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DOI: 10.1055/s-0030-1255649
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Bedeutung und Verbreitung der Grippe-Impfung
Publication History
Publication Date:
19 July 2010 (online)
Loeb M, Russell ML, Moss L et al. Effect of influenza vaccination of children on infection rates in Hutterite communities. JAMA 2010; 303: 943 – 950
Die Influenza stellt jährlich eine bedeutende Ursache für eine erhöhte Morbiditäts- und Mortalitätsrate dar mit einer weiteren Steigerung bei Auftreten einer Pandemie. Die vorbeugende Immunisierung sollte daher genutzt werden, um die ungehemmte Verbreitung der Viren innerhalb der Gesamtpopulation zu limitieren, da insbesondere Risikogruppen vor einer Infektion zu schützen sind. Bei der Verbreitung von Influenza spielen Kinder und Heranwachsende eine maßgebliche Rolle, so dass eine Impfung eine hilfreiche vorbeugende Maßnahme zur Reduktion der Influenzaausbreitung sein kann. Die bisherigen Studien zu diesem Thema sind aber unvollständig oder eingeschränkt. In der Regel ist es unmöglich, eine Gesamtpopulation zu randomisieren. Aus diesem Grunde wurden für diese Studie Hutterergemeinschaften ausgewählt. Hutterer leben in Familienverbänden in nach außen weitgehend abgeschlossenen Gemeinschaften – sogenannte Kolonien. Dennoch kommt es auch in ihrer Gemeinschaft trotz der relativ von der Außenwelt abgeschotteten Lebensweise regelmäßig zu Erkrankungen mit Influenza.
Für die vorliegende Studie wurden geeignete Gemeinschaften ausgewählt und in 2 Studiengruppen eingeteilt. In der einen Gruppe mit 1773 Teilnehmern wurden (von insgesamt 633 Kinder) 502 Kinder (79,3 %) ab 3 Jahren bis 15 Jahren gegen Influenza geimpft. In der Kontrollgruppe mit 1500 Teilnehmern (davon 553 Kinder) erhielten 445 Kinder (80,5 %) ebenfalls eine Impfung, allerdings gegen Hepatitis A. Nach der Impfung wurden alle Mitglieder der beiden Untersuchungsgruppen als Studienteilnehmer beobachtet. Bei Verdacht auf eine Influenzaerkrankung wurde mittels einer RT-PCR die Diagnosesicherung durchgeführt. Insgesamt traten 239 Erkrankungsfälle bei den geimpften Studienteilnehmern auf. Davon waren 80 (4,5 %) Fälle in der Gruppe der gegen Influenza geimpften Kindern und 159 (10,6 %) in der Gruppe der gegen Hepatitis A geimpften Kinder zu beobachten. Bei Auswertung der erhobenen Zahlen lässt sich die Rate des indirekten Impfschutzes mit 59 % angeben. Die Influenzaimpfung von rund 80 % der 3 – 15-jährigen Kinder führte in der Gemeinschaft zu einem signifikant erhöhten Schutz der gesamten Gemeinschaft.
Jiménez-García R, Hernández-Barrera V, Carrasco-Garrido P et al. Coverage and predictors of adherence to influenza vaccination among Spanish children and adults with asthma. Infection 2010; 38: 52 – 57
Eine Influenzainfektion wird regelmäßig als Ursache für die Verschlechterung des Zustandes von Patienten mit Asthmaleiden genannt. Asthmatiker sind zudem in höherem Maße gefährdet, zusätzliche Komplikationen bei einer Influenzainfektion zu entwickeln. Es kann zu stärkeren Symptomen im Rahmen der Erkrankung kommen, zu vermehrten Krankenhauseinweisungen sowie höherer Mortalität. Studien haben gezeigt, dass die Grippeimpfung für Asthmatiker sicher ist und nicht zu einer Verschlechterung ihres Grundleidens führt. Obgleich bisher eine eindeutige Evidenz für den positiven Effekt der Influenzaimpfung aussteht, wird diese von den Gesundheitsbehörden vieler europäischer Länder und der USA für Asthmatiker empfohlen. In Spanien sind alle Asthmatiker in die jährliche Impfkampagne aufgenommen. Gleichwohl nehmen weniger als 50 % der bekannten Asthmaerkrankten dieses kostenlose Angebot wahr. Dies zeigen auch die Zahlen von 2003: Betroffene Kinder wiesen eine Impfrate von 19,9 % auf, obschon bekannt ist, dass bei knapp einem Drittel (28,6 %) dieser Gruppe eine Infektion zu einem Krankenhausaufenthalt führt.
Das Ziel der im Artikel beschriebenen Studie war es, die Durchimpfungsrate von spanischen Kindern und Erwachsenen mit Asthma abzuschätzen und die Faktoren zu beschreiben, welche mit der Impfung in Zusammenhang stehen. Dazu wurden die Daten der spanischen nationalen Gesundheitsstudie unter der Obhut des spanischen Gesundheits- und Verbraucherministeriums von 2006 genutzt. Zur Datensammlung wurden in repräsentativen Haushalten persönliche Interviews im Zeitraum Juni 2006 bis Juni 2007 durchgeführt. Es wurde unterschieden zwischen Kindern (≥ 6 Monate bis 16 Jahre) und Erwachsenen (> 16 Jahre). Studienteilnehmer wurden als Asthmatiker klassifiziert, wenn folgende Frage bejaht wurde: „Hat Ihr Arzt bestätigt, dass Sie oder Ihr Kind aktuell an Asthma leiden?” Der Impfstatus wurde erfragt mit „Erhielten Sie oder Ihr Kind eine Grippeimpfung während der letzten Impfkampagne?”
Als mögliche Einflüsse auf das Impfverhalten wurden soziodemografische Variablen (Alter, Geschlecht, Bildungsstand und Einkommen), Lebensstil und gesundheitsassoziierte Variablen (Gesundheitszustand, chronische Erkrankungen, Tabakkonsum und Nutzung des Gesundheitswesens) berücksichtigt.
Die statistischen Analysen schlossen 3 Phasen ein:
Zuerst wurde das Auftreten von Asthmatikern in Zusammenhang mit den Studienvariablen aufgezeigt, dazu erfolgte der Vergleich mit Nicht-Asthmatikern. Ein bivariater Vergleich führte im zweiten Schritt zur Betrachtung der Impfrate bei Asthmatikern und Nichtasthmatikern in Bezug auf die Studienvariablen. Desweiteren wurde ein multivariantes logistisches Regressionsmodel genutzt, um zu zeigen, welche der Variablen mit der Influenzaimpfung im Zusammenhang stehen.
Insgesamt wurden Aufzeichnungen von 38 329 Personen (8851 Kinder ≥ 6 Monate, 29 478 Erwachsene ≥ 16 Jahre) analysiert. 2337 (6,1 %) berichteten, dass ihr Arzt ihnen mitgeteilt hat, dass sie an Asthma leiden. Von diesen waren 32,6 % gegen Influenza geimpft.
Die Impfrate bei Kindern mit Asthma lag bei 18,8 % und damit signifikant höher als bei nicht-asthmatischen Kindern (5,9 %). Einen signifikanten Einfluss auf die Impfrate bei Kindern hatte die Einschätzung des Gesundheitszustandes des Kindes durch die Eltern als „schlecht”. Weiterhin spielte das monatliche Einkommen der Eltern (höhere Impfrate bei Einkommen ≤ 1800 €) eine Rolle. Wie bei den Kindern lag die Impfrate auch bei den erwachsenen Asthmatikern (38 %) insgesamt höher als bei den erwachsenen Nicht-Asthmatikern (21,6 %). Die Impfrate stieg mit höherem Alter signifikant an (≥ 65 Jahre, 77,8 %). Nichtraucher oder ehemalige Raucher, chronisch Kranke und Personen, welche in den letzten 4 Wochen einen Arzt/Krankenhaus besucht hatten, zeigten ebenfalls eine signifikant höhere Impfrate. Ebenso führte ein Body-Mass-Index (BMI) ≥ 30 zu einem signifikant besseren Impfverhalten. Überraschenderweise korrelierten ein höherer (in der Studie nicht näher erläuterter) Bildungsstand (20,81 %) sowie höhere (> 1800 €) monatliche Einkommen (23,64 %) mit einer signifikant niedrigeren Impfrate. Bei 91,4 % (Kinder) respektive 85,4 % (Erwachsene) wurden als Motivationsfaktor zur Influenzaimpfung angegeben, dass ihr/ein Arzt dazu geraten hat.
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Empfehlungen für die Impfung gegen Influenza in Spanien nicht in ausreichendem Maße erfüllt werden. Weniger als ein Drittel der Asthmatiker war im Jahr 2006 gegen Influenza geimpft. Die Zahlen liegen niedriger als in den USA, entsprechen aber den Zahlen anderer europäischer Länder. Einen signifikanten Einfluss auf die Impfrate bei Kindern hat die Einschätzung des Gesundheitszustandes des Kindes durch die Eltern. Wird der Gesundheitszustand als „schlecht” eingeschätzt, wird auch die Gefahr, einen schweren Asthmaanfall zu bekommen, höher eingeschätzt. Das höhere Alter (≥ 65 Jahre) als Faktor für eine bessere Impfrate kann auch in anderen Studien beobachtet werden. Zurückzuführen ist es wohl hauptsächlich auf den Eintritt in die Altersgruppe, in der Impfungen allgemein häufiger empfohlen werden. Daneben können Faktoren wie vermehrtes Auftreten chronischer Krankheiten oder allgemein schlechterer Gesundheitszustand eine Rolle spielen. Bedenklich ist die niedrige Impfrate unter Rauchern mit Asthma, da sie mit chronischen Atemwegserkrankungen ein erhöhtes Risiko für eine Verschlechterung ihres Zustandes haben.
Gründe für die niedrige Impfrate unter Asthmatikern sind sowohl bei den Patienten als auch beim medizinischen Personal zu suchen. Ergänzend zu den üblichen Hindernissen (Verfügbarkeit des Impfstoffes, Termin, Kosten und Bequemlichkeit), eine Impfung vornehmen zu lassen, könnten Fehlinformationen und Unwissenheit (der Eltern) über den Nutzen der Impfung sowie der Angst vor nachteiligen Effekten und Nebenwirkungen spielen. Mangelhafte Kenntnisse auf Seiten des betreuenden medizinischen Personals über die Wirkungsweise und den Nutzen der Influenzaimpfung (gepaart mit einer unbegründeten Angst vor Nebenwirkungen) an sich und bei Asthmapatienten im Besonderen kann zu Vorbehalten gegenüber einer sinnvollen Präventionsmaßnahme führen. Welch starken Einfluss die Empfehlung des behandelnden Arztes auf das Impfverhalten hat, konnte die Studie deutlich belegen. Von daher ist es dringend erforderlich, sowohl Patienten als auch medizinisches Personal über die Wichtigkeit und Verträglichkeit der Grippeimpfung u.a. für Asthmatiker aufzuklären. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf Kinder, jüngere Erwachsene und Raucher gelegt werden.
Fazit: Obwohl Impfungen zu den wichtigsten präventiven Maßnahmen bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten gehören, ist die Bereitschaft gerade für eine Grippe-Impfung gering. Die jahrelange Erfahrung und millionenfache Einsatz des Grippeimpfstoffes bestätigen die gute Wirksamkeit und geringe Nebenwirkungsrate. Durch eine Impfung wird der Einzelne vor einer Erkrankung geschützt, gleichzeitig leistet er zusätzlich einen Beitrag zur sogenannten Herdimmunität, die für Risikogruppen einen wesentlichen Schutz darstellen kann. Dieser Tatsache fällt eine große Bedeutung zu, wie die Studie in den Hutterergemeinschaften zeigen konnte. Beide vorgestellten Studien verifizieren die grundsätzlichen Aussagen zur Grippe-Impfung und bestätigen ihren individuellen und gesellschaftlich hohen Nutzen. Gerade dem medizinischen Personal kommt hier eine entscheidende Vorbildfunktion zu, jedoch ist deren Impf-Akzeptanz mit knapp 20 % [Krankenh.hyg. up2date 2008; 3: 196 – 201] erschreckend gering. Mit Sicherheit führen mangelhafte Informationen und unzureichende Kenntnisse in Bezug auf Wirkstoffe, Adjuvantien und Nebenwirkungen zu der geringen Impfbereitschaft. Dieser Aspekt ist als besonders kritisch zu betrachten, da nur richtig und ausreichend umfänglich informiertes Personal die erforderlichen (für die Entscheidung benötigte) Auskünfte an die Bevölkerung geben kann. In dieser Schüsselposition kann sachkundiges medizinisches Personal die Impfbereitschaft in der Bevölkerung zweifelsohne erhöhen. Je höher der Kenntnisstand (nicht nur aber) gerade innerhalb des medizinischen Fachpersonals ist, desto geringer ist die Gefahr, dass durch unbelegte Einzelmeinungen und persönliche Äußerungen in den Medien ein negativer Einfluss auf die Gesamtbevölkerung ausgeübt wird, mit im Falle von Risikopatienten fatalen persönlichen Auswirkungen. So räumte unlängst Prof. Dr. Christoph Fuchs, Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer, selbstkritisch ein, dass „Einzelmeinungen von Ärztinnen und Ärzten … zur Verunsicherung bei der Bevölkerung und durchaus auch innerhalb der Ärzteschaft” hinsichtlich des Schweinegrippeimpfstoffes geführt und zu der geringen Impfbereitschaft beigetragen haben, obwohl der Impfstoff sich als wirksam und sicher erwiesen hat [Dtsch Arztebl 2009; 106: A-2500]. Im Falle einer (erneuten) Pandemie mit einem hochvirulenten (weniger „gutmütigen”) Grippestamm als der „Schweinegrippe” können unbedachte Äußerungen besonders folgenreich werden.
Dr. med. Ernst Tabori, Dr. med. Eva Fritz, Freiburg