Zusammenfassung
Wie wirkt das Arzt-Patientin-Gespräch aus der subjektiven Sicht der Patientin? Zur
Klärung dieser Frage wurde der Patientin Julia die videografierte Aufzeichnung ihres
Gespräches mit dem Arzt präsentiert und ihre gesprächsbegleitenden subjektiven Wahrnehmungen
und Verständniskonzepte mithilfe der Heidelberger Struktur-Lege-Technik (SLT) rekonstruiert.
Das Ergebnis zeigt das gewachsene patientenseitige Verständnis der eigenen Symptomatik
samt ihrer biografischen Hintergründe. Im Verlauf des knapp 8-minütigen Ausgangsgespräches
gelingt der konzeptuelle Transfer ihrer anfänglich eher somatisch präsentierten Übelkeit-
und Kopfschmerz-Symptome in die Erkenntnis einer für sie bedrückenden, symptomassoziierten
Sozialsituation, die eine basale Verlustangst aktiviert.
Abstract
How is the impression of a doctor-patient-communication viewed subjectively from the
patient’s point of view? In order to clarify this question a videographed recording
from the discourse with her physician was presented to the patient Julia. Here subjective
perception and concepts of comprehension during the conversation were expressed and
reconstructed by the Heidelberg Structure-Formation-Technique (SFT). The results reveal
the patient’s increased understanding in her own symptoms including her biographical
background. During a short discourse (< 8 minutes) a successful conceptual transfer
from the patient’s somatized symptoms (nausea and headache) is possible, leading
to the realisation of a symptom-associated social situation combined with a fundamental
fear of loss.
Schlüsselwörter
Arzt-Patient-Gespräch - Heidelberger Struktur-Lege-Technik (SLT) - Symptomverständnis
Key words
doctor-patient-communication - Heidelberg structure-formation-technique (SFT) - symptom
comprehension
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1 Im Bewusstsein der Begrenzungen dieser retrospektiven Vorgehensweise – Gedächtnisverzerrungen,
nicht alles „im Kopf“ ist bewusstseinsfähig und verbalisierbar, usw. – gilt andererseits
zu bedenken, dass ein „on-line-Mitschnitt“ des gesprächsbegleitenden Denkens und Erlebens
der Patientin während des Arzt-Patient-Gespräches methodisch kaum möglich wäre und
sich so ein retrospektiver methodischer Zugriff erzwingt [5, S. 269 ff.].
Prof. Dr. phil. R. Obliers
Uniklinik Köln · Klinik und Poliklinik für Psychosomatik u. -therapie
Kerpenerstr. 62
50937 Köln
eMail: rainer.obliers@uk-koeln.de