manuelletherapie 2010; 14(5): 182
DOI: 10.1055/s-0029-1245913
Leserbrief

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Leserbrief zu: Grothues J. Konvex-Konkav-Regel – Nützlichkeit von Kaltenborns Regel bei klinischen Überlegungen bezüglich der Mobilisationsrichtung beim Glenohumeralgelenk

J. Schomacher
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Publikationsdatum:
10. Januar 2011 (online)

Manuelle Therapie 2010; 14: 167 – 171

Sehr geehrter Herr Grothues,

vielen Dank für Ihren interessanten Beitrag zur Konvex-Konkav-Regel (KKR), die Sie „nur bedingt als nützliches Werkzeug” beschreiben, das „nicht als vollständiger Handlungsstandard gelten” dürfe. Gerne würde ich dazu Folgendes ergänzen:

Kaltenborn [4] beschreibt die KKR als „indirekte Methode zur Feststellung der eingeschränkten Gleitrichtung”. Die direkte Methode, das Erfühlen der eingeschränkten Gleitrichtung ist vorzuziehen, aber manchmal schwierig und kann dann durch die KKR ergänzt werden.

Die KKR beansprucht nicht, die Ursachen des eingeschränkten Gleitens wie verkürzte kapsuloligamentäre Strukturen oder ein insuffizientes neuromuskuläres Kontrollsystem zu beschreiben [4]! Kaltenborn [4] beschreibt klar, dass zur klinischen Entscheidungsfindung mehr als nur ein einziger Befund gehört. Bei der eingeschränkten Außenrotation in der Schulter müssen z. B. neben der Gleiteinschränkung die Stellung des Caput humeri sowie das Endgefühl mituntersucht werden.

Diese Faktoren berücksichtigten Johnson et al. [3] in ihrer Patientenuntersuchung nicht, obwohl z. B. die anteriore Fehlstellung des Caput humeri reliabel und valide palpatorisch festzustellen ist [1] [5]. Wie die Autoren selbst einräumen, könnte eine Korrektur dieser Fehlstellung durch die posteriore Gleitmobilisation die signifikante Zunahme der Außenrotation bei allen Probanden [2] und nicht nur bei den 4 Patienten erklären, bei denen die posteriore Mobilisation von einem hörbaren „Pop”-Geräusch begleitet war [6]. Diese Verbesserung der Außenrotation durch eine posteriore Gleitmobilisation widerlegt nicht die KKR, die besagt, dass bei Außenrotation die humerale Gelenkfläche nach vorne gleitet. Das tut sie nach wie vor, doch die Ursache der Einschränkung kann davon unabhängig sein wie z. B. eine anteriore Fehlstellung.

Die klinische Entscheidungsfindung von Physiotherapeuten bezieht sich häufig auf die Symptome des Patienten, wie z. B. Schmerz. Kaltenborns [4] KKR bezieht sich ausschließlich auf die Mechanik zwischen den miteinander artikulierenden Gelenkflächen. Sowohl Symptome als auch Mechanik müssen im Prozess der klinischen Entscheidungsfindung erst getrennt betrachtet und dann in Zusammenhang gebracht werden [8].

Die KKR ist daher trotz Ihrer Bedenken ein gültiges Hilfsmittel, um die Gelenkmechanik einfach verstehen zu können, ohne dass sie beansprucht, ein allein ausreichendes Instrument für die klinische Entscheidungsfindung zu sein. Dazu müssen weitere Faktoren wie die Untersuchung des Bewegungsausmaßes und des Endgefühls hinzugezogen werden.

Welche „Evidenz” für die KKR schlagen Sie außer den bereits bestehenden zahlreichen Hinweisen aus der funktionellen Anatomie, Röntgenbildern und mechanischen Überlegungen wie dem Hebelgesetz vor [7]? Wenn Sie auf einem Schultergelenkpräparat an der Gelenkfläche des Caput humeri eine Markierung anbringen und das Gelenk in Abduktion bewegen, sehen Sie, dass diese Markierung gegenüber der Cavitas glenoidalis nach unten gleitet. Das ist offensichtlich = evident! Daher bezweifle ich, dass jemand dies als Studie durchführen und veröffentlichen wird.

Literatur

  • 1 Bryde D, Freure B J, Jones L et al. Reliability of palpation of humeral head position in asymptomatic shoulders.  Manual Therapy. 2005;  10 191-197
  • 2 Johnson A J, Godges J J. Authors’ response to: The effect of anterior versus posterior glide joint mobilization on external rotation range of motion in patients with shoulder adhesive capsulitis.  Journal of Orthopaedic & Sports Physical Therapy. 2007;  37 414-415
  • 3 Johnson A J, Godges J J, Zimmerman G J et al. The effect of anterior versus posterior glide joint mobilization on external rotation range of motion in patients with shoulder adhesive capsulitis.  Journal of Orthopaedic & Sports Physical Therapy. 2007;  37 88-99
  • 4 Kaltenborn F M. Manuelle Therapie nach Kaltenborn, Untersuchung und Mobilisation der Gelenke. Teil I: Extremitäten. Oslo: Norli; 2005
  • 5 McKenna L, Straker L M, Smith A. The validity and intra-tester reliability of a clinical measure of humeral head position.  Manual Therapy. 2009;  14 397-403
  • 6 Schomacher J. Letter to the editor: The effect of anterior versus posterior glide joint mobilization on external rotation range of motion in patients with shoulder adhesive capsulitis.  Journal of Orthopaedic & Sports Physical Therapy. 2007;  37 413
  • 7 Schomacher J. The convex-concave rule and the lever law.  Manual Therapy. 2009;  14 579-582
  • 8 Zusman M. Das biopsychosoziale Modell als Leitfaden für die Behandlung von muskuloskelettalen Schmerzen und Behinderungen durch bewegungsbasierte Therapie.  physioscience. 2010;  6 112-120

Jochen Schomacher

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