Medizinische und religiöse Aspekte des Totentanz-Kapitels Christmas on the Magic Mountain (Thomas Mann) The Totentanz-Chapter and its medical and religious aspectsK. Max1
1Institut für deutsche Philologie,
Universität Würzburg
Vom Geist der MedizinDtsch Med Wochenschr 1925; 51(29): 1205-1206 DOI: 10.1055/s-0028-1136965
Einleitung
Vor 85 Jahren wählte Thomas Mann (Abb.
[1]
) die Deutsche Medizinische Wochenschrift,
um in einem offenen Brief Vom Geist der Medizin zu schreiben und
dabei einige Dinge anzusprechen, die er als erklärungsbedürftig
ansah [9] (verfügbar auf www.thieme-connect.de ).
Zu massiv schienen ihm die Angriffe von ärztlicher Seite
als Reaktion auf seine medizinischen Schilderungen im Zauberberg [1]
[4]
[5]
[6]
[14]
[19]
[21]
[22]
[27]
[28].
Insbesondere die beschriebenen Zustände im Sanatorium sowie
die Darstellung der Ärzte und des medizinischen Personals
waren zum Gegenstand der Kritik geworden. So hieß es etwa,
der Zauberberg vermittle mit seinem „Zynismus” und „Fatalismus” ein „falsches
Bild über Heilstätten” [22]; und mehr noch: Es werde „eine
Art von Inferno” vorgeführt, das „jegliches
ethische Pathos vermissen” lasse [19].
Thomas Mann erwiderte darauf, dass die Fachkritik offensichtlich „hypnotisiert
vom vordersten Vordergrund” sei und deshalb nicht imstande
wäre, das „Gedankengeflecht über Leben
und Tod, Gesundheit und Krankheit” zu sehen und das Dargestellte
als genialen Weg „zum Menschen und zur Liebe” zu
verstehen [9]. Mehrfach betonte er, dass
der Zauberberg einen „sozialkritischen Vordergrund” habe,
und dass der „Vordergrund dieses Vordergrundes medizinische
Region” sei [9].
Abb. 1 Thomas
Mann am 20. April 1937. Fotograf: Carl Van Vechten.
Was der Roman hinter diesem Vordergrund bereit hält,
wird seit seinem Erscheinen beständig zu ergründen
gesucht. Eine mittlerweile hoch spezialisierte Thomas-Mann-Forschung
beschäftigt sich mit den verschiedenen Themen und Motiven,
die im Zauberberg explizit und implizit eine Rolle spielen – wie
etwa philosophische und mythologische, religiöse und psychoanalytische
Aspekte oder Fragen nach der Bedeutung der Musik oder von Raum und
Zeit. Ganz aktuell wird das Verhältnis von Realismus und
Phantastik diskutiert, nachdem Luca Crescenzi jüngst die These
aufgestellt hat, die gesamte Romanhandlung stelle einen Traum des
auf dem Schlachtfeld im Sterben liegenden Hans Castorp dar. Welche Bedeutung
kommt bei diesen vielfältigen Deutungsangeboten der medizinischen
Region des Textes zu?
Ist sie in der Tat nur „vorderster Vordergrund”? Offenkundig
bestimmen die Krankheit Tuberkulose und die mit ihr verbundenen
Umstände des Sanatoriumsalltags einen großen Teil
der Handlung. Vielerlei ist über die zeitgenössische
Diagnostik und Therapeutik der Lungentuberkulose zu erfahren, und
auch an detailreichen Schilderungen des Sanatoriumswesens mangelt
es nicht [2]
[18]
[20]
[24]
[25]
[26]
.
Allerdings ist die Bedeutung medizinischer Themen für den Zauberberg damit noch
lange nicht erschöpft. Eine genaue Lektüre bietet
Aufschluss darüber, dass auch die medizinische Dimension
des Romans als „vorderster Vordergrund” sehr viel
Hintergründigkeit aufweist und auf vielerlei Weise mit
den tiefer liegenden Schichten des Textes verwoben ist.
Literatur
1
Dehoff E.
Der Zauberberg. Von Thomas Mann.
Die Tuberkulose.
1925;
5
42-45
11 Max K. „…Gott sei Dank, daß es nicht die
Lunge war!” Krankheitskonzepte in Thomas Manns Tristan
als Elemente kulturellen Wissens. In: Lörke T,
Müller C. Vom Nutzen und Nachteil der Theorie für
die Lektüre. Würzburg: Königshausen & Neumann; 2006: 197-211
24 Sprecher T. Davos in der Weltliteratur. Zur Entstehung des Zauberbergs. In: ders. Das „Zauberberg”-Symposium
1994 in Davos. Frankfurt a. M.: Klostermann; 1995: 9-42
26 Sprecher T. Die Krankenschwesterfiguren im frühen Werk Thomas Manns
unter besonderer Berücksichtigung von Adriatica von Mylendonk. In: ders. Literatur und Krankheit im Fin-de-siècle. Frankfurt a. M.: Klostermann; 2002: 35-72