Gesundheitswesen 2011; 73(3): e61-e67
DOI: 10.1055/s-0030-1249644
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Länderspezifische Unterschiede bei den Inanspruchnahmeprofilen grenzüberschreitender Gesundheitsversorgung weisen auf differenzierte Interessenlage und selektive Nutzung hin

Ergebnisse aus einem deutsch-schweizerischen PilotprojektCountry-Specific Differences in the Utilisation Profiles of Cross-Border Health Care Point to Differentiated Degrees of Interest and Selective UseResults of a German-Swiss Pilot ProjectE. Simoes1 , A. Zumbrunn2 , G. Zisselsberger3 , F. W. Schmahl1
  • 1Institut für Arbeits- und Sozialmedizin Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen
  • 2Schweizerisches Gesundheitsobservatorium (Obsan) Eidgenössisches Departement des Innern (EDI) Bundesamt für Statistik (BFS), Neuchâtel, Schweiz
  • 3Landratsamt Landkreis Lörrach, Lörrach
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Publication Date:
29 March 2010 (online)

Zusammenfassung

Ziel der Studie: Das 2007 gestartete Pilotprojekt Lörrach-Basel soll dazu beitragen, für die Bürger/-innen der Region den Grenzeffekt im Gesundheitssektor zu überwinden. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit den Fragen, welche Patientengruppen grenzüberschreitende Behandlungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen, mit besonderer Berücksichtigung der begleitenden Finanzströme, und welche Implikationen diese Inanspruchnahmeprofile für die Gestaltung in Richtung auf eine Gesundheitsregion haben.

Methodik: Analysiert wurden Kostenübernahmeanträge und Routinedaten zu Klinikaufenthalten bei grenzüberschreitenden Behandlungen sowie Daten gesetzlicher Krankenkassen beider projektbeteiligten Länder zur Finanzierung bei Grenzgängern, ergänzend dazu eine Stichprobe aus Routinedatensätzen zu Behandlungen in der Schweiz unter Zusatzversicherungsbedingungen sowie fragestellungsbezogene Inhalte aus Experteninterviews mit Krankenhäusern bzw. Rehabilitationseinrichtungen in beiden Ländern.

Ergebnisse: Bei der tatsächlichen Nutzung des Pilotprojektes durch Schweizer Versicherte zeigte sich im zweiten Projektjahr mit insgesamt 125 Fällen eine ausschließliche Inanspruchnahme im Bereich von Rehabilitationsleistungen. 73% aller Behandlungen fanden in zwei Kliniken statt. Lediglich 8 Behandlungsfälle von deutscher Seite entsprachen den Rahmenbedingungen des Pilotprojektes und betrafen vertragsgemäß Leistungen der hochspezialisierten akut-stationären Versorgung. Die Anfragen zur Kostenübernahme bei deutschen gesetzlichen Krankenkassen betrafen ein breites Leistungsspektrum, das über das Angebot innerhalb des Pilotprojektes hinausgeht. Nur die Hälfte der − nach Anzahl der Anfragen gelisteten − Top 10-Standorte ist auch Partner im Pilotprojekt. Mit Blick auf die gesamte Patientenmobilität in der Grenzregion Basel-Lörrach, einschließlich der über Zusatzversicherungen finanzierten Fälle und Leistungen für Grenzgänger, ausgenommen Privatversicherte und Selbstzahler, zeigt sich für beide Länder eine hinsichtlich der Kosten in etwa ausgeglichene gegenseitige Nutzung der medizinischen Leistungen (Größenordnung: je gegen 4 Mio. Euro). In Basel Versicherte nehmen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung deutlich mehr medizinische Leistungen in Lörrach in Anspruch als Lörracher Versicherte in Basel, im Zusatzversicherungsbereich zeigt sich die umgekehrte Tendenz.

Schlussfolgerungen: Die Unterschiede nach Altersgruppen, Inhalten und Behandlungsorten weisen in Richtung auf das Ausloten von Ergänzungspotenzialen, wenn es darum geht, in Zukunft die grenzüberschreitenden Leistungskataloge dem Bedarf der Region noch besser anzupassen.

Abstract

Aim: The pilot project Lörrach-Basel was implemented in 2007 to reduce the border effect in respect to the health care services for the citizens of the region. The study deals with the questions as to which patient groups utilise cross-border health care, with special regard to the accompanying financial streams, and what implications these utilisation profiles will have for the development of a health region.

Methods: Applications for cost assumption and hospital routine data concerning cross-border care, data of legal health insurance schemes of both participating countries for the financing of border crossers’ medical care, in addition, question-related contents from expert interviews with hospitals or rehabilitation facilities in both countries and a random sample from routine hospital data of treatments in Switzerland under complementary private insurance terms were analysed.

Results: Regarding the actual use of the pilot project by Swiss insured persons in the second project year, an exclusive utilisation appeared in the area of rehabilitation with a total of 125 cases. 73% of all treatments took place in two rehabilitation centres. Only 8 cases from the German side corresponded to the framework of the pilot project and concerned − according to contract − highly specialised in-patient care. The applications for cost assumption addressed to German legal health insurance schemes aimed at a wide spectrum which went beyond the offer within the pilot project’s framework. Only one-half of the top 10 locations by number of applications are a partner in the pilot project. When looking at the whole transnational patient mobility in the border region of Basel-Lörrach, including the cases financed by complementary insurances and schemes for border crossers, but with the exception of private insured persons, a nearly well-balanced mutual use of the medical offers (scale: by 4 million Euros) is found concerning the costs. Persons insured in Basel consume more medical care within the scope of the compulsory health insurance in Lörrach than persons, insured in Lörrach, consumed in Basel; the reverse trend appears for treatment cases financed by complementary insurances.

Conclusions: The differences concerning age groups, contents and kinds of treatment point in the direction of a search for complementary potentials with the aim of adapting the cross-border health care offers to the future needs of the region.

Literatur

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1 Schweizerisches Gesundheitsobservatorium, Eidgenössisches Departement des Innern (EDI) Bundesamt für Statistik (BFS), Neuchâtel, Schweiz.

2 Kompetenz-Centrum Qualitätsmanagement des Spitzenverbandes Bund der Gesetzlichen Krankenkassen und der MDK-Gemeinschaft (bundesweit) beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Baden-Württemberg, Lahr/Schww.

3 http://www.kvg.org, Auskunft Bundesamt für Gesundheit, Schweiz, 2007.

4 Formular E106 wird für Personen mit vorübergehendem Aufenthalt, Entsandte und Grenzgänger/-innen verwendet, Formular E121 für Rentner und pensionierte Grenzgänger/-innen.

5 Das Formular E111 ist der Auslandskrankenschein für Versicherte bei Kurzaufenthalten in einem anderen Staat (z. B. Urlaub oder Geschäftsreise). Dasselbe gilt für das Formular E128, welches für die Entsendung von Arbeitnehmer/-innen in ein anderes Land oder für das Studium im Ausland verwendet wird.

6 Formular E 112.

7 Sechs von 21 Krankenversicherern aus dem Pilotprojekt berichteten insgesamt von 123 000 Euro (Durchschnitt: rund 20 000 Euro pro Krankenversicherung) für Kosten von medizinischen Leistungen in Deutschland (keine Einschränkung auf Landkreis Lörrach) für Versicherte aus den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft mit Spitalzusatzversicherung und Auslandsdeckung. Es ist davon auszugehen, dass Schweizer Krankenversicherer sehr verschieden starke Aktivitäten in diesem Bereich der Zusatzversicherung verzeichnen. Die Werte können deswegen nicht ohne weiteres auf alle Schweizer Krankenversicherer hochgerechnet werden.

8 KVG – Bundesgesetz über die Krankenversicherung (Schweiz).

9 European Free Trade Assoziation.

Korrespondenzadresse

Priv.-Doz. Dr. med. E. Simoes

Institut für Arbeits- und Sozialmedizin

Universitätsklinikum Tübingen

Wilhelmstraße 27

72074 Tübingen

Email: elisabeth.simoes@med.uni-tuebingen.de