Gesundheitswesen 2011; 73(3): 153-161
DOI: 10.1055/s-0030-1247582
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kenntnisstand und Bewertung gesundheitspolitischer Reformen im Spiegel sozialer Determinanten

Ergebnisse der KBV-Versichertenbefragung 2009Knowledge and Evaluation of Health-System Reforms as Reflected in Social DeterminantsResults of the 2009 Survey by the National Association of Statutory Health Insurance PhysiciansS. Schnitzer1 , A. Kuhlmey1 , K. Balke2 , A. Litschel2 , A. Walter2 , L. Schenk1
  • 1Institut für Medizinische Soziologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin
  • 2Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV)
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
25. Februar 2010 (online)

Zusammenfassung

In den letzen Jahren haben gesundheitspolitische Reformmaßnahmen das deutsche Gesundheitssystem modifiziert. Während bereits einige Studien mit dem Ziel durchgeführt wurden, den allgemeinen Kenntnisstand der Bevölkerung über Neuregelungen im Gesundheitssystem sowie deren Bewertung zu ermitteln, liegen kaum statusspezifische Ergebnisse hierzu vor. Vor diesem Hintergrund steht im vorliegenden Beitrag die Frage im Mittelpunkt, inwieweit der Kenntnisstand und die Bewertung gesundheitspolitischer Maßnahmen von sozialen Determinanten beeinflusst werden. Grundlage der Analyse bildet eine bevölkerungsrepräsentative Versichertenbefragung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (2009), in deren Rahmen insgesamt 2 032 Bürger und Bürgerinnen im Alter zwischen 18 und 79 Jahren zu gesundheitspolitischen Themen interviewt wurden. Die Ergebnisse der bivariaten Analysen und der logistischen Regressionen zeigen, dass der Kenntnisstand über Reformmaßnahmen signifikant von Bildungsstand, Alter und Staatsangehörigkeit beeinflusst wird. Beispielsweise haben Befragte mit dem formal niedrigsten Bildungsstand gegenüber formal höher Gebildeten ein rund vierfach so hohes Risiko, den Gesundheitsfond nicht zu kennen oder Nichtdeutsche gegenüber Deutschen ein rund doppelt so hohes Risiko, die Maßnahmen nicht zu kennen. Die Bewertung der Reformmaßnahmen variiert in erster Linie zwischen Ost- und Westdeutschen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Westdeutsche die Reformmaßnahmen negativ bewerten, ist gegenüber Ostdeutschen signifikant erhöht. Die statusspezifischen Unterschiede im Kenntnisstand können zumindest teilweise durch eine Informationsasymmetrie von Seiten der Ärzte und Krankenkassen erklärt werden. Für die Umsetzung und Bewertung der Reformmaßnahmen ist es für politische Entscheidungsträger und Leistungserbringer dringend erforderlich, die „neue Unübersichtlichkeit” der Reformmaßnahmen besonders gegenüber benachteiligten Gruppen transparent, handhabbar und verständlich zu gestalten.

Abstract

Significant reforms have been instituted in Germany's health system in recent years. Although a number of studies have examined the population's knowledge of and attitudes towards the new regulations, little information is available on status-specific differences. This article examines the extent to which knowledge and evaluation of health policy measures is influenced by social determinants. The analysis draws on a survey conducted by the National Association of Statutory Health Insurance Physicians (Kassenärztliche Bundesvereinigung, 2009) based on a sample representative of the German population. In this context, 2 032 respondents aged between 18 and 79 years were interviewed on health-care policy issues. Results of bivariate analysis and logistic regression show that knowledge of the reform measures is significantly associated with educational level, age, and nationality. For example, respondents with the lowest level of formal education have an approximately four times higher risk as those with a higher level of formal education of not knowing about the health fund, and non-Germans have around twice the risk as Germans of not knowing about the reform measures. The main difference to emerge in respondents’ evaluation of the reform measures is between East and West Germans. West Germans are significantly more likely than East Germans to evaluate the reform measures in negative terms. These status-specific differences in respondent knowledge can be attributed at least to some extent to the information asymmetry between patients and physicians/health-care providers. There is an urgent need for policy makers and care providers to render the reform measures transparent, accessible and comprehensible – especially to disadvantaged groups – to facilitate their effective implementation and positive evaluation.

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1 Allerdings sind einige Fragen nur an die gesetzlich Versicherten gerichtet, sodass in diesen Fällen keine diesbezüglichen Unterscheidungen getroffen werden können.

2 Einschränkend muss jedoch erwähnt werden, dass die Zusammenhänge nicht multivariat überprüft wurden.

Korrespondenzadresse

S. Schnitzer

Institut für Medizinische Soziologie

Charité-Universitätsmedizin

Berlin

Thielallee 47

14195 Berlin

eMail: susanne.schnitzer@charite.de