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DOI: 10.1055/s-0030-1270269
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Nachruf – In Erinnerung an Dietrich Tönnis
Publication History
Publication Date:
15 December 2010 (online)
Im Alter von 83 Jahren ist unser Freund und Kollege Dietrich Tönnis am 21. August 2010 in seinem Haus in Dortmund-Syburg friedlich entschlafen. Ein außergewöhnlicher Wissenschaftler und ganz besonderer Mensch hat uns verlassen, wird nicht mehr zu unseren Kongressen kommen, uns Impulse geben und uns an seinem außerordentlich großen Wissen teilnehmen lassen.
Dietrich Tönnis wurde am 10. August 1927 in Würzburg als Sohn des Wilhem Tönnis, dem ersten namhaften Neurochirurgen in Deutschland geboren. Nach dem medizinischen Staatsexamen in München verbrachte er mithilfe der Ventnor Foundation eine einjährige Internship in New Jersey. Diese Stiftung hat damals junge Ärzte aus Europa für ein Jahr an die Ostküste der USA vermittelt. Das Jahr hatte nach Dietrichs Auskunft großen Einfluss auf seine wissenschaftliche Karriere und auch seine spätere Freundschaft zu zahlreichen amerikanischen Fachkollegen wie Sherman Coleman, Dean MacEwen und Mihran Tachdjian.
Einige Jahre Forschung am physiologischen Institut und an der Klinik für Neurologie der Universität in Köln folgten 2 Jahre Unfallchirurgie am "Bergmann’s Heil" in Bochum. 1960 begann Dietrich seine Weiterbildung zum Orthopäden unter Alfred Nikolaus Witt zunächst am Oskar-Helene-Heim in Berlin, später an der Universitätsklinik Harlaching in München. Witt war der wissenschaftliche Kern für eine ganze Generation späterer Ordinarien, wie Heinz Mittelmeier, Horst Cotta, Dieter Hohmann, Michael Jäger, Mathias Hackenbroch Jr., Joachim Wirth, Hans Jürgen Refior und Klaus Peter Schulitz. 1966 wurde Dietrich Tönnis habilitiert. In dieser Zeit veröffentlichte er ausgiebig seine elektromyografischen Studien zum Klumpfuß, zur Hüftdysplasie und zu anderen orthopädischen Entitäten.
1970 wurde er Chefarzt der Orthopädischen Klinik der Stadt Dortmund. Nach Münster umhabilitiert wurde er dort apl. Professor. Neben seiner fordernden klinischen Arbeit in einer auf hohen Touren laufenden Klinik hat sich sein wissenschaftliches Interesse auf die Morphologie der kindlichen Hüfte fokussiert. Seine Studie zu den radiologischen Normalwerten der Hüfte wurde publiziert. Im Arbeitskreis Hüftdysplasie der DGOT wurden Daten zur Hüftkopfnekrose nach konservativer und operativer Therapie der Hüftluxation gesammelt. Die Ergebnisse der operativen Therapie und die Effizienz verschiedener konservativer Behandlungsmethoden wurden im Enke und Thieme Verlag publiziert.
Dietrich Tönnis größte berufliche Herausforderung und Lebensaufgabe war das unter Mitarbeit von Helmus Legal geschriebene Werk "Die angeborene Hüftdysplasie und Hüftluxation". Das 1984 im Springer Verlag erschienene Buch kam 2 Jahre nach Edgar Somervilles "Displacement of the hip in childhood" auf den Markt. Dietrich Tönnis’ Monografie ist gerade in der Zeit erschienen, als Reinhard Grafs geniale Idee von der Ultraschalldiagnostik der Säuglingshüfte ihren Siegeszug durch die Welt antrat. Selbstredend hat Dietrich Tönnis Reinhard Graf als Koautor für die englische Ausgabe seines Werkes gewonnen. "Congenital dysplasia and dislocation of the hip in children and adultas" kam 1987 heraus und wurde für viele Jahre das Standardbuch zu diesem Thema. Die von Tönnis gemessenen Winkel wurden die weltweit anerkannte Basis für die röntgenologische Beurteilung des Hüftgelenks. Unter Freunden nannten wir ihn gerne Dietrich "the angle" und bezeigten ihm damit die gebührende Ehre.
Für die hohen Anforderungen zur Korrektur einer dysplastischen Adoleszentenhüfte entwickelte Dietrich Tönnis seine "Dreifach-Osteotomie". Sie hatte bald einen ähnlich guten Ruf, wie die von Reinhold Ganz in Bern und zuvor von Heinz Wagner kreierte periazetabuläre Osteotomie. Die Triple-Osteotomie von Tönnis ermöglicht die volle Reorientierung der Pfanne entsprechend den Bedürfnissen der vorausgehenden Dysplasie. Zahllose Patienten aus Deutschland und den Nachbarländern kamen nach Dortmund, um sich von Prof. Tönnis oder seinen Kollegen Klaus Kalchschmidt, Klaus Buckup und seinem Nachfolger Bernd-Dietrich Katthagen operieren zu lassen.
Prof. Dr. Dietrich Tönnis (Quelle: privat). * 10.08.1927 † 21.08.2010
Im Ruhestand hat sich Dietrichs Interesse auf die Pathoanatomie des Azetabulums und ihr im Verhältnis zur Entwicklung einer Arthrose konzentriert. Seine Veröffentlichung über die azetabuläre und femorale Anteversion erschien im amerikanischen JBJS im Jahr 1999.
Die Tatsache, dass sein Beitrag zum besseren Verständnis der Hüftpathologie weltweit Resonanz fand, wurde während der letzten Jahre sein größter Stolz. Er liebte die Diskussion zu diesem Thema in Kongressen oder Symposien über alles. Dies war auch ein starker Ansporn für eine eigene Netzplattform, um durch diese sein Wissen an die Jüngeren weitergeben zu können (http://www.dr-toennis.de).
Im Jahr 1981 war Dietrich Tönnis zusammen mit John Sharrard und Henri Bensahel Gründer der Europäischen Gesellschaft für Kinderorthopädie (EPOS) in Paris. In den folgenden 28 Jahren glänzte er immer wieder mit wichtigen Beiträgen und bestimmte das hohe wissenschaftliche Niveau dieser Gesellschaft mit. 1999 wurde er Ehrenmitglied der EPOS und 2007 wurde er bei der 27. Tagung in Warschau mit der "Pro maximis meritis" Medaille geehrt.
Die Nordwestdeutsche Vereinigung für Orthopädie machte Tönnis 1975 zum Ehrenmitglied. 1996 hat ihn die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie mit der "Pauwels-Medaille" ausgezeichnet. Er war Ehrenmitglied der Deutschen, Österreichischen und Tschechischen Gesellschaften für Orthopädie und Traumatologie.
In den Achtzigerjahren kämpfte Dietrich Tönnis für den Ausbau der Beziehungen nach Chile und Südamerika. Seit der Zeit kommt es regelmäßig zum Austausch von Fellows unter Mithilfe eines Reisestipendiums der DGOOC.
Dietrich war eine starke Kraft bei der Gründung der Vereinigung für Kinderorthopädie im Jahr 1987. Er kam regelmäßig zu den Tagungen und hat sich mit seinem fundierten Wissen in die Diskussionen eingebracht. Zum letzten Mal saßen wir bei der 24. Jahrestagung in Hamburg im März 2010 zusammen, als er uns mit Begeisterung davon erzählte wie oft seine Netzseite schon angeklickt worden ist.
Bei häufigen Aufenthalten in Indien schöpfte Dietrich Tönnis über viele Jahre hinweg Kraft. Er war auf der Suche nach dem Sinn des Lebens allgemein, aber auch seines Lebens. In den vergangenen 40 Jahren sahen wir immer Margret an der Seite Dietrichs. Sie war all die Jahre seine Inspiration und Unterstützung, eine feine, sich gegenseitig fördernde, Partnerschaft. Margret war mit ihren Töchtern und Familien an seiner Seite, als er schließlich den monatelangen Kampf gegen die Motorneuronen-Krankheit verlor.
Wir werden unseren Freund sehr vermissen.
Klaus Parsch, Rüdiger Krauspe