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DOI: 10.1055/s-0030-1257639
Die Wanderausstellung zur Geschichte der Homöopathie in Indien – ein Interview mit Professor Dr. Martin Dinges
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
06. September 2011 (online)
Das Interview führte Michael Teut
Herr Professor Dinges, seit Januar 2010 reist die Wanderausstellung „Homoeopathy – A Medical Approach and Its History“ [Abb. 1] des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch-Stiftung durch Indien. Wie kam es zu dieser Ausstellung?
Die Robert Bosch-Stiftung entwickelte im Jahr 2008 erstmals Perspektiven für einen Förderschwerpunkt Indien. Dabei rückte die Homöopathiegeschichte als ein mögliches Feld in den Blick. Eine in Deutschland entstandene Heilweise, die in Indien mit ca. 15 % aller Ärzte ihre größte Verbreitung erreicht hat, könnte gut als kulturelle Brücke zwischen den beiden Ländern ausgebaut werden. Als bestes Instrument, mit den indischen Homöopathen ins Gespräch zu kommen, wurde bald an eine Wanderausstellung gedacht, denn diese entsprach den landesüblichen Präsentationsmöglichkeiten am besten.
Worum geht es in der Ausstellung?
In 5 Themenblöcken werden neben den Grundlagen die Geschichte der Homöopathie, ihr Entstehungshintergrund, die Rolle Hahnemanns und ihre weitere Entwicklung dargestellt. Für Indien wurde die bisherige Version der Ausstellung umfassend aktualisiert. Insbesondere wurde der Teil zur Weltgeschichte wesentlich erweitert. Er umfasst nun mehr Informationen zu Europa sowie eigene Abschnitte zum amerikanischen Kontinent und zu Asien.
Wie ist die Ausstellung in Indien denn angenommen worden, wo wurde sie präsentiert?
Die Ausstellung wurde in Indien weit mehr nachgefragt, als wir ursprünglich erwartet hatten. Als institutionellen Partner hatten wir das Goethe-Institut gewonnen, das für die Durchführung der Tournee sehr hilfreich war. Sämtliche 10 Goethe-Institute und -Zentren haben die Ausstellung übernommen, was nicht selbstverständlich ist. Durch Kooperation mit örtlichen Kultureinrichtungen oder Ausbildungsinstituten wurden weitere Publika erschlossen. Außerdem haben viele homöopathische Colleges die Ausstellung gezeigt. Der Stellenwert der Homöopathie in Indien wurde durch die Teilnahme des Premiers des Bundesstaates Goa sowie von Landes- und Bundesministern sowie anderen hoch gestellten Vertretern des öffentlichen Lebens unterstrichen. Auch der deutsche Gesandte nahm in New Delhi an einer Eröffnung teil. Das Presseecho war entsprechend. Die Besucherzahlen vor Ort waren sehr unterschiedlich, je nachdem wie gut die Werbung auch über das „homöopathische Milieu“ hinaus angelegt wurde [Abb. 2].
Eine Fassung der Ausstellung wurde mittlerweile in indische Regie übernommen und läuft dort weiter. Außerdem ist eine Übersetzung in Telugo in Vorbereitung, um sie auch der Bevölkerungsmehrheit zugänglich zu machen, die die englische Sprache nicht beherrscht. Das ist ein umso größerer Erfolg, als die Ausstellung nicht gerade direkt verwertbare Informationen für den angehenden Homöopathiepatienten bietet, der etwas über den Beitrag der Homöopathie zur Lösung seiner konkreten Gesundheitsprobleme wissen will.
Indien wird häufig als das „Traumland der Homöopathie“ bezeichnet, warum eigentlich?
Jede Generation von Homöopathen hat ihr „Traumland“: Im ausgehenden 19. Jahrhundert waren das die USA, wo die Homöopathie mit 7 % aller Ärzte die beste Entwicklung genommen hatte. In Indien ist ihr Anteil heutzutage mehr als doppelt so hoch. In Deutschland hingegen ist die Zahl sehr viel geringer. Dies wird als Position relativer Schwäche empfunden. Auch weiß man hier in Deutschland um die 180 Colleges in Indien, die eine universitäre Ausbildung vermitteln, was in einem Land mit Homöopathiekursen, die man auf eigene Kosten nach der Approbation absolvieren muss, natürlich märchenhaft erscheint. Ferner ist die Homöopathie im indischen öffentlichen Gesundheitswesen, wenn auch in den Bundesstaaten sehr unterschiedlich, stark vertreten. Dazu kommt noch eine staatliche Forschungsförderung die sich in über 20 Forschungsinstituten manifestiert. Dieser Grad an Institutionalisierung ist einzigartig – und lädt zum Träumen ein.
Sie haben viele Wochen die Ausstellung begleitet und haben viele wichtige Homöopathen Indiens kennengelernt. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation der Homöopathie in Indien – auch im Vergleich zur Homöopathie in Deutschland – ein?
Die indischen Homöopathen behandeln wesentlich mehr Indikationen als es ihren deutschen Kollegen möglich bzw. erlaubt ist. Das macht die dortige Homöopathie auch unter Forschungsgesichtspunkten für all die Länder sehr interessant, die mit ähnlichen Krankheitsbildern konfrontiert sind und ebenfalls kein Geld für unbezahlbare medikamentöse Therapien haben. Die Ausstrahlung der indischen Homöopathie in den südostasiatischen und südasiatischen Raum sowie nach Australien und an den persischen Golf sollte man nicht unterschätzen.
Kritische indische Kollegen verweisen selbst auf die erkennbaren Grenzen ihrer großen institutionellen Erfolge: Die Qualität der Forschung ist noch zu gering und die vorhandenen Ressourcen werden unzureichend genutzt. Die zu den Ausstellungseröffnungen und Seminaren von der Robert Bosch-Stiftung eingeladenen deutschen Fachleute haben bereits ein Netz an Kontakten geknüpft, das die Zusammenarbeit in der Forschung nachhaltig verbessern dürfte. Die Robert Bosch-Stiftung hat außerdem bereits im Jahr 2010 2 indischen Homöopathen die Teilnahme an dem durch die Stiftung finanzierten Sommerkurs zu Forschungsmethoden in der Komplementärmedizin ermöglicht. Sie plant darüber hinaus, diese Veranstaltung Anfang 2011 in Indien durchzuführen, um so den indischen wissenschaftlichen Nachwuchs zu stärken.
Hinsichtlich der hoomöopathischen Colleges spiegeln sich ansonsten Schwächen, die für das indische Ausbildungs- und Gesundheitssystem insgesamt gelten. College-Gründungen wurden und werden wegen der hohen Bildungsnachfrage relativ leicht genehmigt und einmal eröffnete Institutionen selten überprüft. Allerdings wird derzeit eine entsprechende Zertifizierung vorbereitet.
Daneben wird von indischen Kritikern ein fataler Hang zur Bildung von neuen „Homöopathieschulen“ bedauert, die nach dem Prinzip „Jeder Homöopath erfindet eine neue Richtung“ funktioniere. Diese oft geschäftlich orientierte Tendenz werde durch die Möglichkeit, auf dem europäischen oder amerikanischen Markt Kurse zu halten, befördert. Dies stärke das Guru-Unwesen, aber nicht unbedingt die therapeutische Leistungsfähigkeit.
Im Dezember 2011 findet der LIGA-Kongress in New Delhi statt. Wird die Ausstellung dort auch zu sehen sein?
Ja. Außerdem wird es dort eine Sektion zur homöopathiegeschichtlichen Forschung unter der Leitung von Professor Jütte geben. Ich selbst werde eine Bilanz der Entwicklung der Homöopathie während der letzten 10 Jahre beisteuern.
Es werden ja auch viele deutsche Homöopathen zum LIGA-Kongress fahren. Gibt es ein „homöopathisches Sightseeingprogramm“, das Sie empfehlen können? Und wie kann man sich am besten über die Homöopathie in Indien informieren?
Nach meiner Kenntnis wird neben den üblichen touristischen Highlights derzeit geplant, anschließend Besuche in indischen Praxen und Spitälern zu ermöglichen. Auch ein Besuch in einem der Primary Health-Care Units in Delhi kann schon sehr eindrucksvoll sein. Sicher wäre es hilfreich, wenn ein entsprechendes Interesse an Visitationen aktiv an die Kongressorganisatoren herangetragen würde.
Herr Professor Dinges, ich danke Ihnen für das Interview!
Prof. Dr. Martin Dinges ist stellvertretender Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch-Stiftung in Stuttgart und außerplanmäßiger Professor an der Universität Mannheim (seit 2000).
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Webseiten/Links
- 1 www.igm-bosch.de/
- 2 www.igm-bosch.de/content/ language1/html/10979.asp
- 3 www.bosch-stiftung.de/content/ language1/html/28190.asp
- 4 www.bosch-stiftung.de/content/ language1/downloads/Artikel_Dinges_Homoeopathie.pdf
- 5 www.igm-bosch.de/content/language1/downloads/s-0030–1257599.pdf