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DOI: 10.1055/s-0030-1253143
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Schlaganfall ‐ Das Bobath-Konzept: keine Evidenz für Patienten
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
01. April 2010 (online)
Das Konzept wurde vor über 50 Jahren von Bertha und Karl Bobath zur physiotherapeutischen Behandlung von Säuglingen und Kleinkindern mit Zerebralparesen entwickelt. Doch die Urheberin des Verfahrens empfiehlt es jetzt auch zur Behandlung von schlaganfallbedingten Bewegungsstörungen, und um diese Anwendung geht es im vorliegenden Review. Stroke 2009; 40: 89-97
Das Bobath-Konzept ist für die Behandlung von Patienten mit Schlaganfällen schon seit längerem deswegen in die Kritik geraten, weil es nicht mehr recht zu den aktuellen Vorstellungen über Heilungs- und Kompensationsmechanismen bei hirnorganischen Funktionsausfällen passen will. Die Autoren suchten deshalb nach Arbeiten im Cochrane-Register of Controlled Trials (CENTRAL) und in der Datenbank MEDLINE.
Eingeschlossen wurden Arbeiten über zerebrovaskuläre Schlaganfälle, Arbeiten über Vergleiche mit anderen physiotherapeutischen Behandlungsmaßnahmen, Arbeiten mit RCT-Design (randomized control trials), Arbeiten über die Ergebnisse hinsichtlich sensomotorische Funktionen, Gleichgewichtskontrolle, Mobilität, Rechtshändigkeit, Aktivitäten des täglichen Lebens, Lebensqualität und Kosteneffektivität, Arbeiten in englischer oder niederländischer Sprache, nicht eingeschlossen wurden speziell (anderweitig nicht publizierte) Dissertationen. Von 2263 gefundenen Studien kamen 39 in die engere Auswahl; für die Auswertung waren letztlich nur 16 geeignet.
7 von 16 Studien untersuchten die Bewegungskontrolle der oberen Extremität. 3 Studien zeigten bessere Ergebnisse nicht beim Bobath-Konzept, sondern in anderen Verfahren. 4 Studien zeigten gleiche Ergebnisse für das Bobath-Konzept und das Kontroll-Verfahren. 4 von 16 Studien untersuchten die Bewegungskontrolle der unteren Extremität. 2 dieser 4 Studien zeigten Unterschiede, davon einmal zugunsten des Bobath-Konzepts und einmal zugunsten des anderen getesteten Verfahrens. 4 Studien untersuchten den Effekt auf Gleichgewichtstörungen. 2 davon zeigten Unterschiede, einmal zugunsten und einmal zu Ungunsten des Bobath-Konzepts.
6 Studien untersuchten die Rechtshändigkeit und alle ergaben gleiche Erfolge für die untersuchten Behandlungsverfahren. 5 Studien untersuchten die Mobilität der Patienten, z.B. beim Laufen. Eine Studie stellte Vorteile für das Bobath-Konzept fest, eine weitere Studie Gleichstand mit anderen Methoden und 3 Studien Vorteile bei den anderen Methoden. Hinsichtlich der Aktivitäten des täglichen Lebens ergab sich nur bei einer Untersuchung ein Vorteil beim Baden. Lediglich eine Studie betrachtete die Lebensqualität und fand keine Unterschiede. Nur eine Studie untersuchte die Kosteneffektivität und fand heraus, dass mit einer anderen physiotherapeutischen Methode kürzere Krankenhausaufenthalte möglich waren.
Das Bobath-Konzept stellte sich also nicht als vorteilhaft gegenüber anderen Konzepten heraus. Die Autoren stellten Betrachtungen über die Gründe an. Sie stellten fest, dass sich das theoretische Konzept nach Bobath seit Beginn veränderte und die Befürworter stets versuchten, aktuelle neurophysiologische Erkenntnisse zu implementieren. Jedoch gaben die Studien weder Auskunft darüber, ob das "klassische" Konzept oder eine "Modernisierung" zugrunde lag, noch darüber, welche Übungen tatsächlich angewendet wurden. Einfach ausgedrückt: "Bobath" als black box!
Dieser Umstand konnte Ergebnisse durchaus verzerren, auch zu Ungunsten des Bobath-Konzepts. Bei den Ergebnissen zum Gleichgewicht zum Beispiel geht das Bobath-Konzept – völlig ungeprüft – davon aus, dass eine gleichmäßige Gewichtsverteilung auf beide Beine – das gelähmte und ungelähmte – eine bessere Standkontrolle ermöglicht, während einige Arbeitsgruppen eine bessere Standkontrolle bei Gewichtsverlagerung auf das nicht gelähmte Bein nachwiesen. Die Autoren des Reviews führen weitere Beispiele für unbewiesene Annahmen als Grundlage des Bobath-Konzepts im Widerspruch zu aktuellen Forschungsergebnissen an.
Eine Schlüssel- (und Glaubens-) Frage scheint zu sein, ob spontane Kompensationsmechanismen die Heilung stören und daher unterdrückt werden sollten oder vielmehr zum schnelleren und effektiveren Zurechtkommen im Alltag ausgenutzt und ausgebaut werden sollten.