Z Orthop Unfall 2010; 148(2): 126-127
DOI: 10.1055/s-0030-1253299
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell

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Lernen von den Niederlanden – "Entscheidend gegen MRSA ist eine Antibiotikapolitik"

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Publication Date:
07 April 2010 (online)

 

Dr. Ron Hendrix (Jahrgang 1958) ist Facharzt für Klinische Mikrobiologie am Medisch Spectrum in Twente – dem größten Krankenhaus der Niederlande. Zugleich ist er Leiter bei Eursafety Health-Net – einem deutsch-niederländischen Projekt zur Bekämpfung von MRSA&Co. Hier erläutert er, wie sich Infektionsraten mit resistenten Erregern niedrig halten lassen.

Dr. Ron Hendrix

? Herr Hendrix, ist es wirklich so, dass niederländische Patienten Angst haben, wenn sie zur Behandlung nach Deutschland gehen, sich dort neu mit gefährlichen resistenten Erregern zu infizieren?

Das ist so, ja. Wenn ich als Niederländer für eine neue Hüfte in ein deutsches Krankenhaus gehe, dann machen die Deutschen dort eine großartige Chirurgie. Eine echte Chance, denn in den Niederlanden gibt es weniger Kapazitäten. Wenn solch ein Patient aber zurückverlegt wird, geht er erst in Isolation, bis wir nachgewiesen haben, dass er keine gefährlichen Keime hat. Genau das wollen wir jetzt ändern.

? In Deutschland haben 20 Prozent und mehr aller Patienten, die eine Infektion mit Staphylococcus aureus tragen, einen MRSA-Stamm, der gegen das Antibiotikum Methicillin resistent ist. In den Niederlanden sind die Werte so viel niedriger?

Ja, wir haben de facto Null. In den Niederlanden gibt es kein MRSA-Problem. Vor allem im Süden Europas steigen die MRSA-Raten auf bis zu 50 %.

? Wie schaffen Sie das? Sie testen jeden Patienten schon bei der Aufnahme im Krankenhaus auf MRSA und andere resistente Erreger?

Nein, das gibt es nicht. Sie werden aufgenommen und operiert, ganz normal.

? Es gibt kein Screening in den Niederlanden auf MRSA?

Nee. Das brauchen wir nicht, denn wir haben kein MRSA-Problem. Anders ist das, wenn bei uns Patienten aus einem anderen Land oder eben "Rückkehrer" aufgenommen werden, etwa aus Deutschland. Dann wird gescreent. Auch ein Arzt aus Deutschland, der bei uns neu arbeiten will, wird untersucht.

? Und wie geht es dann mit einem Patienten weiter?

Solange wir auf das Testergebnis warten, bleibt er im Krankenhaus in Isolation.

? Wie lange?

Wenn das Testergebnis negativ ist, drei Tage. Wenn es positiv ist, kann es wegen Kontrollen fünf Tage dauern.

? Angenommen, das Ergebnis ist positiv, was machen Sie dann?

Auch dann wird die Behandlung ganz normal stattfinden. Aber wir ergreifen Vorsichtsmaßnahmen. Der Patient wird weiterhin isoliert versorgt in einem Einzelzimmer. Ärzte oder Pflegepersonal müssen eine Schleuse passieren. Und nach der Operation wird der OP-Saal eigens desinfiziert. Dadurch gelingt es uns, eine Infektion anderer Patienten zu verhindern. In Deutschland weiß man hingegen häufig gar nicht, ob jemand MRSA-Träger ist oder nicht.

? Das könnten wir besser machen?

Ich rede nicht von "besser". Ich spreche nicht über gut oder schlecht. Aber sicherlich könnte man in Deutschland etwas anders machen. Dabei liegt die Lösung des Problems wesentlich tiefer.

? Wo?

Es läuft grundsätzlich etwas falsch. Nicht nur in Deutschland sondern fast in ganz Europa. Das Problem MRSA und anderer resistenter Erreger liegt an der fehlenden Antibiotikapolitik.

? Was heißt das?

Wenn in den Niederlanden ein Patient mit einer Infektion im Krankenhaus aufgenommen wird, dann ist ganz genau geregelt, welche Antibiotika man verschreiben darf und welche nicht.

? Das regelt das Gesundheitsministerium?

Nein. Auf Landesebene gibt die Niederländische Arbeitsgruppe für Antibiotikapolitik (Anm. Redaktion: Acronym SWAB) Vorschläge heraus, welche Antibiotika überhaupt zum Einsatz kommen sollen. Es sind Richtlinien, die abgesprochen sind unter den Experten. Das basiert auf Freiwilligkeit.

? Und dann?

Die Richtlinien werden auf Lokalebene von Kommissionen angepasst. An unserem Krankenhaus bin zum Beispiel ich letztendlich verantwortlich dafür. Ich verschaffe mir laufend ein Bild darüber, was die Keime für eine Resistenz haben, und mache Vorschläge, welche Antibiotika die Ärzte nutzen dürfen und welche nicht.

? Voraussetzung ist dann aber doch, dass Sie Patienten auf Erreger testen? Wenn nicht bei der Aufnahme, wann dann?

Immer dann, wenn Leute eine Entzündung haben. Wenn Patienten mit hohem Fieber und Verdacht auf eine Sepsis aufgenommen werden, verabreichen wir sofort ein einfaches Breitbandantibiotikum, etwa Amoxicillin oder Gentamicin. Das können wir uns leisten, denn das Risiko, dass jemand einen hochresistenten Erreger trägt, gegen den solche Mittel nichts mehr ausrichten, ist eben sehr sehr gering. Aber natürlich testen wir dann auf die Erreger.

? Um zu sehen, ob das Antibiotikum auch anschlägt..

Nein, vor allem, um zu testen, ob es tatsächlich eine Infektion gibt.

? Wie bitte?

Wenn jemand Fieber hat, können auch andere Krankheiten, etwa Krebs, die Ursache sein. Um den Patienten rasch zu schützen, kriegt er sofort Antibiotika. Dann aber muss man binnen zwei bis drei Tagen eine Abstufung finden – sind Erreger am Werk, welche Erreger sind am Werk, müssen wir die Therapie womöglich anpassen... Dieser gezielte Gebrauch der Mittel, die Antibiotikapolitik, führt dazu, dass wir keine Resistenzen heran züchten.

? Und das findet in Deutschland viel seltener statt?

Gar nicht. In Deutschland gibt es in meinen Augen keine Antibiotikapolitik. Die Paul-Ehrlich-Gesellschaft gibt zwar Vorschläge, aber keiner berücksichtigt das.

? Woran liegt das?

Es gibt in Deutschland für das ganze Land weniger Medizinische Mikrobiologen als in den Niederlanden. Wir haben hier etwa 200, die in jedem Haus ständig präsent sind.

? Was machen Sie?

Ich bin täglich auf den Stationen, rede mit den Ärzten, sage Ihnen, was gut läuft und was weniger gut. Und wenn zum Beispiel ein Facharzt für Innere Medizin ein Antibiotikum verschreibt, mit dem ich nicht einverstanden bin, dann ist es normal, dass mich der Krankenhausapotheker anruft und sagt, der hat das und das verschrieben, was hälst du davon? In dem Fall rufe ich gleich den Kollegen an und frage nach.

MRSA ist durchschnittlich für jede vierte schwere Staphylococcus-aureus-Infektion in Deutschland verantwortlich. (Bild: H. Hof. Medizinische Mikrobiologie. Thieme 2005).

? Wie ist das bei den niedergelassenen Ärzten? Arbeiten Sie da auch?

Ja. Wir beraten auch die Hausärzte. Fachärzte arbeiten in den Niederlanden direkt an einem Krankenhaus, so dass wir sie unmittelbar beraten können.

? Muss Ihnen jeder Arzt Folge leisten?

Ich habe keine Sanktionsmöglichkeiten, aber die brauche ich auch nicht. Die meisten, die anrufen, kenne ich schließlich persönlich.

? Stichwort Händehygiene. Desinfizieren sich die Ärzte in den Niederländern besser die Hände als andernorts?

Nein, das wissen wir aus Studien. Aber es ist nicht allein die richtige Hygiene. Es ist vielmehr ein Zusammenspiel zwischen guter Erregerdiagnostik, guter Beratung nebst Hygiene. Nur zusammen führt das zu niedrigen MRSA-Raten.

? Sie sind Mitkoordinator eines deutsch-niederländischen Projekts zu MRSA. Was passiert da?

2003 entstand zunächst das MRSA-net Twente/Münsterland. Die Idee kam von meinem Freund Axel Friedrich vom Universitätsklinikum Münster. Jetzt beginnt das Nachfolgeprojekt Eursafety Health-Net.

? Und was läuft konkret?

Beim MRSA-net haben wir in vielen Kreisen in der Grenzregion eine enge Zusammenarbeit zwischen Gesundheitsdiensten, Niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern erreicht und eben eine Antibiotikapolitik verbreitet.

Außerdem vergeben wir ein Gütesiegel an Krankenhäuser, die bestimmte Punkte gegen MRSA erfüllen: Das Qualitätssiegel MRSA-Net. Nach diesem Zertifikat können Patienten heute fragen.

? Und was kommt jetzt neu?

Bei Eursafety Health-Net soll möglichst die gesamte Grenzregion mitmachen von Aachen bis zur Küste. Auch einige belgische Regionen sind dabei. Und ein neues Gütesiegel wird noch stringenter ausweisen, dass Häuser wirklich eine Antibiotikapolitik machen.

? Wer finanziert das Projekt?

Die 8,1 Millionen Euro für die nächsten fünf Jahre kommen aus dem so genannten Interreg IV A-Programm Deutschland-Nederland der Europäischen Union.

? Gibt es in teilnehmenden Kliniken auf deutscher Seite Erfolge?

Ja, etwa am Universitätsklinikum Münster ist das bewiesen. Mancherorts in der Grenzregion sind die MRSA-Raten heute nach neuen Zahlen auf beiden Seiten niedrig. Wenn Deutschland flächendeckend eine entsprechende Antibiotikapolitik aufsetzt, Netzwerke aufbaut, Beratung von Mikrobiologen einführt, lassen sich die Raten von resistenten Keimen deutlich absenken.

? Dann müssten jetzt viele deutsche Krankenhäuser neue Stellen für einen Mikrobiologen einrichten?

Manche sicher. Denkbar ist aber auch, dass mehrere kleinere Häuser, über Kreisgrenzen hinweg, zusammen arbeiten. Wer aus Nachbarkreisen uns hier in Twente anruft, bekommt Unterstützung.

Das Interview führte Dr. Bernhard Epping