Gesundheitswesen 2011; 73(6): 335-343
DOI: 10.1055/s-0030-1265195
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Welche Wohlfahrtspolitik fördert die Gesundheit? Der ungeklärte Zusammenhang von ökonomischer und gesundheitlicher Ungleichheit

What Type of Welfare Policy Promotes Health? The Puzzling Interrelation of Economic and Health InequalityK. Hurrelmann1 , M. Richter2 , K. Rathmann3
  • 1Universität Bielefeld und Hertie School of Governance Berlin
  • 2Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern
  • 3Hertie School of Governance Berlin
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
08. März 2011 (online)

Preview

Zusammenfassung

In allen hochentwickelten Ländern hat sich in den letzten 30 Jahren der Gesundheitsstatus der Bevölkerung deutlich verbessert. Ein wesentlicher Grund dafür ist die gestiegene wirtschaftliche Prosperität. Diese ist heute aber ungleicher verteilt als vor 3 Jahrzehnten. Die Unterschiede in der Verfügbarkeit materieller Ressourcen und die Diskrepanzen im sozioökonomischen Status hängen eng mit der Gesundheitslage der Bevölkerung zusammen. Ländervergleiche zeigen, dass eine auf ökonomische Gleichheit ausgerichtete Wohlfahrtspolitik, wie sie für die skandinavischen Länder typisch ist, mit relativ günstigen gesundheitlichen Indikatoren korreliert. Bisher ist allerdings nicht geklärt, wie ökonomische Ungleichheit und gesundheitliche Lage zusammenhängen. Als besonders unklar erweist sich in neueren Studien der Zusammenhang von ökonomischer und gesundheitlicher Ungleichheit. In diesem Beitrag geben wir einen Überblick zu den vorliegenden länderübergreifenden Analysen. Diese zeigen, dass die skandinavischen Länder dank ihrer intensiv umverteilenden Wohlfahrtspolitik zwar das höchste Ausmaß von ökonomischer, aber nicht von gesundheitlicher Gleichheit erreichen. Wir entwickeln auf der Basis dieser überraschenden Erkenntnis Vorschläge für künftige empirische Untersuchungen. Die Vorschläge gehen von der Annahme aus, dass in wohlhabenden Gesellschaften mit hohem Reichtum nicht mehr nur materielle, sondern verstärkt immaterielle Lebensbedingungen über die Verteilung gesundheitlicher Ungleichheit entscheiden. Als entscheidender Parameter wird die Verfügbarkeit von gesundheitsfördernden, „salutogenen” Potenzialen und Kompetenzen des Selbstmanagement in benachteiligten Gruppen der Bevölkerung postuliert.

Abstract

In all highly developed countries, the overall health status of the population has significantly improved within the past 30 years. The most important reason for this is the increase in economic prosperity. Economic wealth, however, today is much more unequally distributed than it was 3 decades ago. Countries with relatively small disparities in the availability of material resources between socioeconomic groups, such as the Scandinavian countries, have better health outcomes on the population level. Health inequalities, however, have also reached a higher level than 30 years ago. As of today, we do not have convincing explanations for the interrelation of economic and health inequality. This paper gives an overview of existing research on a comparative basis. The research results are ambivalent. They show the puzzling result that the Scandinavian countries with their highly distributive welfare policy manage to achieve the comparatively highest level of economic, but not health, equity. Based on these results, we develop proposals for future research approaches. A central assumption is that in rich societies no longer only material, but more and more immaterial determinants are crucial for the formation of health inequality. The promotion of “salutogenic” self-management capabilities in socially disadvantaged groups is considered to be the central element in effective intervention strategies.

Literatur

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. K. Hurrelmann

Hertie School of Governance

Friedrichstraße 180

10117 Berlin

eMail: hurrelmann@hertie-school.org