Zeitschrift für Palliativmedizin 2010; 11(3): 94-96
DOI: 10.1055/s-0030-1254262
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Kooperationsvertrag zwischen dem PalliativNetz Osthessen und dem Rettungsdienst Landkreis Fulda - Kooperation von ambulanten palliativ- und notfallmedizinischen Strukturen

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Publikationsdatum:
25. Mai 2010 (online)

 

Die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) stellt in Deutschland seit 2007 einen Rechtsanspruch für Palliativpatienten mit lebenslimitierenden Erkrankungen dar (SAPV gemäß §37b und 132d Sozialgesetzbuch V). Ambulante Versorgungsmodelle ermöglichen es Palliativpatienten, ihrem Wunsch entsprechend, häufig bis zum Ende ihres Lebens in ihrer häuslichen Umgebung zu verbleiben [1]. In weit fortgeschrittenen Erkrankungsstadien treten allerdings auch gehäuft Symptomexazerbationen (beispielsweise akute Dyspnoe, Bewusstseinseintrübungen, Schmerzexazerbationen) auf [2]. Diese führen bei nicht ausreichender ambulanter Versorgungsstruktur oftmals zu einer Alarmierung des Rettungsdienstes [3], [4], [5], [6], [7].

Notfallmediziner sind häufig nicht genügend für die speziellen palliativmedizinischen Anforderungen vorbereitet und ausgebildet [6], [7], [8], [9]. Aus diesen Gründen kommt es gerade am Lebensende während aufgetretener Akutsituationen oftmals zu Behandlungsszenarien (beispielsweise Reanimationen, Klinikeinweisungen), die sowohl von den Patienten als auch von ihren betreuenden Angehörigen nicht gewünscht wären, könnten diese in Ruhe darüber nachdenken [7].

Explizite notfallmedizinische Leistungen und Behandlungsalgorithmen sind in solchen Einsatzsituationen erforderlich und wären mit entsprechender Kenntnis und Zeit vor Ort ambulant möglich. Oftmals ist eine symptomkontrollierende Therapie (beispielsweise Beseitigung der Dyspnoe, suffiziente Analgesie) in Kombination mit qualifizierten Gesprächen, Medikamentenbereitstellung bis zur möglichen Nachversorgung durch die zuständige Apotheke, allgemeine Unterstützung des häuslichen Versorgungssystems, Entspannung der psychosozialen Belastungssituation sowie der Bahnung einer adäquaten Weiterversorgung der Patienten im Sinne palliativmedizinischer Behandlungsziele wirkungsvoll, um die Akutsituation sinnvoll zu therapieren [7].

Somit stellt sich für den Notfallmediziner oftmals der Konflikt zwischen einer patientenorientierten und die patientenbezogene Lebensqualität fördernden sinnhaften Therapie und seiner Garantenpflicht in Bezug auf eine schnelle Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit für die weitere Notfallversorgung. Dieser Konflikt lässt sich oftmals nur durch eine zügige Klinikeinweisung des Patienten lösen. Eine solche gilt es aber in den meisten Fällen (insbesondere bei sterbenden Patienten) unbedingt zu vermeiden. Hierzu fehlt es aber in der strukturellen Versorgung oftmals an Ansprechpartnern und speziellen Versorgungssystemen, um den Patienten so einer adäquaten Weiterversorgung zuzuführen [10]. Solche Systeme sind beispielsweise bei neurologischen und kardialen Notfällen seit langem etabliert (Stroke Unit, Herzkatheterbereitschaft).

Ein Lösungsmodell hierzu ist die Integration ambulanter palliativmedizinischer Spezialversorger in notfallmedizinische Strukturen. Ein solches Modell ist allerdings nur in Ausnahmefällen möglich, da Palliative Care Teams (PCT) mit einer kontinuierlichen 24-Stunden-Bereitschaft in Deutschland bei weitem noch nicht flächendeckend existieren. Weiterhin bestehen auch keine Kooperationsverträge zwischen den Rettungsdienstträgern und den Verantwortlichen der PCT. Für eine solche Kooperation bedarf es zusätzlich dezidierter Vereinbarungen zwischen den Trägern beider Systeme. Nur so kann dem Notfallmediziner eine adäquate Hilfestellung zu jeder Tageszeit angeboten werden und auch dem palliativmedizinischen Versorger eine Vorbereitung auf solche Anfragen ermöglicht werden. Eine offizielle Vereinbarung beinhaltet für alle Beteiligten eine Handlungsdefinition und eine entsprechende Handlungssicherheit.

Diese wichtigen Fakten berücksichtigt die 2010 geschlossene Vereinbarung zwischen dem Landkreis Fulda als Träger des Rettungsdienstes und dem PalliativNetz Osthessen. Konzeptionell ist die notärztliche Einschätzung der Situation beim Patienten entscheidend für die Anforderung des PCT. Eine vorliegende Patienten- oder Betreuungsverfügung kann hilfreich sein, ist aber keine Bedingung. Die Alarmierung des PCT kann zur Sterbebegleitung des Patienten und seiner Angehörigen, zur Klärung spezieller palliativmedizinischer Fragestellungen im Rahmen einer adäquaten Symptomkontrolle aber auch zur Klärung von die allgemeine Patientenversorgung betreffenden Problemen erfolgen. Unter einer einheitlichen Telefonnummer kann der Notarzt mit einem Palliativmediziner/Ansprechpartner des PCT die beim Patienten bestehende Akutsituation sowie das weitere Vorgehen besprechen. Das PCT übernimmt dann bei entsprechendem Bedarf in der Folge die medizinische und psychosoziale Betreuung des Patienten und seiner Angehörigen. Nach Klärung des weiteren Procedere und der Zuführung des Patienten an das PCT steht der Notarzt der Notfallrettung wieder uneingeschränkt zur Verfügung.

Die Kostensituation für einen solchen Einsatz des PCT wird nicht zwischen dem Rettungsdienstträger und dem PCT abgerechnet, sondern die Abrechung erfolgt durch den Träger des PCT mit den Krankenkassen im Rahmen einer spezialisierten ambulanten Palliativversorgung. Von besonderer Bedeutung ist in der Vereinbarung auch die Möglichkeit weitere PCT (bei entsprechender Verfügbarkeit und Bereitschaft zur Teilnahme) in die Kooperation zu integrieren.

Klinische Studien zur Projektevaluation sind erforderlich und haben hierzu bereits begonnen. Dank gilt in diesem Zusammenhang den Initiatoren dieser Kooperation (Landkreis Fulda und PalliativNetz Osthessen) für die Unterstützung dieses Projekts und für die Bereitstellung der notwendigen Informationen.

Literatur

  • 01 Hanekop GG, Kriegler M, Görlitz A, Bautz MT, Ensink FBM. In: Aulbert E, Klaschik E, Schindler T (Hrsg) Ambulante Palliativmedizin (in Palliativmedizin, Bd. 6).  Schattauer, Stuttgart New York. 2003;  66-79
  • 02 Nauck F, Alt-Epping B. Crisis in palliative care - a comprehensive approach.  Lancet Oncol. 2008;  133 1745-1749
  • 03 Sommer J, Müller-Busch C, Flender HJ, Korth M, Bach F, Mertzluft F. Palliativpatienten und Notfallmedizin. Abstract Kongress der "Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensivmedizin (DIVI)".  Hamburg. 2008; 
  • 04 Wiese C, Bartels U, Ruppert D, Quintel M, Graf BM, Hanekop GG. Versorgung von Patienten mit Tumorerkrankungen im finalen Stadium durch Notärzte.  Anaesthesist. 2007;  56 133-140
  • 05 Wiese CH, Vossen-Wellmann A, Morgenthal HC, Popov AF, Graf BM, Hanekop GG. Emergency calls and need for emergency care in patients looked after by a palliative care team: Retrospective interview study with bereaved relatives.  BMC Pall Care. 2008;  7 11
  • 06 Wiese CH, Bartels UE, Ruppert D, Marung H, Luiz T, Graf BM, Hanekop GG. Treatment of palliative care emergencies by prehospital emergency physicians in Germany: an interview based investigation.  Palliat Med. 2009;  23 369-373
  • 07 Wiese CH, Bartels UE, Marczynska K, Ruppert D, Graf BM, Hanekop GG. Quality of out-of-hospital emergency care depends on the expertise of the emergency medical team - a prospective multicentre analysis.  Support Care Cancer. 2009;  17 1499-1506
  • 08 Salomon F. Entscheidungskonflikte am Notfallort.  Anaesthesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2000;  35 319-325
  • 09 Salomon F. Palliativmedizinische Kompetenz im Rettungsdienst? Der alleingelassene Notarzt.  Notfall Rettungsmed . 2005;  8 542-547
  • 10 Radbruch L, Voltz R. Was ist speziell an der speziellen ambulanten Palliativversorgung? .  Schmerz . 2008;  22 7-8