Zeitschrift für Palliativmedizin 2010; 11(5): 206-207
DOI: 10.1055/s-0030-1265277
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Hilfsangebote und lokales Netzwerk für krisenhafte Situationen – Projekt "PAALiativ" unterstützt schwerkranke Menschen zu Hause

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Publication Date:
03 September 2010 (online)

 

Die meisten Menschen wünschen sich laut Umfrage während der letzten Lebensmonate eine gute Begleitung und Unterstützung im gewohnten Umfeld und im Kreise der Angehörigen. Dies gilt vor allem für Menschen mit einer unheilbaren Erkrankung wie Krebs oder einem chronischen Lungenleiden.

Im Gegensatz dazu, stirbt aber in Deutschland die Mehrheit der Menschen in Institutionen, zum Beispiel im Krankenhaus oder Pflegeheim. Ein Grund ist, dass Angehörige, Hausärzte und Pflegedienste zu wenig Unterstützung in der häuslichen Palliativversorgung erhalten, um insbesondere krisenhafte Situationen auch zu Hause bewältigen zu können. "An dieser Stelle setzt das PAALiativ-Projekt an mit dem Ziel, Hilfsmittel und Unterstützungsangebote für die häusliche Versorgung schwerkranker Menschen zu entwickeln und in die alltägliche Begleitung zu integrieren", erklärt Dr. Steffen Simon vom Department of Palliative Care am Londoner King's College.

Nach Abschluss der Analysephase erfolgte am 4. Juli 2010 im Beisein von Staatssekretär Heiner Pott vom Niedersächsischen Gesundheitsministerium, Christine Weiß von der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH in Berlin und Vertretern aller Projektpartner der Startschuss für die Umsetzung des Projektes. Koordinator ist der Regionalverband Weser-Ems der Johanniter-Unfall-Hilfe, für die technische Umsetzung ist das Informatikinstitut OFFIS verantwortlich. Die weiteren Projektpartner sind das Institut für Palliative Care (ipac), das Palliativzentrum Oldenburg am Evangelischen Krankenhaus, das Pius-Hospital Oldenburg, die Disc-Vision GmbH, die onkologischen Praxen Oldenburg, Delmenhorst und Westerstede, und der Pflegedienst Ambulant. "Wir verbinden mit dem Projekt die Palliative Medizin mit Ambient Assisted Living, also altersgerechten Assistenzsystemen in den eigenen vier Wänden", erklärt Jochen Meyer, Bereichsleiter Gesundheit im OFFIS. Dabei soll nicht eine Heilung herbei geführt werden, was bei Patienten mit Krankheitsbildern wie COPD (Chronisch obstruktive Lungenerkrankung) und Lungenkarzinom auch nicht möglich ist. "Wir können damit nicht Leben verlängern, aber den letzten Tagen einen Sinn geben", betont Meyer. Dabei sollen Patienten und Angehörige durch ein technisch unterstütztes Netzwerk von kompetenten Partnern aufgefangen werden.

Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 1,5 Mio. Euro über 3 Jahre gefördert, die Partner bringen zusätzliche Eigenmittel in gleicher Höhe ein. "Das BMBF hat das Thema ,Altern in Würde' 2002 aufgegriffen", erklärt Christine Weiß von VDI/VDE-IT. Dabei gehe es zum einen darum, Deutschland als Hochtechnologie-Standort voranzutreiben. "Aber dabei wollen wir das Menschliche nicht außer Acht lassen."

Auch für Alexander Jüptner, Leiter der Hausnotrufzentrale der Johanniter in Stedingen, liegt der Fokus auf den Menschen. "Die Technik hilft lediglich den Versorgern, schnell die richtigen Entscheidungen zu treffen." Staatssekretär Heiner Pott betont, dass die Maschinen den Menschen nicht ersetzen, sondern die Betreuung der Patienten erleichtern. "COPD-Patienten leiden oft unter fürchterlichen Atemnot-Attacken, die durch die Angst zu ersticken noch verstärkt werden", erklärt er. Viele dieser Patienten möchten sehr gerne aus dem Krankenhaus nach Hause, wagen es aber nicht aus Furcht, bei einer erneuten Attacke nicht schnell genug beatmet werden zu können. "Wenn diese Menschen wissen, ihnen kann auch in den eigenen vier Wänden sofort geholfen werden, können sie dort auch bei fortgeschrittener Krankheit leben."

Dr. Steffen Simon von ipac stellte die Ergebnisse der Analysephase vor. "In Krisen wie einem Atemnot-Anfall hilft als erstes fast immer ein Angehöriger", sagt er. Diese wünschen sich klare Handlungsanweisungen, was im Notfall zu tun ist, sowie weitergehende Hilfe wie Antworten auf sozialrechtliche Fragen. Angehörige und Patienten eint der Wunsch, ihr Leben ohne die ständige Bedrohung durch die Krankheit fortführen zu können. "Sie wünschen sich ein Stück Normalität", erklärt Simon. Dabei soll die menschliche Zuwendung durch Technologie unterstützt werden.

Jüptner legt Wert darauf, dass die Projektergebnisse Perspektiven für alle Menschen bieten sollen. Es werde keine Medizin für Reiche sein, im Gegenteil. "Wir sparen den Krankenkassen Kosten durch Vermeidung von unnötigen stationären Aufenthalten", sagt er. Jochen Meyer vom OFFIS erklärte, dass speziell einfache Technologien verwendet werden. "Die können sie teilweise im Discounter kaufen." Aspekte, über die sich Staatssekretär Pott freut: "PAALiativ soll für alle da sein." Grundlage sei allerdings eine so gute Zusammenarbeit verschiedener Partner wie in Oldenburg. "Ich wünschte, ein derart vorbildliches Netzwerk mit so viel Kompetenz gäbe es überall im Land."

Pressemitteilung von "Die Johanniter"