Gesundheitswesen 2012; 74(1): 3-11
DOI: 10.1055/s-0030-1268442
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Beschwerden als Baustein eines gesundheitlichen Versorgungsmonitorings? Eine Nutzeranalyse des Amtes der Bundespatientenbeauftragten für den Zeitraum 2004 bis 2007

Are Complaints an Element for Health-Care Monitoring? Analysis of the User Statistics of the Federal Commissioner for Patient Issues between 2004 and 2007L. Schenk1 , S. Schnitzer1 , H. Adolph1 , J. Holzhausen1 , E. Matheis1 , A. Kuhlmey1
  • 1Institut für Medizinische Soziologie, Charité-Universitätsmedizin Berlin
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Publication Date:
10 January 2011 (online)

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Zusammenfassung

Hintergrund: Die Einbeziehung von Patientenurteilen in die Qualitätsbewertung im Gesundheitswesen hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Dabei dominieren unterschiedliche Formen von Patientenbefragungen als Instrumente. Bislang wenig genutzt werden Beschwerdedaten.

Methode: Der Beitrag untersucht anhand von 19 117 Beschwerden und Informationsanfragen an das Amt der/des Bundespatientenbeauftragten, inwieweit diese Datenquelle systematisch für die Versorgungsforschung genutzt werden kann und beschreibt, welche Personengruppen sich mit einem Anliegen in dem Zeitraum von 2004 bis 2007 an die Patientenbeauftragte gewandt haben. Hierbei wird analysiert, inwieweit soziodemografische Merkmale in auswertbarem Maße berichtet werden bzw. rekonstruierbar sind. Ein Vergleich mit bevölkerungsweiten Daten liefert zudem Anhaltspunkte, inwieweit die Ergebnisse als repräsentativ für die Anliegen der Patientenschaft oder der Versicherten in Deutschland gelten können. Die Beschwerden und Anfragen wurden einer quantitativen Inhaltsanalyse unterzogen.

Ergebnisse: „Geschlecht“, „Region“ und „Versichertenstatus“ können durchweg bei einem hohen Anteil der Beschwerdeträger und Anfragenden codiert werden. „Alter“ und „Erwerbsstatus“ lassen sich in vergleichsweise geringem Umfang rekonstruieren. Ein Strukturvergleich von „Respondern“ und „Non-Respondern“ zeigt aber, dass die Ergebnisse der Subgruppe mit Angabe dieser Merkmale („Responder“) für alle eingegangenen Anliegen verallgemeinerbar sind. In nicht auswertbarem Maße waren der Bildungs- und Migrationshintergrund erfassbar. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung wenden sich überproportional Personen im höheren Lebensalter bzw. Rentner, aber auch Erwerbslose, Personen aus Berlin und den Neuen Bundesländern an die Patientenbeauftragte. Allerdings zeigen die Veränderungen im zeitlichen Verlauf eine sukzessive Annäherung an bevölkerungsweite Verteilungen.

Schlussfolgerung: Die Ergebnisse empfehlen diese einzigartige Datenquelle für eine kontinuierliche Berichterstattung. Dazu sollte die Datendokumentation weiter standardisiert werden und in ein Beschwerdemanagement integriert werden, das alle relevanten Beschwerdestellen in Deutschland einschließt.

Abstract

Background: The inclusion of patient perceptions in the assessment of health-care quality has gained in importance in recent years. The main instruments applied for this purpose are different types of patient interviews. Complaint data have rarely been used thus far.

Methods: On the basis of 19 117 complaints and inquiries to the office of the federal government commissioner for patient issues, this article examines to what extent this data source can be systematically used in health-care research and describes which groups of persons addressed their concerns to the commissioner for patient issues between the years 2004 and 2007. In this context, an investigation is done to determine whether reported or reconstructed data on sociodemographic characteristics are sufficient for analysis. A comparison with population-wide data also indicates to what extent the results can be considered representative for the concerns of patients or insurants in Germany. The letters and inquiries were subjected to a quantitative content analysis.

Results: The terms “gender”, “region” and “insurance status” can be consistently encoded in a high percentage of those who make complaints and inquiries. The items “age” and “employment status” can be reconstructed to a lesser degree. However, a structural comparison of “responders” and “non-responders” shows that the results from the sample with these characteristics can be generalised for all concerns addressed. Data on the education and migration background were insufficient for analysis. Compared to the general population, a disproportionately high number of older and/or retired people (EM/EU pension) as well as unemployed persons and persons from Berlin and the new federal states contact the commissioner for patient issues. However, changes over time show a successive approach to population-wide distributions.

Conclusions: The results recommend this unique data source for continuous coverage. The data documentation should thus be further standardised and integrated into a complaint management system that includes all relevant complaint offices in Germany.

Literatur

1 Paragraph 140 h des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V).

2 Die Begriffe „Responder“ und „Non-Responder“ werden hier in Anlehnung an „item non response“ im Sinne eines partiellen Ausfalls, der nur einige Untersuchungsmerkmale betrifft, verwandt. Sie weichen in dem vorliegenden Verwendungskontext von ihrer gängigen Definition insofern ab, als es sich um nicht intendiertes Antworten, also um keine Reaktion auf durch den Forscher formulierte Fragen handelt. Um diese Distanz zu verdeutlichen, werden beide Begriffe in Anführungszeichen gesetzt.

Korrespondenzadresse

Dr. L. Schenk

Institut für Medizinische

Soziologie CC1

Charité-Universitätsmedizin

Berlin

Luisenstraße 57

10117 Berlin

Email: liane.schenk@charite.de