas Willis beschrieben (Pharmaceutice rationalis sive diatribe de medicamentorum operationibus in human corpore. Hagae Comitis, London 1674) und bestand in einer Dehnung der Kardia mit einem Walknochen. Seither sind zahlreiche Modifikationen der Dilatationsbehandlung sowie operative und pharmakologische Therapieverfahren beschrieben worden, von denen keine eine lang anhaltende Beschwerdefreiheit garantiert. Dilatationen erfolgen heute mit einem „low compliance” Ballon mit unterschiedlichem Durchmesser in einer oder mehreren Sitzungen (Hulselmans M et al. Clin Gastroenterol Hepatol 2010; 8: 30 – 35). Bei optimistischer Betrachtung führt diese Behandlung zu 5-Jahres-Remissionsraten von maximal 70 % und ist mit einer Perforationsrate von 2 – 5 % assoziiert. Risikoloser ist die 1994 erstmal beschriebene Botulinum-Toxin-Therapie (Pasricha PJ et al. Ann Intern Med 1994; 121: 590 – 591), die kurzfristig bei mehr als 80 % aller Patienten zu einer Beschwerdebesserung führt (Pasricha PJ et al. N Engl J Med 1995; 332: 774 – 778; Annese V et al. Muscle Nerve 1998: 1540 – 1542), langfristig aber das Rezidiv garantiert.

Zhu und Mitarbeiter sind jetzt der Frage nachgegangen, ob durch die kombinierte Behandlung von pneumatischer Dilatation mit einem schmalkalibrigen Ballon und der intrasphinkterischen Injektion von Botulinum-Toxin das Therapieergebnis verbessert und die Komplikationsrate vermindert werden kann.

Zusammenfassung

In der prospektiven Studie wurden 90 Patienten mit erstmals diagnostizierter Achalasie in 3 Gruppen randomisiert: Gruppe A wurde ausschließlich durch Injektion von 100 E Botulinum-Toxin in den unteren Ösophagussphinkter behandelt, Gruppe B durch pneumatische Dilatation mit einem „Low-compliance”-Ballon, der einen maximalen Durchmesser von 3 cm erreichte, und Gruppe B mit einer Kombination von beiden, wobei der Abstand zwischen den unterschiedlichen Therapieformen 2 Wochen betrug. Die Diagnose Achalasie wurde durch röntgenologische, manometrische und endoskopische Untersuchungen gesichert.

Ausschlusskriterien waren Alter unter 40 Jahre, schwerwiegende Herzerkrankungen und signifikante Zusatzbefunde im Ösophagus.

Der Therapieeffekt wurde unter Verwendung eines Symptomen-Scores ermittelt, der sich auf die Häufigkeit von Dysphagie, Regurgitationen und thorakalen Schmerzen bezog. Der Score hatte eine Spannbreite von 0 – 15, wobei ein Score unter 4 als klinische Remission definiert wurde. Mit Ausnahme von 3 Patienten, die im weiteren Verlauf verloren gingen, wurden alle Patienten 4 Wochen nach der Therapie und dann für 2 Jahre in 6-monatigen Abständen nachuntersucht. Die Untersuchungen beinhalteten die Ermittlung des aktuellen Symptomen-Scores sowie die manometrische Bestimmung des Ruhetonus des unteren Ösophagussphinkters (UÖS).

Zu jedem Zeitpunkt der Nachuntersuchung war der Ruhetonus des UÖS nach pneumatischer Kardiadilatation niedriger als nach Botulinum-Toxin-Therapie und nach kombinierter Therapie signifikant niedriger als nach beiden vorgenannten Behandlungen. Ähnliches galt für den mittleren Symptomen-Score, der nach 2-jähriger Verlaufsbeobachtung in Gruppe A 7,3, in Gruppe B 6,0 und in Gruppe C 4,8 betrug. Die Autoren ermittelten daraus eine 2-Jahres-Remissionsrate nach kombinierter Behandlung von 57 % im Vergleich zu 36 % nach alleiniger Dilatation und 14 % nach Botulinum-Toxin-Therapie. Wesentliche therapiebedingte Komplikationen wie Blutungen, Perforationen oder Aspirationen wurden in keiner Patientengruppe beobachtet.

Die Autoren zogen aus ihren Beobachtungen die Schlussfolgerung, dass die Kombinationsbehandlung mit Botulinum-Toxin und pneumatischer Dilatation mit einem schmalkalibrigen Ballon die möglicherweise beste Therapieoption für Patienten mit Achalasie darstellt.

Kommentar

Ein hervorstechendes, positives Merkmal dieser Untersuchung ist das prospektiv randomisierte Studiendesign, ein Kriterium, das nur von wenigen der vielen Therapiestudien bei der Achalasie erfüllt wird. Die Frage stellt sich allerdings, ob die gewählten Behandlungsmethoden zuvor hinreichend in ihrer Effektivität erwiesen wurden, ob das untersuchte Patientenkollektiv einen Vergleich mit anderen Therapiestudien erlaubt und ob die erhobenen Daten Schlussfolgerungen über die Langzeittherapie der Achalasie zulassen.

Die große Mehrheit der bisher publizierten Studien zur Dilatationsbehandlung der Achalasie verwandte entweder großlumige Ballons (3,5 – 4 cm Durchmesser) oder ein Verfahren, bei dem die Ballonweite schrittweise erhöht wurde. In einer kürzlich publizierten Untersuchung (Hulselmans M et al. Clin Gastroenterol Hepatol 2010; 8: 30 – 35) waren 74 % aller Patienten, die mit einem schmalkalibrigen Ballon wie in dieser Untersuchung behandelt wurden, Therapieversager. Die besseren Ergebnisse der vorliegenden Studie sind mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Tatsache zurückzuführen, dass die Autoren sich ausschließlich auf Patienten beschränkten, die besonders leicht durch pneumatische Dilatation zu behandeln sind, nämlich solche, die älter sind als 40 Jahre (Eckardt VF et al. Gut 2004; 53: 629 – 633; Richter JE. Gastrointest Endosc Clin N Am 2001; 11: 359 – 369). Bei diesem Patientenkollektiv muss eine fast 50 %ige Rezidivrate nach nur 2 Jahren als unzureichend angesehen werden, insbesondere wenn die pneumatische Dilatation mit einer zweiten Behandlungsmethode kombiniert wurde.

Die für das gewählte Patientenkollektiv schlechten Therapieergebnisse dieser Studie hätten aus meiner Sicht von den Autoren bereits nach der ersten Verlaufsbeobachtung (30 Tage nach Therapie) vorausgesehen werden können. Zu diesem Zeitpunkt lag der mittlere gemessene Ruhetonus des UÖS in Gruppe B bei 17,4 und in Gruppe C bei 14,1 mmHg. Bisherige Untersuchungen haben einheitlich gezeigt, dass mit einem guten Langzeitergebnis der pneumatischen Kardiadilatation nur dann zu rechnen ist, wenn zu diesem Zeitpunkt der erreichte Ruhedruck deutlich unter 15 oder besser unter 10 mmHg liegt (Eckardt VF et al. Gastroenterology 1992; 103: 1732 – 1738; Ponce J et al. Dig Dis Sci 1996; 41: 2135 – 2141). Der im weiteren Verlauf kontinuierliche Druckanstieg im UÖS hätte den Autoren signalisieren müssen, dass keines der gewählten Therapieverfahren geeignet ist, um bei einer lebenslangen Erkrankung wie der Achalasie eine langfristige Beschwerdebesserung zu erreichen.

Selbst wenn man sich mit den hier erreichten Therapieergebnissen zufriedengeben würde, stellt sich immer noch die Frage, ob die Addition einer Botulinum-Toxin-Injektion zur pneumatischen Kardiadilatation von Vorteil ist. Die Autoren beantworten diese Frage aufgrund der signifikant unterschiedlichen Therapieeffekte zwischen Gruppe B und C eindeutig mit ja. Aber ist Signifikanz mit klinischer Relevanz gleichsetzbar? Zu keinem Zeitpunkt differierte der Symptomen-Score zwischen beiden Gruppen um mehr als 1 – 2 Punkte, ein Ergebnis, das als klinisch bedeutungslos angesehen werden kann. Im Gegenteil, es ist zu befürchten, dass die zusätzliche Verabreichung von Botulinum-Toxin die Ausgangssituation für eine eventuell notwendig werdende operative Behandlung verschlechtert. Zumindest für die Botulinum-Toxin-Therapie ist gezeigt worden, dass sie zu einer periösophagealen Entzündung führen kann, die die operative Behandlung der Achalasie erschwert (Horgan S et al. Surg Endosc 1999; 13: 576 – 579).

Zusammenfassend können aus den vorgelegten Daten folgende Schlussfolgerungen gezogen werden: Die pneumatische Dilatation mit einem schmalkalibrigen Ballon ist für die Mehrheit aller Achalasiepatienten eine unzureichende Behandlungsmethode. Die Kombination dieser Therapie mit einer Botulinum-Toxin-Therapie führt nicht zu einer relevanten Verbesserung der Therapieergebnisse. Was in Zukunft zu klären bleibt, ist nicht die Threapieoptimierung durch Modifikationen der pneumatischen Kardiadilatation, sondern die Frage, ob es nicht bessere Methoden als die Dilatationsbehandlung gibt. Die in naher Zeit zu publizierende europäische Multicenterstudie (Boeckxstaens GEE et al., persönliche Mitteilung) zur Effektivität der laparoskopischen Myotomie vs. pneumatischer Dilatation sollte uns auf diesem Weg ein wesentliches Stück voranbringen

Prof. Dr. Volker F. Eckardt

Fachbereich Gastroenterologie, Deutsche Klinik für Diagnostik

Aukammallee 33

65191 Wiesbaden

eMail: eckardt.gastro@dkd-wiesbaden.de