PiD - Psychotherapie im Dialog 2010; 11(3): 279-283
DOI: 10.1055/s-0030-1248538
Im Dialog

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Wie hältst du das nur aus?”

Erfahrungen einer PsychoonkologinSusanne  Gutberlet im Gespräch mit Barbara  Stein
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Publication Date:
18 August 2010 (online)

PiD: Susanne, du hast langjährige Psychotherapieerfahrung in ambulanter Praxis und in stationärer Psychotherapie wie auch in der psychosomatischen Konsilversorgung sowohl mit Onkologiepatienten als auch mit anderen Psychotherapiepatienten. Was ist spezifisch für psychoonkologische Behandlung im Vergleich zu anderen Psychotherapieprozessen?

Susanne Gutberlet: Die psychoonkologische Behandlung ist sehr geprägt von der Krankheitsphase, in der sich der Patient befindet. In der Akutphase im Krankenhaus z. B., bei der Diagnosestellung und Behandlung, weiß ich als Psychotherapeutin nie, in welcher Situation ich den Patienten antreffe. Es können Untersuchungen anstehen, er – oder natürlich sie – kann akut unter Nebenwirkungen der Behandlungen leiden, es können Angehörige da sein. Ich muss flexibel reagieren, kann mich nicht wie in der Psychotherapie auf ein relativ sicheres Setting einstellen. Daher handle ich auch anders, spontaner. So beziehe ich Angehörige von Krebspatienten mit ein, wenn sie da sind, in der Psychotherapiepraxis würde ich eher mit dem Patienten alleine sprechen. Diese Unsicherheit über den aktuellen Zustand schwächt sich etwas ab, wenn die onkologische Behandlung abgeschlossen ist und ich den Patienten ambulant weiterbetreue.

Im Krankenhaus weiß ich auch nicht, ob ich den Patienten wiedersehe. Es können unerwartete Komplikationen eintreten, der Patient kann entlassen oder verlegt sein. Das heißt für mich, dass ich jeden Kontakt so gestalten muss, als wenn es der letzte wäre. Das ist manchmal schwierig. Das bedeutet, dass ich innerhalb eines Gespräches den Behandlungsauftrag abklären und erfüllen muss.

Daher informiere ich mich immer erst mal, was der Patient über seine Krankheit und über den aktuellen Zustand weiß. Und versuche zu klären: Was braucht der Patient jetzt – von mir, aber auch von anderen – um seine aktuelle Situation zu bewältigen.

Mit welcher Haltung gehst du in einen solchen Erstkontakt mit einem Krebserkrankten?

Da ich viel Routine habe, gehe ich sehr ruhig in diese Gespräche. Auch über belastende Themen kann ich mit dem Patienten in der Regel gelassen und mit einer gewissen Leichtigkeit sprechen. Wie belastend ein Kontakt mit einem Krebspatienten sein kann, merke ich oft erst nach dem Gespräch. Ich fühle mich dann müde, ausgelaugt, erschöpft. Nach Gesprächen mit Krebspatienten brauche ich eine Pause, bevor ich mich wieder auf einen neuen Patienten einstellen kann. Ich benötige dann einen Puffer, um mich zu distanzieren und Kraft zu sammeln.

Was erlebst du als so anstrengend?

Ich glaube, dass der Psychotherapeut in diesen Gesprächen sehr viel containen muss. Insbesondere die Ängste, auch – und dann besonders, wenn sie nicht ausgesprochen sind. Aber auch anderes Belastendes, Schweres. Diese Gefühle übernehme ich dann, ich muss sie erspüren und stellvertretend formulieren, ihnen dadurch auch Raum geben, ohne den Patienten zu überrennen oder zu verschrecken. Ich muss sehr empathisch sein und spüren, was in diesem Patienten gerade vor sich geht, was ihn besonders belastet. Nur so kann ich die Belastung als Herausforderung begreifen und mit dem Patienten erarbeiten. Belastungen in Herausforderungen umzuwandeln ist das Leitmotiv meiner Arbeit als Psychoonkologin. Natürlich stößt dieses Konzept auch an Grenzen, insbesondere wenn die Belastung zu groß wird.

Was mir bei onkologischen Patienten auch auffällt, ist, dass ich eine höhere Bereitschaft habe, etwas von mir selbst zu erzählen. In diesen Gesprächen scheint eine Atmosphäre zu herrschen, in der Grenzen aufgeweicht werden. Anfänglich habe ich mich hier als unprofessionell gefühlt, dieses mich selbst einbringen mir übel genommen und als absolut untherapeutisch bewertet.

Welche Einstellung hast du heute dazu?

Heute habe ich nicht mehr das Gefühl, dass es ein Kunstfehler ist, wenn ich zum Beispiel sage, dass ich nächste Woche wegen meines Urlaubes nicht da bin und auch erzähle, wohin ich fahre und worauf ich mich freue. Was in der psychotherapeutischen Praxis als fehlende Abstinenz gelten könnte ist im Kontakt mit Krebspatienten eine menschliche Verständigung auf Augenhöhe ist. Es ist ein Stück Leben, was ich mit einbringe, wenn ich über alltägliche Dinge spreche. Alltägliche Dinge, die das Leben betreffen, welches es trotz der schrecklichen Krankheit, die ja das Leben bedroht, auch noch gibt. Neben meinem Leitgedanken, den Patienten zu unterstützen, Belastungen in Herausforderungen umzuwandeln, ist dies mein zweites Motto: sich nicht von der Erkrankung so erdrücken zu lassen, dass es kein Leben mehr gibt.

Ein therapeutisches Ziel: Es gibt ein Leben trotz und mit Krebs.

Ja, denn die psychotherapeutische Zielsetzung „Hilfe bei der Krankheitsverarbeitung” empfinde ich oft als absurd. Wie kann man etwas verarbeiten, was noch nicht vorbei ist? Anpassung ist gefragt. Daher wirken die Gespräche auch manchmal oberflächlich, fast wie Smalltalk, aber es geht immer um wesentliche Dinge. Unterschwellig laufen dann auch Themen wie Krankheit, das Destruktive und die Angst mit.

Diese Haltung führt auch dazu, dass ich in psychoonkologischen Gesprächen sehr viel direkter und aktiver bin, als bei anderen Psychotherapiekontakten. Ich frage oft sehr konkret nach, wie sie sich im Krankenhaus fühlen und ob sie Vertrauen zu dem Behandlungsteam haben, ob sie zurechtkommen. Ich möchte den Patienten, die durch ihre Situation sehr verunsichert sind, vermitteln: „Sie sind hier in einer Spezialklinik, Sie sind hier in guten Händen, usw.” Ich möchte Sicherheit vermitteln, da dies die Fähigkeit stärkt, die aktuelle Situation meistern zu können. Angst braucht Sicherheit.

Der Umgang mit der Angst, besonders mit der Realangst vor dem Sterben, vor Schmerzen usw. scheint mir eine besondere Herausforderung in der Psychoonkologie zu sein.

Meistens blitzen die Ängste nur ab und zu auf, meist in Halbsätzen. Ich warte in der Regel darauf, dass die Patienten dies ansprechen oder anklingen lassen. Manchmal frage ich auch ganz konkret: „Was ist Ihre größte Angst?” In meinen Augen ist das stellvertretende Formulieren dieser Ängste eine der wichtigsten therapeutischen Interventionen. Hier gilt es Bilder und Worte und dadurch eine Sprache für diese Ängste zu finden. Dass dieser Schritt gelingt, ist ein Stück Übungssache. Wenn es gelingt, wirkt es unglaublich stabilisierend. Worte für etwas zu finden, was sprachlos macht, Bilder zu entwerfen, die eine Weiterentwicklung erlauben, einfach halten, sich nicht wegspülen lassen von dem, was an Angst, Grauen und Furcht da ist. Dadurch kann Handlungssicherheit vermittelt werden.

Wenn es mir gelingt, den Patienten durch ein Gespräch wieder mehr Sicherheit erleben zu lassen und dadurch mehr Handlungsfähigkeit zu haben, bin ich sehr zufrieden. Zu erleben, dass man mit einem oder zwei Gesprächen jemanden in einer absoluten Krisensituation so unterstützen kann, dass er sich in der Lage sieht, mit den anstehenden Herausforderungen fertig zu werden – jedenfalls bis zur nächsten Krise – ist sehr befriedigend. Ich bin immer gewahr, dass es nächste Krisen gibt, aber in der Regel reichen wirklich wenige Gespräche. Mir fällt oft schon beim zweiten Gespräch auf, dass das erste so hilfreich war, dass es etwas gebahnt hat, was die Anpassungsfähigkeit und Anpassungsbereitschaft an diese Situation fördert.

Das scheint mir nicht immer leicht zu sein.

Manchmal ist das nicht leicht, so zum Beispiel bei Patienten, bei denen psychische Störungen wie Ängste oder Depressionen schon im Vorfeld eine Rolle spielten, oder bei Patienten, die von den Ärzten sehr enttäuscht sind. Hier nehme ich häufig eine Vermittlerposition zwischen dem Behandlungsteam und dem Patienten ein. Meine Aufgabe ist es, zum gegenseitigen Verständnis beizutragen.

Schwierig wird es auch dann, wenn der Patient bei der Erstdiagnose schon mit der Palliativsituation konfrontiert ist. Hier ist es am schwersten, sich abzugrenzen, weil es nicht leicht ist herauszufinden, wofür man die Hoffnung mobilisieren soll bzw. worauf man die Hoffnung richten kann. Hier ist es für mich wichtig, erst einmal die Situation gemeinsam mit dem Patienten auszuhalten. Häufig kommen dann schnell Themen wie Bilanzierung und Lebensrückblick. Oder die Rebellion, insbesondere wenn die Patienten jung sind. Das ist häufig nicht leicht und erfordert viel Kraft von mir als Psychotherapeutin. Wie anstrengend das ist, merkt man häufig erst hinterher.

Treten im weiteren Verlauf im Kontext einer psychoonkologischen Behandlung andere Themen in den Vordergrund?

In der Praxis stehen andere Themen im Vordergrund. In der Regel haben die Patienten, die ambulante Psychotherapie wünschen, ihre onkologische Therapie hinter sich und ganz gut geschafft. Aber sie haben Schwierigkeiten, ins Leben zurückzufinden, da sich ihr Leben so ausschließlich auf das Durchstehen und Überstehen der Behandlung fokussiert hat. Weil das Danach nicht fantasiert wurde, weil man sich das Danach nicht vorstellen konnte. Und irgendwann nimmt niemand mehr Rücksicht auf den Krebserkrankten. Hier spielen dann oft auch neurotische Verarbeitungsmechanismen mit eine Rolle. Psychotherapeutisch sind das längere Prozesse, in denen es um die Anerkennung der Verletzung geht, um die Würdigung dessen, was diesen Menschen passiert ist.

Aber auch da muss ich immer gewahr sein, dass onkologische Komplikationen auftreten können, dass plötzlich eine deutliche Verschlechterung eintritt. Auch ich als Psychotherapeutin muss mit dem Patienten die Ängste durchstehen, wenn eine Kontrolluntersuchung ansteht.

Auch dann ist der Krebs der Dritte im Bunde?

Ja, der Krebs sitzt immer mit im Psychotherapiezimmer. So sehr wir uns auch mit dem Leben beschäftigen, er ist mit keiner therapeutischen Intervention zu entmachten. In den Hintergrund zu drängen ja, aber er ist immer anwesend. Und es ist auch wichtig, dass die Krankheit anwesend ist, denn das wäre sonst wirklich Verleugnung.

Lass uns noch einmal zu der Auflösung der Grenzen in psychoonkologischen Gesprächen zurückkommen. Die Krankheit an sich ist durch ihre Lebensbedrohlichkeit schon eine Grenzauflösung bzw. die Konfrontation mit Grenzen und ihrem Überschreiten.

Ja, in mehrerer Hinsicht. Ich beobachte zum Beispiel, dass Pflegende am schlechtesten mit der Situation umgehen können, wenn der Tumor sichtbar wird, die Grenzen des Körpers sprengt und nach außen tritt. Hier wird das Destruktive, die destruktive Grenzüberschreitung deutlich sichtbar. In der Regel ist der Krebs ja eher innerlich, aber wenn er sichtbar wird, ist es für alle fast unerträglich. Auch für mich. Dies löst ein Kampf mit den eigenen Aversionen aus, wo man am liebsten davonlaufen möchte und ganz viel Selbstdisziplin braucht, genau dies nicht zu machen.

Die Grenzüberschreitung ist von Anfang an Thema. Am Anfang eben unformuliert, ganz theoretisch, gerade am Anfang ist man sehr beschäftigt mit der Destruktivität der Behandlung. Damit, welche Folgen die Behandlung hat.

Das Thema Tod, die Auseinandersetzung mit dem Tod oder dem drohenden Tod läuft in den Gesprächen permanent mit, manchmal ausgesprochen, aber oft unterschwellig. Als Hintergrundbild, quasi wie ein Filmuntertitel, laufen natürlich auch solche Fragen mit: „Wie wird es bei mir sein?” „Kenne ich diese Symptome?” In keinem anderen psychotherapeutischen Prozess erlebe ich einen solch starken Bezug zu mir selbst wie bei Therapien mit psychoonkologischen Patienten. Was habe ich für eine Einstellung zum Tod? Wo liegen meine Ängste vor dem Sterben und vor dem, was davor ist? Was möchte ich auf keinen Fall erleben? Aber natürlich auch: Welche Wünsche habe ich an das Leben? An mein Leben?

In der Therapie kann ich mich diesen existenziellen Fragen nicht entziehen. Ich habe die gleichen Fragen wie der Patient – und suche ebenso nach Antworten, nach einer Position dazu.

Am Anfang dachte ich, ich müsste dem Patienten vermitteln, ich hätte diese Fragen für mich gelöst, ich stünde darüber. Ich habe meine eigenen Fragen und Unsicherheiten als Inkompetenz oder Insuffizienz erlebt. Das denke ich heute nicht mehr.

Wie wirkt sich das auf die therapeutische Beziehung aus? Welchen Anspruch an dich hattest du?

Das berührt das Thema der professionellen „Überlegenheit” des Therapeuten. Die Position dessen, der den Blick von außen auf das Geschehen behält, der die Psychodynamik im Blick hat, die Therapieziele nicht aus den Augen verliert, dieses sich orientieren können in einer für zwei Seiten noch unbekannten Landschaft. Das macht ja meine professionelle Überlegenheit aus: Halt geben in einem unbekannten Gelände. Im Kontakt mit onkologischen Patienten gerät diese Überlegenheit schnell ins Wanken. Ich weiß, ich kann hier zwar Halt geben, aber ich merke, dass ich als Therapeutin immer wieder ins Schwimmen gerate, wenn es um Tod geht oder um das sinnvolle Nutzen von Leben. Es sind doch auch meine Themen, weil es die Themen von allen Menschen sind.

Erschwert das die Distanzierung?

Insbesondere, weil ich anerkennen muss, dass es der reine Zufall ist, dass der andere an Krebs erkrankt ist und nicht ich … und dass sich das ganz schnell ändern kann! Dieses Wissen läuft immer mit und löst natürlich Angst und Sorge aus. Ich muss daher immer aufpassen, dass diese Furcht, die Angst davor nicht überhandnimmt, auf jeden Fall nicht in der therapeutischen Situation. Ich muss daher sehr viel mehr als in anderen Therapieprozessen meine eigenen Ängste und Fragen kontrollieren, d. h. ich muss sehr viel mehr Arbeit leisten, nicht nur im Halten, sondern auch im Zurückhalten. Das bedeutet einen sehr hohen inneren Aufwand und kostet viel Kraft.

Deswegen ist es gut, manchmal auf die Metaebene zu gehen. So spreche ich mit einem Patienten, der in einer Palliativsituation bei mir in ambulanter Psychotherapie ist und ebenso wie ich gerne liest, über Montaigne[1]. Dieser Philosoph des Mittelalters hat sich absolut moderne Gedanken über alle relevanten Lebensthemen gemacht, fast wie eine Art Selbstanalyse. Eben auch über Tod und Sterben. In diesen Gesprächen mit diesem Patienten unterhalten wir uns z. B. über Montaigne und dessen Ideen und auch ich äußere dazu offen meine Meinung, quasi auf Augenhöhe. Es kann aber auch sein, dass wir über Kochrezepte oder Ähnliches sprechen – er und seine Frau kochen sehr gerne und auch ich bin daran interessiert. Wenn er dann sagt: „Ist das okay, dass wir „nur” über Rezepte sprechen?”, dann entgegne ich, dass wir damit über das Leben und das für ihn Lebenswerte gesprochen haben. Das ist dann die einzige Intervention. Dieses auf Augenhöhe miteinander sprechen, auch über scheinbar Alltägliches passiert häufig in diesen Therapien. Ich bin als Psychotherapeutin viel involvierter, auch persönlich betroffener. Das ist auch gleichzeitig das Geschenk, was diese Therapien mir als Therapeutin geben. Ich werde gezwungen, mich mit diesen Gedanken auseinanderzusetzen, und ich erlebe es als sehr wertvoll, was diese Menschen, die ja viel näher an diesen existenziellen Fragen dran sind, dazu denken.

Diese verstärkte Involviertheit des Psychotherapeuten ist für dich also kein Verlust der professionellen Distanz?

Es ist eine andere Art der Beteiligung, und die Grenze zwischen mir und dem Anderen ist schmaler, der Abstand geringer. Auch hier wiederum das Thema der Grenze und deren Auflösung. Yalom schreibt beispielsweise in seinem Buch „In die Sonne schauen” ein ganzes Kapitel, in dem er explizit nur über sich, seine Gedanken und seinen Umgang mit Tod und Sterben spricht. Diese Involviertheit und das Berührtwerden mit diesen zentralen Themen haben natürlich Auswirkungen, zum Beispiel auf die Selbstbeobachtung eigener körperlicher Sensationen oder auf Ängste vor Krankheiten. Ich habe schneller die Fantasie, es könnte Krebs sein. Die Angst, selbst an Krebs zu erkranken, beobachte ich auch bei Kollegen.

Ist die Angst das Ansteckende, vor dem man sich als Psychoonkologe schützen muss?

Wir haben alle schon erlebt, dass etwas an sich Harmloses wie z. B. Rückenschmerzen in etwas Bedrohliches kippen kann. Wenn man zum Beispiel einen Patienten kennt, der monatelang Rückenschmerzen hatte und bei dem dann ein Plasmozytom oder eine Metastase eines Primärtumors diagnostiziert wurde, dann ist es naheliegend, Ängste bei eigenen Rückenschmerzen zu entwickeln. Auch hier sind Grenzen notwendig, Abgrenzung als Schutz vor eigenen Ängsten.

Häufig berichten ja auch Patienten, dass sie ihre Krebsgeschichte niemand mitteilen, sich die anderen zurückziehen und sie auch Angst haben, sich auch den anderen nicht zumuten wollen.

Ich höre immer wieder von Freunden: „Wie kannst du das nur aushalten? Das kann man doch nicht auf Dauer machen, das macht doch krank.” Das gleiche Phänomen kann man in der Reaktion von Kollegen beobachten. Ich bin jahrelang Mitglied einer Balint-Gruppe gewesen, in der kein einziger etwas mit Krebspatienten zu tun hatte oder im Krankenhaus gearbeitet hat. Wenn ich einen Fall besprechen wollte, folgte in der Regel die Reaktion: „Bitte keine Geschichte mit Krebs, das kann ich jetzt nicht aushalten.” Viele können noch nicht einmal eine Geschichte darüber aushalten, weil sie mit diesem Grauen nicht fertig werden.

Was hält dich in diesem Bereich?

Als ich damals angefangen habe, hat mein Vorgänger gesagt, zwölf Jahre Psychoonkologie reichen. Ich mache es jetzt 14 Jahre, und ich mache es nach wie vor gerne. Ich habe das Gefühl, die Fähigkeit zu haben, diese Haltearbeit zu leisten. Ich habe die Fähigkeit zu trösten, indem ich nicht weglaufe. Zu sehen, was ich mittragen, halten und aushalten kann, erlebe ich als befriedigend. Ich habe das Gefühl, am richtigen Platz zu sein. Natürlich schrecke ich vor der Gewalt, die im Körper entsteht, zurück, aber ich habe trainiert, mein Erschrecken und meine Traurigkeit auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Das ist meine Stärke. Ich könnte jedoch noch mehr darauf achten, dass ich diese Gefühle selbst wieder loswerde, denn manchmal werde ich nachts mit dem Gefühl der Beunruhigung wach.

Was ist für dich hilfreich, um dich im Kontakt mit einem Patienten von der Angst zu distanzieren?

Ich versuche, mich vor dem Gespräch zu sammeln und zu konzentrieren. Mich nicht zu hetzen, langsam zu gehen. Auch das Bewusstsein meiner Rolle als Therapeutin und des Kontextes hilft mir. Im Gespräch schalte ich einen inneren Beobachter dazwischen, fasse dadurch in Worte, was ich beobachte. Im Grunde genommen helfen mir die Ausbildung und das Training in der Gegenübertragung, Gegenübertragungsphänomene zu registrieren und einzuordnen. Aber es gibt natürlich immer wieder Situationen, in denen ich so berührt bin, dass mir die Tränen kommen. Das ist meiner Ansicht nach nicht unprofessionell. Mich so berühren zu lassen, ist auch eine Anerkennung des anderen und eine wichtige Aussage im nichtsprachlichen Bereich. Wenn ich merke, dass ich keine Worte mehr finde und selbst sehr ergriffen oder traurig werde, dann benenne ich es. Dadurch ist das Gefühl wieder in einen Begriff gefasst. Auch eine Distanzierung, Kontrolle.

Was hilft dir, eine hilfreiche Psychoonkologin zu bleiben?

Ich muss der Destruktivität des Krebses etwas Heiles entgegensetzen. Mir persönlich tun eine stille Umgebung und der Anblick schöner harmonischer Dinge gut. Ich schütze mich vor jeder Form von Gewalt zum Beispiel in Filmen, auch wenn es Dokumentationen sind. Ich weiß, dass es Gewalt auf der Welt gibt, aber ich muss mich schützen. Fernsehfilme über Krebs oder Krankenhäuser sehe ich mir natürlich auch nicht an. Für mich ist eine ruhige, reizarme Umgebung wichtig, manchmal sogar eine innerliche Kontaktsperre. Ich mache dann die Schotten dicht und habe keine Lust, irgendeine Sorge oder ein Leid zu hören, ich bin dann wie gesättigt. Gute Kontakte, draußen sein, mich bewegen stärkt mich auch sehr.

Vielen Dank für dieses Gespräch!

1 Michel de Montaigne, 1533–1592 (Anmerkung der Redaktion).