Radiologie up2date 2011; 11(3): 193-194
DOI: 10.1055/s-0030-1256716
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Neurothrombektomie – Muss die Schlaganfall-Landschaft verändert werden?

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Publication Date:
05 September 2011 (online)

Der ischämische Schlaganfall ist eine plötzlich einsetzende Funktionsstörung des Gehirns, die zu einer Unterversorgung der betroffenen Hirnregionen mit Sauerstoff und Nährstoffen führt. Dies kann zum Verlust wichtiger Fähigkeiten, wie z. B. Bewegung, Sprache oder Sehen führen. In Deutschland erleiden jährlich ca. 250 000 Personen einen Schlaganfall. Seit Mitte der 90er-Jahre wurden in Deutschland sog. Stroke Units eingeführt, die sich als Spezialeinrichtungen um diese akuten Schlaganfallpatienten kümmern.

Diese Stroke Units werden in regionale und überregionale Einheiten unterteilt, sind meist im Krankenhausbedarfsplan verankert und werden in der Regel von der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft zertifiziert.

Zurzeit werden etwa 60 – 70 % aller akuten Schlaganfälle in Kliniken mit zertifizierten Stroke Units versorgt. Dabei ist die Schlaganfallversorgung auf den deutschen Stroke Units im DRG-System gut abgebildet, sodass von den Krankenhäusern in der Regel strukturelle und auch personelle Ressourcen ausreichend bereitgestellt werden. Allerdings hat diese Tatsache in der Vergangenheit auch zur Gründung einer Vielzahl kleinerer Stroke Units in zahlreichen Krankenhäusern geführt.

Die therapeutischen Möglichkeiten dieser kleineren Stroke Units beschränken sich auf die Optimierung der Vitalfunktion des Patienten, die Einleitung einer Frührehabilitation und natürlich in der akuten Phase auch auf die Durchführung einer medikamentösen Thrombolyse. Der Schlaganfall stellt aber insgesamt eine sehr heterogene Krankheitsgruppe mit sehr unterschiedlichen Pathomechanismen dar. Etwa 20 % aller Schlaganfälle werden durch eine Hirnblutung verursacht, von den verbliebenen sog. ischämischen Schlaganfällen sind wiederum etwa 20 % der Patienten von Gefäßverschlüssen der großen Hirngefäße betroffen, die in der Regel medikamentös nicht wiedereröffnet werden können, da die Thrombuslast für die intravenöse Thrombolyse zu groß ist.

Für diese letztere Patientengruppe, also gerade Schlaganfallpatienten mit sehr großen Schlaganfällen, kann heute die neuroradiologische Katheterbehandlung – die sog. Neurothrombektomie – als neue Therapie erfolgreich angeboten werden. Diese Behandlung ist aber nur an großen Schlaganfallzentren ständig auf einer 24/7-Basis verfügbar, denn sie bedarf ausreichend apparativer und vor allem personeller Ressourcen mit entsprechend ausgebildeten Spezialisten. Auch für diese Kathetertherapie gilt wie bei jeder Schlaganfalltherapie „time is brain”, d. h., je schneller diese besonders betroffenen Patienten einer Katheterbehandlung zugeführt werden, desto besser ist das klinische Endergebnis. Nach Abschätzung aller zur Zeit verfügbaren bisherigen Studiendaten kann davon ausgegangen werden, dass Patienten mit solchen großen Schlaganfällen nach der Neurothrombektomiebehandlung nach 3 Monaten in über 60 % der Fälle in der Lage sind, wieder ein eigenständiges Leben zu führen, während es nach der bisherigen intravenösen Thrombolyse nur maximal 15 % der Patienten sind.

Zur Zeit existieren noch keine befriedigenden Infrastrukturen, um besonders schwierige diagnostische und therapeutische Entscheidungen bei Patienten mit akuten großen Schlaganfällen auf herkömmlichen Stroke Units zu lösen, sodass viele Patienten gerade mit schweren Schlaganfällen in kleineren Stroke Units verbleiben, ohne dass ihnen die adäquate Kathetertherapie angeboten werden kann. Es ist darüber hinaus zu befürchten, dass kleinere Kliniken Diagnoseverfahren und hoch spezialisierte therapeutische Eingriffe bei Schlaganfallpatienten vornehmen, ohne dass eine genügende Fallzahl oder umfassende Expertise vor Ort vorliegen. Ökonomische Gründe spielen dabei eine zusätzliche Rolle.

Aus diesem Dilemma kann nur der Aufbau einer Schlaganfallnetzwerkstruktur führen, der zu einer raschen und einfachen Kommunikation der Stroke Units mit neu zu gründenden neurovaskulären Zentren führt, um dann gemeinsam in der Akutphase bei dem jeweiligen Patienten zu entscheiden, ob eine Katheterbehandlung durchgeführt werden muss. Diese neurovaskulären Zentren sollten und können dann auch bei entsprechender Nachfrage die ausreichenden apparativen und personellen Ressourcen auf einer 24/7-Versorgungbasis zur Verfügung stellen.

In der jetzigen Phase mit der Einführung einer neuen Therapieform beim Schlaganfall darf nicht der Fehler gemacht werden, dass dieses Verfahren in niedriger Einsatzfrequenz an kleineren Einrichtungen durchgeführt wird. Dadurch werden einerseits die Überlegungen zum Aufbau einer effektiven allgemeinen Infrastruktur gestört, andererseits kann durch niedrige Einsatzfrequenz die lokale Expertise gerade in kleineren Häusern nicht ausreichend entwickelt werden. Die Neurothrombektomie ist eine hoch effektive Therapie bei Patienten mit schweren Schlaganfällen, muss aber von geübten Händen und an spezialisierten Zentren durchgeführt werden. Nur so kann sie gewinnbringend für die Schlaganfallpatienten eingesetzt werden, dies aber bedarf des Aufbaus einer Netzwerkstruktur mit dem wesentlichen Element der Teleradiologie zur Patientenselektion, um Patienten nach entsprechender Vorfilterung in den Stroke Units dann einem endovaskulären Zentrum zuzuführen. Insofern wird und muss die Einführung der Neurothrombektomie die Schlaganfall-Landschaft verändern.

Prof. Dr. med. Olav Jansen, Kiel