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DOI: 10.1055/s-0030-1267417
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Qualitätsindikatoren - vom Stiefkind zum Musterschüler
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
04. Oktober 2010 (online)
Die Entwicklung von Qualitätsindikatoren gehörte bisher nicht zu den Lieblingsbeschäftigungen der Psychiater und Psychotherapeuten, weder der Forscher noch der klinisch Tätigen. Viele sahen (und sehen) dies als eine von außen aufgezwungene Diskussion, die in erster Linie den Interessen von Kostenträgern und Politikern diene. Vor ca. 10 Jahren gab es eine erste Welle der Beschäftigung mit dem Thema, die zu dem Ergebnis führte, dass sich kaum sinnvolle Qualitätsindikatoren definieren ließen. Es zeigte sich, dass jeder einzelne mögliche Indikator zahlreichen Verzerrungen unterlag und ebenso Zeichen einer guten wie einer schlechten Behandlungsqualität sein konnte (etwa die Wiederaufnahmerate, die Verweildauer, die psychopathologische Symptomatik oder die Behandlung mit atypischen Neuroleptika). Auch erwies es sich nicht als möglich, die Behandlungsintensität, d.h. vorwiegend die Verweildauer in einer psychiatrischen Klinik, durch ein selbst größeres Set von einbezogenen Variablen auch nur annähernd sinnvoll zu bestimmen. Psychiatrie und Psychosomatik wurden deshalb bekanntlich einstweilen von pauschalierten Vergütungsformen ausgenommen, als Goldstandard für die Qualitätsbestimmung im (auch psychiatrischen) Krankenhaus etablierte sich die Kooperation für Transparenz und Qualität (KTQ), eine vorwiegend prozessorientierte Herangehensweise.
Bekanntlich haben sich die Dinge aber weiterentwickelt. Pauschalierte Vergütungssysteme haben angesichts der von vielen als Grundübel angesehenen Fragmentierung des Versorgungssystems und der zunehmenden Bürokratie der medizinischen Dienste der Krankenkassen zunehmendes Interesse in der Fachwelt gefunden, nicht nur mit dem inzwischen gut beforschten Itzehoer Modell, sondern auch mit den Möglichkeiten, die Verträge zur integrierten Versorgung bieten. Sobald aber Patienten in eine Versorgungsform wechseln, bei der die Leistungssteuerung durch den Anbieter selbst umfassend aus einer Hand erfolgt, stellt sich zwingend die Frage nach der Qualität, und zwar auch nach der Ergebnisqualität. Damit können qualitative Mindestanforderungen festgelegt werden, definierbare gute Versorgungsqualität kann in leistungsorientierten Vergütungssystemen honoriert werden. Der AOK-Bundesverband förderte deshalb ein Projekt zur Entwicklung von Qualitätsindikatoren für die Versorgung von Menschen mit Schizophrenie, das von den Kollegen Stephan Weinmann (Charité Berlin) und Thomas Becker (Ulm/Günzburg) in hervorragender Weise umgesetzt wurde. Beide Autoren bürgen aufgrund ihrer wissenschaftlichen Vorleistungen für umfassende Erfahrungen in der Entwicklung von Leitlinien und in der Versorgung von Menschen mit Schizophrenie. Das Projekt wurde dann auch in ähnlicher Weise wie eine Behandlungsleitlinie entwickelt - mit systematischer Literaturrecherche, Einbeziehung eines interdisziplinären Experten-Workshops und einer externen Begutachtung. Am Ende dieser umfassenden Arbeit entstand schließlich ein Set von 12 Basisindikatoren (Beispiele: Regelung zur Vorausverfügungen, Vorhandensein eines gemeindepsychiatrischen Verbundes in der Region) und 22 behandlungsbezogenen Qualitätsindikatoren (Beispiele: Therapiemonitoring bei Patienten unter Dauermedikation, Einbezug von Angehörigen in die Behandlung, jährliche körperliche Untersuchung durch internistisch tätigen Arzt). Alle Qualitätsindikatoren werden mit einer exakten Berechnungsformel und Angaben zur Validität, Reliabilität, Veränderungssensitivität und Praktikabilität sowie möglichen Behandlungskonsequenzen präsentiert. Soweit dies heute absehbar ist, handelt es sich um einen Maßstäbe setzenden Meilenstein sowohl für das Qualitätsmanagement in der Versorgung als auch für die Evaluation in der Versorgungsforschung. Es ist absehbar, dass die Entwicklung ähnlicher Qualitätsindikatoren für andere Störungsbilder notwendig und sinnvoll sein wird. Die manchmal auch zur eigenen Entlastung wohlfeile Argumentation, Qualität in der Versorgung schwer kranker psychiatrischer Patienten entziehe sich der Messung und berechenbaren Erfassung, dürfte allerdings kaum mehr haltbar sein.
Tilman Steinert, Weissenau
eMail: tilman.steinert@zfp-zentrum.de
Weinmann S, Becker T. Qualitätsindikatoren für die integrierte Versorgung von Menschen mit Schizophrenie. Handbuch, gefördert vom AOK-Bundesverband. Bonn: Psychiatrie-Verlag, 2009, 188 Seiten, 39,95 €. ISBN 978-3-88414-488-6