Rehabilitation (Stuttg) 2010; 49: S46-S48
DOI: 10.1055/s-0030-1263190
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zugang zu Informationen über Hilfsmittel in REHADAT und europäischen Portalen

Access to Technical Aids Information through REHADAT and European PortalsA. Brockhagen1
  • 1REHADAT – Informationssystem zur beruflichen Rehabilitation, Institut der deutschen Wirtschaft Köln
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Publication Date:
25 October 2010 (online)

Wie bei keinem anderen Produkt treffen bei Hilfsmitteln unerlässliche funktionale und qualitative Anforderungen mit persönlichen Aspekten des Nutzers zusammen. Deshalb sind für eine erfolgreiche und zufrieden stellende Versorgung mit Hilfsmitteln zahlreiche Informationen notwendig. Welche Produkte gibt es, wie sind die funktionalen oder technischen Eigenschaften und wie sind die Bezugsmöglichkeiten? Es werden Informationen darüber benötigt, ob individuelle Anpassungen gemacht werden können, und auch leistungsrechtliche Aspekte sind zu beachten. Hilfsmittel müssen vielfältigen Kriterien genügen.

Die Hilfsmittelindustrie bietet unterschiedlichste Produkte und Dienstleistungen an. Neben bekannten, großen Unternehmen stellen kleine, hoch spezialisierte Unternehmen wirksame Produkte her, für deren internationale Vermarktung die Kapazität oft nicht reicht. Ein Gang über die großen Hilfsmittelmessen gibt einen Eindruck von Vielfalt und Innovation dieser Branche. Die Orientierung in diesem wachsenden, aber zersplitterten Markt ist schwierig. Es bestehen keine einheitlichen Qualitätsstandards und Beschreibungsmerkmale; Webseiten und Prospektmaterialien der Hersteller und Lieferanten sind unterschiedlich gestaltet, technische und funktionale Daten müssen häufig aus Werbebotschaften herausgefiltert werden, sind nicht vergleichbar oder stehen nur eingeschränkt zur Verfügung.

Neben der Schwierigkeit, das funktional optimale Produkt zu finden, muss die Kostenfrage geklärt werden. Ein Produkt kann Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sein, aber auch technisches Hilfsmittel am Arbeitsplatz oder ist privat zu finanzieren. Wird ein Hilfsmittel verordnet, stellen die Zuzahlungsregelungen und Genehmigungspflichten ein Problem dar. Auch dazu müssen verständliche Informationen bereitgestellt werden.

Zwischen den Beteiligten des Hilfsmittelversorgungsprozesses bestehen erhebliche Informationsasymmetrien. Das trifft für den verordnenden Arzt genauso zu wie für betroffene Nutzer. Ohne aktive Beteiligung der Betroffenen kann eine hohe Versorgungsqualität jedoch nicht erreicht werden. Dazu kommt, dass der private Finanzierungsanteil bei der Hilfsmittelversorgung kontinuierlich steigt. In Art. 4 der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen wird das Recht auf Information zu Hilfsmitteln für Menschen mit Behinderung daher ausdrücklich formuliert.

Umfragen und Studien der letzten Jahre haben deutlich gemacht, dass dem Thema Hilfsmittel in Zukunft mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte. Das ist zum einen vor dem Hintergrund steigender Kosten und einer älter werdenden Bevölkerung und zum anderen durch die Forderungen nach Transparenz in diesem Bereich erforderlich. Teure Fehlversorgungen können vermieden werden, wenn Informationen zentral, aktuell, vergleichbar und zielgruppenorientiert zur Verfügung stehen.

Die Studie „Access to Assistive Technology in the European Union” aus dem Jahr 2003 stellte fehlende Markttransparenz sowie mangelnde Effizienz in fast allen entwickelten Ländern Europas fest. Wobei im europäischen Maßstab betrachtet auch die Sprachbarrieren eine Rolle spielen.

Mithilfe staatlicher Mittel entstanden in den letzten Jahren zentrale nationale Informationssysteme zu Hilfsmitteln, die Markttransparenz schaffen sollen und auf die jeweiligen nationalen Informationsbedürfnisse ausgerichtet sind. Die Europäische Union unterstützt die Vernetzung nationaler Informationssysteme und die Schaffung einheitlicher Standards. Mehrsprachige Portale sollen helfen, die Sprachbarrieren zu überwinden.

In Deutschland hat sich das Informationssystem zur beruflichen Rehabilitation REHADAT (http://www.rehadat.de) zur zentralen digitalen Informationsplattform für Hilfsmittel entwickelt. In einer Datenbank werden detaillierte, vergleichbare und aktuelle Produktbeschreibungen mit Vertriebsinformationen veröffentlicht, die das Angebot des deutschen Marktes abdecken und ca. 23 000 Produkte erfassen. Ergänzt werden die Produktinformationen durch Links zu weiteren REHADAT-Datenbanken. Dazu gehören Urteile zu Hilfsmitteln aus der Rechtsdatenbank sowie Artikel, Veröffentlichungen und Testberichte aus dem Literaturbereich. Zu wichtigen Produktgruppen stehen Informationsblätter zur Verfügung. Haben Produkte eine Hilfsmittelnummer der GKV, wird diese ebenfalls veröffentlicht. Hilfsmittel am Arbeitsplatz sind mit Praxisbeispielen verlinkt. Für den geübten Nutzer stehen unterschiedliche Suchmöglichkeiten zur Verfügung, die einen raschen Überblick und eine zielgenaue Suche ermöglichen.

Die Struktur der Hilfsmitteldatenbank orientiert sich an der ISO/DIN 9999 „Hilfsmittel für Menschen mit Behinderungen” (s. Beispiel in [Abb. 1]). Abgedeckt sind damit nicht nur Hilfsmittel im Sinne der GKV, sondern auch Produkte, die in die Zuständigkeit anderer Rehabilitations- oder Leistungsträger fallen oder privat finanziert werden müssen. Die Produkte sind in einer 3-stufigen Klassifikation geordnet, die sich an der Funktionalität orientiert.

Abb. 1 Beispiel zur Datenbankstruktur in Anlehnung an die ISO/DIN 9999.

Die vom GKV-Spitzenverband im Bundesanzeiger veröffentlichten Fortschreibungen des Hilfsmittel- und Pflegehilfsmittelverzeichnisses werden ebenfalls von REHADAT veröffentlicht (s. [Abb. 2]). Das Verzeichnis kann unabhängig von der Marktübersicht genutzt werden, ist aber direkt verlinkt.

Abb. 2 Das GKV-Hilfsmittelverzeichnis in REHADAT.

REHADAT stellt somit ein zentrales, umfassendes Informationsangebot zu Hilfsmitteln zur Verfügung, welches barrierefrei und ohne Zugangsbeschränkungen verfügbar ist. Steigende, hohe Nutzerzahlen zeigen den Bedarf dafür.

Um den unterschiedlichen Nutzergruppen die Orientierung im REHADAT-Informationssystem zu erleichtern, wird derzeit in der REHADAT-Projektgruppe eine Portalstruktur entwickelt. Neben der zielgenauen datenbankspezifischen Suche werden dort unterschiedliche Wege angeboten, das geeignete Hilfsmittel zu finden. Implementiert wird eine Suchmöglichkeit, die sich an der ICF, der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit, orientiert und Aktivitäten mit Hilfsmitteln verbindet.

Eine Umfrage der Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) unter Haus- und Fachärzten hatte ergeben, dass mehr als 70% von ihnen Probleme bei der Hilfsmittelversorgung haben und sich bessere Informationen zu verordnungsfähigen Hilfsmitteln wünschen. In einer Kooperation mit REHADAT hat die KVB eine Online-Plattform entwickelt, die auf die Informationsbedürfnisse niedergelassener Ärzte zugeschnitten ist und für ihre Mitglieder eine indikationsbezogene Suche nach Hilfsmitteln erlaubt.

Auch in europäische Netzwerke ist REHADAT eingebunden. So können Nutzer Informationen über mehr als 66 000 Hilfsmittel unter: www.eastin.info mehrsprachig abrufen. Möglich macht dies der Zusammenschluss verschiedener europäischer Organisationen zur EASTIN-Vereinigung. EASTIN steht für „European Assistive Technology Information Network”.

EASTIN nutzt das Internet, um sowohl auf nationaler als auch europäischer Ebene Informationstransparenz zu schaffen. Es lassen sich beispielsweise Antworten auf folgende Fragen finden:

Welche und wie viele Produkte und Dienstleistungen gibt es im Hilfsmittelbereich in Europa? Worin liegen die technischen Besonderheiten der Produkte? Wo kann das Hilfsmittel bezogen werden? Wie können Nutzer bei der Auswahl und Anwendung ihres Hilfsmittels unterstützt werden? Wie ist die Situation im Hinblick auf Forschung und Entwicklung?

Zu Beginn des EASTIN-Projekts existierten 6 unterschiedliche Datenbanksysteme, die Informationen zu Hilfsmitteln anboten. Jedes System hatte seine eigenen Inhalte und Suchstrategien. Damit eine gleichzeitige Suche über alle beteiligten Datenbanken möglich wurde, mussten die Systeme aller Partner bestimmte Mindestanforderungen erfüllen. Wichtigstes Ordnungskriterium für alle Beteiligten war und ist auch hier die ISO 9999 „Hilfsmittel für Menschen mit Behinderungen”.

Um eine gleichzeitige Suche über alle beteiligten Datenbanken hinweg zu realisieren, mussten alle Partner ihre Informationen an die Norm anpassen. Andere Mindestanforderungen, die erfüllt werden mussten, sind die Angaben zur Funktionsbeschreibung und zum Hersteller eines Produktes sowie die Lieferung eines Bildes und Aktualisierungsdatums. Alle Partner liefern die Informationen in der eigenen Landessprache und in einer Übersetzung ins Englische. Die Übersetzung erfolgt mit automatischen Übersetzungsprogrammen. Diese erlauben die ständige Verbesserung der angebundenen Wörterbücher, was zu einer guten Übersetzungsqualität führt.

Diese Vorgaben wurden von den EASTIN-Partnern weitestgehend umgesetzt und sind die Voraussetzung für ein europäisches Netzwerk, das auch weiteren Partnern offen steht. Partner des Netzwerkes sind zurzeit: Fondazione Don Carlo Gnocchi Onlus (Italien), REHADAT/Institut der deutschen Wirtschaft Köln e. V. (Deutschland), Disabled Living Foundation (Vereinigtes Königreich), das Hjælpemiddelinstituttet (Dänemark), Hacavie (Frankreich), VAPH (Belgien) und CEAPAD (Spanien).

Die Hauptaufgaben der EASTIN-Vereinigung sind es, das EASTIN-Netzwerk zu betreiben, weiterzuentwickeln und zu verwerten. Das Netzwerk setzt sich zusammen aus der EASTIN-Internetseite sowie den Datenbanken der Partner. Die Finanzierung ist zurzeit über Beiträge der Partner gesichert. Auch für die Zukunft bleibt das Ziel bestehen, die Informationen kostenlos und barrierefrei für alle Interessenten zur Verfügung zu stellen.

Seit dem 1. März 2010 wird das EASTIN-Portal mit Unterstützung der EU erweitert. Im Rahmen des Projektes EASTIN-CL (www.eastin-cl.eu) wird für die baltischen Länder ein Übersetzungstool implementiert. Anwendern ohne Kenntnisse von Fachbegriffen und Klassifikationen werden verbesserte Suchmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Für deutsche Nutzer wird zusätzlich eine Sprachein- und -ausgabe getestet; das heißt, Suchanfragen können nicht nur in schriftlicher Form über die Tastatur eingegeben werden, sondern auch mündlich.

In Deutschland ist mit dem REHADAT-Informationsangebot zu Hilfsmitteln bereits einiges erreicht worden. Weitere Kooperationen und übergreifende Projekte könnten die Nutzerorientierung im Portal weiter verbessern und die Vorschläge der DVfR in den „Lösungsoptionen zur Überwindung von Problemen bei der Versorgung mit Hilfsmitteln” umsetzen helfen. Dazu gehören vor allem die Integration von Problemlösungsstrategien und die noch bessere Einbindung des Hilfsmittelverzeichnisses der gesetzlichen Krankenversicherung.

Korrespondenzadresse

Anja Brockhagen

REHADAT Informationssystem zur beruflichen Rehabilitation

Institut der deutschen

Wirtschaft Köln

Postfach 10 19 42

50459 Köln

Email: brockhagen@iwkoeln.de

URL: http://www.rehadat.de

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