Kommentar 1 – aus Sicht des Hämostaseologen
Jürgen Ringwald
Mit einer jährlichen Inzidenz von ca. 0,1 % in der Gesamtbevölkerung gilt die venöse
Thromboembolie (VTE) als dritthäufigste kardiovaskuläre Erkrankung [1]. Da das Risiko für eine VTE mit zunehmendem Alter deutlich ansteigt, ist zu erwarten,
dass deren Häufigkeit zukünftig angesichts der zunehmend alternden Bevölkerung in
unserem Land weiter ansteigen wird. Veränderungen des Lebensstils des modernen Menschen,
z. B. Bewegungsmangel bei überwiegend sitzender Tätigkeit oder Neigung zu Adipositas,
werden zusätzlich einen Betrag hierzu leisten. Die Lungenembolie (LE) gilt zudem als
häufigste vermeidbare Ursache der krankenhausassoziierten Mortalität. Zur Prävention
der VTE existiert seit einigen Jahren eine S3-Leitlinie (LL) [2].
Aufgrund der o. g. Häufigkeit der VTE und deren Bedeutung für die Gesundheit der Bevölkerung
unseres Landes sollte jeder klinisch tätige Arzt Kenntnisse zur Diagnostik und Therapie
der VTE besitzen. Gerade für Kollegen, die Patienten betreuen, deren Gesundheitszustand
mit einem besonders hohen Risiko für VTE einhergeht, ist dies von besonderer Bedeutung.
Dies trifft in mehrfacher Hinsicht auf den geburtshilflichen und gynäkologischen Bereich
zu. Sowohl per se physiologische Zustände wie die Schwangerschaft als auch krankhafte
Veränderungen wie Tumorerkrankungen oder bestimmte medikamentöse Therapieformen (Hormonersatztherapie,
hormonelle Kontrazeption) führen zu einer hämostaseologischen Imbalance in Richtung
einer prokoagulatorischen Thromboseneigung. Der Geburtshelfer/Gynäkologe muss daher
bei diesen Patientinnen stets in der Lage sein, thrombotische Komplikationen zu erkennen
und ggf. erste therapeutische Schritte einleiten zu können. Vor diesem Hintergrund
ist die Initiative des Herausgebers dieser Zeitschrift, die aktuellen S2-LL zur Diagnostik
und Therapie der VT (tiefe Venenthrombose) und LE in dieser Ausgabe der „Geburtshilfe
und Frauenheilkunde“ in den Mittelpunkt zu stellen, sehr zu begrüßen. Aus Sicht des
klinisch tätigen Hämostaseologen wird im Folgenden auf besonders wichtige Aspekte
der LL hingewiesen und diese kommentiert.
Wie in vielen anderen Bereichen der modernen Medizin ist auch in der Diagnostik der
VTE die Anwendung diagnostischer Algorithmen unabdingbar! Ein zentrales Anliegen der
LL ist die Vermittlung solcher Algorithmen, um einerseits die Sicherheit der Versorgung
der Patienten zu gewährleisten, aber auch andererseits unnötige Kosten zu vermeiden.
Für das diagnostische Vorgehen insbesondere bei akuten Krankheitsbildern, die einen
schnellen und eindeutigen Therapieentscheid fordern, sind in 1. Linie rasch verfügbare
diagnostische Werkzeuge anzuwenden, die eine hohe Sensitivität bei zumindest guter
Spezifität aufweisen. Zur Sicherung der Diagnose sollten dagegen Verfahren mit höherer
Spezifität angewendet werden. Hierbei ist für den Kliniker stets auch das Umfeld von
Bedeutung, d. h., welche diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten sind vor
Ort und in welchem Zeitraum verfügbar. Vor diesem Hintergrund beschreiben die S2-LL
sowohl für die Bein- und Beckenvenenthrombose als auch für die LE ein primäres diagnostisches
Werkzeug, das überall anzuwenden ist: die Einschätzung der klinischen Wahrscheinlichkeit
(KW) – für die LE zudem auch die wichtige Unterscheidung in einen hämodynamisch stabilen
oder instabilen Patienten. Da in der Regel eine Entscheidung zur Einleitung weiterer
diagnostischer Schritte in der akuten klinischen Situation schnell getroffen werden
muss, empfiehlt sich ein möglichst einfaches, dichotomes Vorgehen. Die in den LL beschriebenen
und in klinischen Studien überprüften Scores nach Wells stellen neben der Beurteilung
durch einen erfahrenen Untersucher ein probates Mittel dar. Darauf aufbauend ist eine
wichtige Botschaft der aktuellen LL, dass die Bestimmung der D-Dimere nur bei Patienten
mit niedriger KW sinnvoll ist, um hier aufgrund des hohen negativen prädiktiven Wertes
bei nicht erhöhten D-Dimeren eine VTE ausschließen bzw. unnötige weitere und ggf.
belastende Diagnostik vermeiden zu können. Gerade bei Schwangeren besteht bei entsprechender
Symptomatik aufgrund des schwangerschaftsassoziierten erhöhten Thromboserisikos per
se eine zumindest mittlere bis hohe KW für eine VTE. Zudem ist die diagnostische Wertigkeit
der D-Dimere in der Schwangerschaft aufgrund des physiologischen Anstieges eingeschränkt,
wenngleich es Versuche gibt, mit an das Schwangerschaftsalter adaptierten Referenzwerten
zu arbeiten. Nach unserer Erfahrung ist dies jedoch in der Praxis recht schwierig
umzusetzen. In aller Regel sollten daher in dieser Situation, wie auch generell für
Patienten mit mittlerer bis hoher KW, primär bildgebende Verfahren angewendet werden.
Zur Diagnostik der VT ist die Kompressionssonografie (KS) in den Händen eines geübten
Untersuchers die Methode der Wahl, wobei die primäre Untersuchung des gesamten Venensystems
der betroffenen Extremität favorisiert wird. Die Indikation zu weiteren diagnostischen
Maßnahmen, z. B. Phlebografie, bleibt den wenigen Fällen vorbehalten, die nach erster
oder auch wiederholter (z. B. nach 7 Tagen) KS unklar geblieben sind.
Hinsichtlich der Diagnostik der LE beschreiben die LL ebenfalls ein klares und klinisch
orientiertes Vorgehen. Wichtig ist die Aussage, dass bei klinisch instabilen Patienten
diagnostische Maßnahmen den Beginn einer kausalen Therapie nicht verzögern dürfen!
Sollte ein perakuter Verlauf nicht bereits therapeutische Maßnahmen vor jegliche weitere
Diagnostik bedingen, so steht die transthorakale Echokardiografie an 1. und entscheidender
Stelle der Diagnostik der LE! Bei Nachweis einer akuten rechtsventrikulären Dysfunktion
muss die Behandlung unverzüglich begonnen werden. Sollte die Beurteilung in der Echokardiografie
schwierig sein, so ist eine weitere Diagnostik, wie die Mehrschicht-Spiral-CT-Angiografie
(MS-Spiral-CTA), anzuraten. Gerade vor dem Hintergrund der immer knapper werdenden
medizinischen Ressourcen ist der Hinweis der LL von Bedeutung, beim hämodynamisch
stabilen Patienten mit Verdacht auf eine LE primär eine KS der Beine durchzuführen.
Hintergrund ist hierbei, dass sich die therapeutischen Maßnahmen nicht unterscheiden
und somit auf weitere belastende und teure bildgebende Diagnostik verzichtet werden
kann. Dies ist sicherlich gerade für die schwangere Patientin mit Verdacht auf LE
von praktischer Relevanz!
Die Empfehlungen der LL zur Akuttherapie der VT und der LE betonen die Notwendigkeit
des sofortigen Therapiebeginns, um bei einer VT akute Komplikationen (LE oder gekreuzte
Embolie) oder die Ausbildung eines postthrombotischen Syndroms (PTS) zu verhindern
bzw. bei einer LE die akute Mortalität zu senken. Generell hat sich in der Therapie
der VTE gegenüber früheren Jahren ein erstaunlicher Paradigmenwechsel vollzogen. Während
bis in die 1990er-Jahre Patienten mit VTE generell immobilisiert und stationär behandelt
wurden, werden diese heute in der Regel mit Kompressionstherapie und suffizienter
Antikoagulation versehen und mobil ambulant therapiert. Die stationäre Aufnahme eines
Patienten mit VT und/oder unkomplizierter LE ist heutzutage nur noch indiziert, wenn
Begleitkrankheiten oder ‐umstände (Versorgungsproblem) bzw. die Durchführung thrombusbeseitigender
Maßnahmen dies erfordern.
Gemeinsame therapeutische Basis der VTE stellt die Antikoagulation dar, die mit unfraktioniertem
oder niedermolekularem Heparin (NMH), Fondaparinux oder bei Z. n. heparininduzierter
Thrombozytopenie Typ II mit einem alternativen Antikoagulans (Danaparoid, Lepirudin,
Argatroban) begonnen und dann in der Regel mit einem Vitamin-K-Antagonisten (VKA)
fortgeführt wird. Bei Unverträglichkeit von VKA und insbesondere bei Tumorpatienten
empfehlen die LL die Fortführung der Antikoagulation mit NMH. Neben der geringeren
Interaktion mit notwendigen Therapiemaßnahmen und einem verminderten Blutungsrisiko
basiert diese Empfehlung auch auf den Ergebnissen einiger randomisierter Studien,
die eine Halbierung des VTE-Risikos unter NMH im Vergleich zu VKA feststellen konnten
[5]. Ergänzend sei erwähnt, dass NMH zudem ein antiproliferativer Effekt zugesprochen
wird [6]. Vor diesem Hintergrund erscheint es daher sinnvoll, bei fortbestehender Malignomerkrankung
die prolongierte Sekundärprophylaxe generell mit einem NMH anstelle eines VKA durchzuführen.
Hinsichtlich der medikamentösen Therapie und Sekundärprophylaxe werden in der nächsten
Zeit sicher Ergänzungen der LL notwendig werden, da die Zulassung der neuen oralen
Antikoagulanzien (Dabigatran, Rivaroxaban) zur Therapie der VTE bald zu erwarten sein
dürfte. Zur postoperativen Prophylaxe der VTE bei elektivem Hüft- und Kniegelenkersatz
sind beide Substanzen bereits seit Längerem zugelassen.
Thrombusbeseitigende Maßnahmen sind vorwiegend bei hämodynamisch instabilen Patienten
mit LE indiziert. In seltenen Fällen können diese auch bei sehr ausgedehnter, frischer
iliofemoraler VT bei jungen Patienten oder zum Extremitätenerhalt indiziert sein.
Ein schwieriges Feld ist weiterhin die Dauer der Rezidivprophylaxe. Hier wurden zwar
in den aktuellen S2-LL die Empfehlungen des American College of Chest Physicians übernommen,
jedoch bleiben auch weiterhin insbesondere bei VTE idiopathischer Genese einige Fragen
zumindest teilweise offen [7].
Zunächst sind neben der Frage eines Erst- oder Rezidivereignisses primär die Umstände
des Auftretens der VTE von Bedeutung für die Festsetzung der Dauer der Sekundärprophylaxe.
Es ist daher von zentraler Bedeutung, diesbez. eine genaue Anamnese zu erheben, was
nach unserer Erfahrung in Praxis leider oftmals vernachlässigt wird. Die genaue Suche
nach exogenen und erworbenen Risikofaktoren muss also bereits initial im Mittelpunkt
stehen! Daran anschließend auch gleich die Frage, ob es sich hierbei um transiente
(z. B. Operationen, Gipsverband, Pille) oder dauerhafte (z. B. Adipositas, Tumorerkrankung)
Risikofaktoren handelt. Findet sich ein transienter Trigger für die VTE, so kann die
Antikoagulation nach den Empfehlungen der LL nach einem Erstereignis, egal ob VT oder/und
LE, bereits nach 3 Monaten beendet werden! Wichtig für die tägliche Praxis ist auch
der Hinweis der LL, dass nach einem 2., durch Risikofaktoren getriggerten Ereignis
dies nicht notwendigerweise zur dauerhaften Sekundärprophylaxe führt. Zur Abwägung
des Nutzen-Risiko-Verhältnisses gehört hierzu auch festzustellen, in wieweit der Patient
in der Lage ist, eine risikoadaptierte Thromboseprophylaxe rechtzeitig durchführen
zu können und zu wollen! Bestehen die initial zur VTE führenden Risiken dagegen fort
(z. B. aktive Krebserkrankung), so ist mit hoher Evidenz eine zeitlich unbefristete
Antikoagulation in Betracht zu ziehen!
Während sich nach Rezidiv einer idiopathischen VTE die Indikation für eine dauerhafte und zeitlich unbegrenzte
Sekundärprophylaxe mit hoher Evidenz stellen lässt, ist die Entscheidungsfindung bei
Patienten mit 1. idiopathischer Thromboembolie zumeist wesentlich schwieriger. Aufgrund einer ca.
5–9 %igen Mortalität bei Rezidivthrombosen, ist aber eine möglichst optimale Sekundärprävention
von großer Bedeutung [8]! Welche Vorgaben ergeben sich nun aus den aktuellen Leitlinien und wie lassen diese
im klinischen Alltag ein möglichst pragmatisches Vorgehen zu?
Eine erste Entscheidungshilfe geben die LL hinsichtlich der Art bzw. Ausdehnung des
thrombotischen Ereignisses. Bei einer 1. distalen VT kann die Antikoagulation nach 3 Monaten beendet werden, bei höhergradigen und
potenziell komplikationsträchtigeren VT (proximal der V. poplitea) kann nach individuellem Entscheid länger oder auch zeitlich unbegrenzt antikoaguliert werden. Eine aktuelle
Metaanalyse konnte die Abhängigkeit des Rezidivrisikos von der Symptomatik und Ausdehnung
des Erstereignisses jüngst belegen und bestätigt somit dieses Vorgehen [9].
Somit grenzt sich die individuelle Entscheidungsfindung auf die 1. idiopathische proximale VT oder LE ein. Nach einer Antikoagulation über mindestens 3 Monate sollte dann in
der Praxis eine Evaluation der klinischen Situation des Patienten erfolgen. Im Zentrum
dieser Risiko-Nutzen-Abwägung steht stets die Abwägung des individuellen Blutungsrisikos
vs. Rezidivthromboserisikos! In absoluten Zahlen ausgedrückt liegt das jährliche Risiko
schwerer Blutungen unter Einnahme von Vitamin-K-Antagonisten bei ca. 1–3,4 %, während
das Auftreten einer Rezidivthrombose nach aktuellen Daten bei 2,0–5,0 % anzusiedeln
ist [10], [11]. Verschiedene Faktoren können nun dazu beitragen, das Risiko für die Blutung bzw.
die Rezidivthrombose zu verändern und somit zur Entscheidung pro oder kontra einer
längerfristigen oder dauerhaften Sekundärprophylaxe zu führen. Neben der in den LL
erwähnten Überprüfung der Qualität der bereits durchgeführten oralen Antikoagulation
mit VKA (z. B. Erreichen des INR-Zielbereichs [INR: International Normalized Ratio],
Blutungsepisoden) sind bez. einer erhöhten Blutungsneigung beispielsweise das Alter
des Patienten (> 75 Jahre), Begleiterkrankungen wie chronische Nieren- oder Lebererkrankungen,
Z. n. gastrointestinalen Blutungen oder die evtl. gleichzeitig notwendige Gabe von
Thrombozytenfunktionshemmern im Mittelpunkt [7], [12]. In der täglichen Praxis spielen aber auch sog. Lifestyle-Risiken eine Rolle, d. h.,
welchen u. U. verletzungsträchtigen Tätigkeiten in Beruf und auch Freizeit geht der
Patient nach. Gerade bei der Indikationsstellung zu einer unbefristeten Antikoagulation
besteht hier oft ein erheblicher Beratungsbedarf!
Per se gilt bereits das spontane Auftreten einer VTE als wichtig(st)er Risikofaktor
für ein Rezidiv. In den LL werden die weiteren wichtigen Aspekte, die zur Beurteilung
des individuellen Rezidivrisikos, angeführt. Von besonderer Problematik ist hierbei
ohne Zweifel der gegenwärtige unklare Stellenwert des Thrombophiliescreenings als
sog. Umfelddiagnostik [12], [13]. Besonders bei positiver Familienanamnese für VTE erscheint dieses jedoch sinnvoll
zu sein. In den letzten Jahren wurde aber deutlich, dass nur sehr wenige erworbene
oder angeborene Thrombophilien das Rezidivrisiko tatsächlich erhöhen und damit letztendlich
die Entscheidung über die Dauer der Antikoagulation beeinflussen können. Darum sollte
sich ein Thrombophiliescreening auf diese Parameter beschränken. Hinsichtlich der
beiden häufigsten hereditären Thrombophilien, der heterozygoten Faktor-V-Leiden-Mutation
und G20210A-Prothrombin-Mutation, konnte gezeigt werden, dass diese nur mit einem
allenfalls sehr geringgradig erhöhten Rezidivrisiko assoziiert sind [14]. Dagegen ist die Situation bei homozygoten Trägern oder kombiniert heterozygoten
Trägern insbesondere aufgrund der relativ geringen Zahl noch etwas unklar und widersprüchlich.
Wie in den LL angeführt, belegen aber neuere Daten zumindest für die selteneren Thrombophilien
(angeborene heterozygote Mangelzustände an Protein S, C bzw. Antithrombin) ein deutlich
erhöhtes Rezidivrisiko [15]. Das Rezidivrisiko ist ebenfalls bei gesichertem, d. h. mehrfachem Nachweis von
Antiphospholipidantikörpern gesteigert [16]. Neben den in den LL aufgeführten Parametern scheint auch eine dauerhafte und nicht
Akutphase-assoziierte Erhöhung der Aktivität des Faktors VIII mit einer erhöhten Rezidivwahrscheinlichkeit
einherzugehen [17]. Einigkeit scheint jedoch zumindest über den Zeitpunkt der Durchführung eines Thrombophiliescreenings
zu bestehen. Da die initiale Therapie hierdurch nicht beeinflusst wird, ist dieses
in der Akutphase einer VTE nicht indiziert. Es kann sogar problematisch sein, da einige
Parameter durch die Akutphase erhöht (z. B. F.-VIII-Aktivität) oder durch Verbrauch
vermindert (Protein S oder C) sein können. Bei VTE im Rahmen einer Schwangerschaft
oder unter hormoneller Kontrazeption oder Ersatztherapie ist zudem zu beachten, dass
Protein S hierdurch vermindert wird. Die Erfahrung zeigt, dass gerade bei der Bestimmung
des zudem besonders lagerungslabilen und Vitamin-K-abhängigen Protein S erworbene
Veränderungen zur Fehldiagnose „Angeborener Protein-S-Mangel“ führen. Da in der Praxis
dieser Fallstrick immer wieder vorkommt, sei ergänzend erwähnt, dass die Untersuchung
auf Vitamin-K-abhängige Parameter (Protein S und C!) erst ca. 4–6 Wochen nach Absetzen
des VKA erfolgen sollte.
Mindestens so wichtig wie die Durchführung eines Thrombophiliescreenings ist bei idiopathischer
VTE eine adäquate Tumorsuche, die nach Empfehlung der LL vorzugsweise ab der 5. Lebensdekade
und auf Basis der alters- und geschlechtsspezifischen Krebsvorsorgemaßnahmen durchgeführt
werden sollte.
Auf 2 weitere Faktoren, die in den LL bereits erwähnt werden und deren Bedeutung erst
in den letzten Jahren deutlicher wurde, sollte in der individuellen Risiko-Nutzen-Abschätzung
des Patienten ebenfalls geachtet werden: die Bestimmung der Restthrombuslast und der
D-Dimere ca. 1 Monat nach Beendigung einer Antikoagulation.
Einige Untersuchungen jüngeren Datums konnten belegen, dass der Nachweis einer erhöhten
Restthrombuslast (definiert als 40 % des Venenquerschnitts im proximalen Venenbereich)
mit einer erhöhten Rezidivrate bzw. auch mit einer erhöhten Mortalität assoziiert
ist [7], [12], [5]. Darum ist die Durchführung einer KS im Rahmen der Risiko-Nutzen-Abschätzung bei
einem Patienten mit Z. n. 1. idiopathischer VTE dringend zu empfehlen.
Mehrere aktuelle Studien und auch eine aktuelle Metaanalyse unterstrichen die Bedeutung
eines positiven D-Dimere-Tests für die Rezidivwahrscheinlichkeit einer VTE [5]. Der Vorteil dieses Tests liegt sicher in der weitverbreiteten Verfügbarkeit und
den niedrigen Kosten. In der Beurteilung ist aber besonderes auf äußere Einflüsse
zu achten, z. B. Infekte, chronische Entzündungen, die zu einem unspezifisch positiven
Resultat führen können!
Für die Geburtshilfe und Gynäkologie sicherlich von untergeordneter Bedeutung wurde
in den letzten Jahren ebenfalls deutlich, dass Männer häufiger ein VTE-Rezidiv erleiden
als Frauen. Bislang ist dieser geschlechtsbezogene Effekt jedoch noch nicht in den
LL berücksichtigt.
Last, but not least sind auch die Belange, Wünsche und Befürchtungen des Patienten
(„Patientenpräferenzen“) in Betracht zu ziehen, der letztendlich mit dem dann u. U.
lebenslang erhöhten Blutungsrisiko durch eine dauerhafte Antikoagulation leben muss.
Für Patienten, die zeitlich unbefristet mit einem VKA behandelt werden, sollte generell
die Möglichkeit eines sog. Gerinnungsselbstmanagements diskutiert werden. Dieses führen
derzeit ca. 190 000 Patienten in Deutschland durch.
Zusammenfassend geben die aktuellen S2-LL praxisorientierte Empfehlungen, die, z. T.
auf hoher Evidenz basierend, den klinischen Alltag in der Diagnostik und Therapie
der VTE erleichtern können. Insbesondere die klaren Algorithmen ermöglichen dem Kliniker
ein zielorientiertes Vorgehen zum Nutzen des Patienten, aber auch der wirtschaftlichen
Ressourcen unseres Gesundheitssystems. Neben möglichen neuen Labortests und diagnostischen
Verfahren ist zu erwarten, dass die Zulassung neuer Antikoagulanzien eine zeitnahe
Anpassung der LL durch entsprechende Addenda notwendig machen wird. Auch bezüglich
der Entscheidung pro oder kontra für eine dauerhafte langfristige Antikoagulation
nach einer VTE geben die LL insgesamt gute Orientierungshilfen. Insbesondere nach
einer 1. idiopathischen proximalen VT oder LE kann diese als Basis für eine genaue
Evaluierung der individuellen Situation des Patienten genommen werden.
PD Dr. med. Jürgen Ringwald
Transfusionsmedizinische und Hämostaseologische Abteilung
Universitätsklinikum Erlangen
Krankenhausstraße 12
91054 Erlangen
E-Mail: Juergen.Ringwald@uk-erlangen.de
Literatur
- 1
Heit J A, Silverstein M D, Mohr D N et al.
The epidemiology of venous thromboembolism in the community.
Thomb Haemost.
2001;
86
452-463
- 2 AWMF Leitlinienregister 003/001 .Prophylaxe der venösen Thromboembolie (VTE). Version
vom 18.3.2009 mit Addendum vom 8.5.2010.
- 3
Hull R D, Pineo G F, Brant R F et al.
Long-term low-molecular-weight heparin versus usual care in proximal-vein thrombosis
patients with cancer.
Am J Med.
2006;
119
1062-1072
- 4
Lee A Y, Levine M N, Baker R I et al.
Low-molecular-weight heparin versus a coumarin for the prevention of recurrent venous
thromboembolism in patients with cancer.
N Engl J Med.
2003;
349
146-153
- 5
Meyer G, Marjanovic Z, Valcke J et al.
Comparison of low-molecular-weight heparin and warfarin for the secondary prevention
of venous thromboembolism in patients with cancer: a randomized controlled study.
Arch Intern Med.
2002;
162
1729-1735
- 6
Borsig L.
Heparin as an inhibitor of cancer progression.
Prog Mol Biol Transl Sci.
2010;
93
335-349
- 7
Kearon C, Kahn S R, Agnelli G et al.
Antithrombotic therapy for venous thromboembolic disease. American College of Chest
Physicians Evidence-based clinical practice guidelines.
Chest.
2008;
133
454-545
- 8
Douketis J D, Gu C S, Schuman S et al.
The risk of fatal pulmonary embolism after discontinuing anticoagulant therapy for
venous thromboembolism.
Ann Intern Med.
2007;
14
766-774
- 9
Baglin T, Douketis J, Tosetto A et al.
Does the clinical presentation and extent of venous thrombosis predict likelihood
and type of recurrence? A patient level meta-analysis.
J Thromb Haemost.
2010;
8
2436-2442
- 10
Schulman S, Beyth R J, Kearon C et al.
American College of Chest Physicians. Hemorrhagic complications of anticoagulant and
thrombolytic treatment: American College of Chest Physicians, Evidence-based clinical
practice guidelines.
Chest.
2008;
133
257-298
- 11
Lijering W M, Rosendaal F R, Canegieter S C.
Risk factors for venous thrombosis – current understanding from an epidemiological
point of view.
BJH.
2010;
149
824-833
- 12
Lindhoff-Last E.
Bewertung des Rezidivthromboserisikos venöser Thromboembolien.
Haemostaseologie.
2011;
31
7-12
- 13
Cohn D, Vansenne F, de Borgie C et al.
Thrombophilia testing for prevention of recurrent venous thrombeembolism.
Cochrane Database Syst Rev.
2009;
(1)
CD007069
- 14
Marchiori A, Mosena L, Prins M H et al.
The risk of recurrent venous thromboembolism among heterozygous carriers of factor
V Leiden or prothrombin G20210 mutation. A systematic review of prospective studies.
Haematologica.
2007;
92
1107-1114
- 15
Brouwer J L, Lijfering W M, Ten Kate M K et al.
High long-term absolute risk of recurrent venous thromboembolism in patients with
hereditary deficiencies of protein S, protein C and antithrombin.
Thromb Haemost.
2009;
101
93-99
- 16
Pengo V, Ruffiatti A, Legnani C et al.
Clinical course of high-risk patients diagnosed with antiphospholipid syndrome.
J Thromb Haemost.
2010;
8
237-242
- 17
Shrivastava S, Ridker P M, Glynn R J et al.
D-dimer, factor VIII coagulant activity, low-intensity warfarin and the risk of recurrent
venous thromboembolism.
J Thromb Haemost.
2006;
4
1208-1214
- 18
Young L, Ockelford P, Milne D et al.
Post-treatment residual thrombus increases the risk of recurrent deep vein thrombosis
and mortality.
J Thromb Haemost.
2006;
4
1919-1924
- 19
Siragusa S, Malato A, Anastasio R et al.
Residual vein thrombosis to establish duration of anticoagulation after a first episode
of deep vein thrombosis. The duration of anticoagulation based on compression ultrasonography
(DACUS) study.
Blood.
2008;
112
511-515
- 20
Prandoni P, Prins M H, Lensing A W AESOPUS Investigators et al.
Residual thrombosis on ultrasound to guide the duration of anticoagulation in patients
with deep vein thrombosis: a randomized trial.
Ann Intern Med.
2009;
150
577-585
- 21
Eichinger S, Minar E, Bialonczyk C et al.
D-dimer levels and risk of recurrent venous thromboembolism.
JAMA.
2003;
290
1071-1074
- 22
Palareti G, Legnani C, Cosmi B et al.
Risk of venous thromboembolism recurrence: high negative predictive value of D-dimer
performed after oral anticoagulation is stopped.
Thromb Haemost.
2002;
87
7-12
- 23
Palareti G, Legnani C, Cosmi B et al.
Predictive value of D-dimer test for recurrent venous thromboembolism after anticoagulation
withdrawal in subjects with a previous idiopathic event and in carriers of congenital
thrombophilia.
Circulation.
2003;
108
313-318
- 24
Palareti G, Cosmi B, Legnani C PROLONG Investigators et al.
D-dimer testing to determine the duration of anticoagulation therapy.
N Engl J Med.
2006;
355
1780-1789
- 25
Bruinstroop E, Klok F A, Van de Ree M A et al.
Elevated D-dimer levels predict recurrence in patients of idiopathic venous thromboembolism.
A metaanalysis.
J Thromb Haemost.
2009;
7
611-618
- 26
Cosmi B, Legnani C, Tosetto A PROLONG Investigators et al.
Usefulness of repeated D-dimer testing after stopping anticoagulation for a first
episode of unprovoked venous thromboembolism: the PROLONG II prospective study.
Blood.
2010;
115
481-488
Kommentar 2
G.-F. von Tempelhoff
Die aktuelle Fassung der S2-Leitlinie (S2-LL) „Diagnostik und Therapie der Venenthrombose
und der Lungenembolie“ liefert auch dem gynäkologisch/geburtshilflich ärztlich Tätigen
in Klinik und Praxis eine allgemeine sowie gebietsbezogene Übersicht und Anleitung
zum Management venöser thromboembolischer Komplikationen (VTE). Ohne Zweifel zählen
VTE zu den weitverbreitesten Zivilisationskrankheiten unserer Zeit, die für die Mortalität
postoperativ, im stationären – intensivmedizinischen – Bereich, bei Malignomerkrankungen,
aber auch in der Schwangerschaft maßgeblich verantwortlich sind. Hierbei liegt die
Zahl nicht diagnostizierter und damit inadäquat therapierter letaler pulmonaler Embolien
(PE) in einer aktuellen Erhebung bei rund 40 % [27]. Diese Ergebnisse weisen nicht nur auf eine fehlerhafte Einschätzung des individuellen
Thromboserisikos hin, sondern auch auf die schlichte Tatsache, dass VTE-verdächtige
Symptome nicht erkannt und im Gefolge, einer erforderlichen Objektivierung und Therapie
nicht zugeführt werden. Kenntnisse über die klassischen temporären und permanenten
Thromboserisikofaktoren gehören zum ärztlichen Basiswissen, wobei im frauenärztlichen
Gebietsbereich zusätzliche Risikokonstellationen hinzukommen. Eine unterlassene Thromboseprophylaxe
in Gegenwart eines offensichtlich erhöhten Thromboserisikos ist ein schwerwiegender
ärztlicher Fehler. Hingegen ist die eindeutige Zuordnung thromboseverdächtiger klinischer
Symptome in Gegenwart komorbider Zustände oder aber auch physiologischer Veränderungen
– als Beispiel sei hier die Schwangerschaft genannt – mitunter schwierig. Außerhalb
der Schwangerschaft kann hier Upfront mit geringem Aufwand über die Anwendung eines
standardisierten Punkte-Scores (z. B. n. Wells) per Abfrage definierter klinischer
Symptome und Risikokonstellationen die Wahrscheinlichkeit einer VTE quantifiziert
und graduiert werden. Bei hoher Wahrscheinlichkeit ist eine sofortige bildgebende
Objektivierung sinnvoll und erforderlich, währenddessen die D-Dimer-Bestimmung zum
Ausschluss einer Thrombose nur bei geringer Wahrscheinlichkeit eingesetzt werden sollte.
Wie in den S2-LL beschrieben, ist die frühzeitige Erkennung, Sicherung und konsekutive
Einschätzung klinisch verdächtiger Symptome für entweder eine Thrombose oder PE in
Hinblick auf Morbidität, Mortalität und damit das weitere Schicksal der Betroffenen
von entscheidender Bedeutung. Ziel der S2-LL ist aber nicht nur die Vermittlung standardisierter
Algorithmen in Bezug auf Diagnostik und Therapie, sondern auch eine Sinnesschärfung
für das breite Manifestationsspektrum von VTE-Komplikationen im klinischen Alltag.
Kaum eine andere Fachdisziplin ist in so mannigfaltiger Weise mit der Thromboseproblematik
konfrontiert wie der gynäkologisch/geburtshilfliche Tätigkeitsbereich mit der Besonderheit
eines über alle Altersklassen hinweg verteilten Thromboserisikos.
Die Bedeutung der Thrombose in der Gynäkologie beschränkte sich lange Zeit auf Komplikationen
im Rahmen chirurgischer Eingriffe oder stationärer Behandlungen. So lag in den mit
großem Aufwand betriebenen placebokontrollierten Prophylaxestudien nach gynäkologischen
Standardoperationen im Arm ohne Thromboseprophylaxe außerhalb malignomchirurgischer
Eingriffe die Thromboseinzidenz noch bei durchschnittlich 14,0 % (95 %-KI [Konfidenzintervall]:
11–17) gegenüber 25 % (95 %-KI: 24–26) in der Allgemein- und Viszeralchirurgie [28], bzw. nach radikal chirurgischen Eingriffen eines gynäkologischen Malignoms zwischen
15 und 40 % [29]. Die Ergebnisse dieser Studien wurden unmittelbar für die internationalen Empfehlungen
zur Thromboseprophylaxe herangezogen und in relativ kurzer Zeit fast flächendeckend
in die Klinikstandards übernommen. Das Bewusstsein für das erhöhte Thromboserisiko
im Zuge operativer Eingriffe hat sich im klinischen Alltag über die Jahre fest etabliert
und so ist die Schwester mit der Thrombosespritze in der rechten und weißen Kompressionsstrümpfen
in der linken Hand eine der ersten Begegnungen der Patientin selbst im Vorfeld eines
mit geringem Thromboserisiko belasteten Eingriffs.
Im Zeitalter minimalinvasiver Operationstechniken, kürzerer stationärer Aufenthalte
und in Folge der meist bis zur Entlassung der Patientin konsequent durchgeführten
medikamentösen und physikalischen Thromboseprophylaxe ist die symptomatische Thrombose
in der operativen Gynäkologie mit einer Inzidenz von weniger als 1 % ein seltenes
Ereignis geworden [27]. Warnhinweise einer Verschiebung der Thrombosediagnose in den poststationären Zeitraum
liefern u. a. statistische Erhebungen, nach denen ca. ⅔ aller Thrombosen im Gefolge
eines gynäkologischen Eingriffs und 60 % nach onkogynäkologischer Operation erst nach
Entlassung klinisch manifest werden ([Tab. 1]) [5], [6].
Tab. 1 Inzidenz symptomatischer postoperativer Thrombosen vor und nach Krankenhausentlassung
(poststationär) bis 91 Tage nach Operation bei Patienten mit und ohne bösartige Tumorerkrankung.
|
Patienten ohne Malignom
|
Malignompatienten
|
|
postoperativ bis zum 91. Tag nach Operation (n [%])
|
poststationär bis zum 91. Tag nach Operation (%)
|
postoperativ bis zum 91. Tag nach Operation (n [%])
|
poststationär bis zum 91. Tag nach Operation (%)
|
Neurochirurgie
|
395/0,83
|
0,51
|
215/3,21
|
2,47
|
Kopf/Hals-Chirurgie
|
25/0,10
|
0,06
|
144/0,83
|
0,43
|
Thoraxchirurgie
|
1 806/0,68
|
0,39
|
654/1,00
|
0,61
|
Gastrointestinalchirurgie
|
1 177/0,38
|
0,20
|
988/1,77
|
0,81
|
Urologie
|
319/0,34
|
0,23
|
814/1,30
|
0,76
|
Gynäkologie
|
402/0,25
|
0,19
|
244/1,28
|
0,74
|
Orthopädie
|
4 689/1,30
|
0,96
|
324/2,49
|
1,38
|
Damit liegt auch die Verantwortung für das primäre Vorgehen bei Thromboseverdacht
im Allgemeinen zunächst einmal in den Händen der niedergelassenen Kollegen. Überhaupt
werden die entscheidenden Weichen zur Thromboseprävention in der Gynäkologie und Geburtshilfe
im zunehmenden Maße in der Praxis der Niedergelassenen gestellt. Dies ist in der täglichen
Praxisroutine bereits mit der Rezeptur einer medikamentösen Antikonzeption oder Hormonersatztherapie
und dem damit immanent verbundenen Thromboserisiko der Fall, die eine sorgfältige
Thromboseanamnese der Patientin und gegebenenfalls eine Thrombophilieabklärung erforderlich
machen [7]. Rund ein Drittel der im Swedish Cause of Death Register (CDR) während eines 10-jährigen Zeitraums erfassten Frauen mit letaler VTE
im Alter von 15–44 Jahren waren Anwender einer oralen kombinierten Antikonzeption
(COC; 23 %) oder verstarben in der Schwangerschaft (8 %). In der Altersgruppe zwischen
15 und 24 Jahren war die Rate letaler VTE bei Anwenderinnen einer COC statistisch
signifikant höher als bei Nichtschwangeren und Frauen ohne COC-Einnahme [8]. Vor dem Einsatz einer COC ist auch zu berücksichtigen, dass gemäß aktuellen WHO-Empfehlungen
eine laufende antikoagulative Therapie die Kontraindikation für COC im Zusammenhang
mit einer Thrombose nicht außer Kraft setzt [7].
Schwangerschaft und Wochenbett katapultieren das Basisrisiko auf etwa das 4–8-Fache
gegenüber Nichtschwangeren gleichen Alters mit einer kalkulierten Thrombosehäufigkeit
zwischen 700–1400 Fällen bei durchschnittlich 680 000 Lebendgeburten jährlich. Gerade
in Ländern mit hohem medizinischen Standard steht sie an 1. Stelle der mütterlichen
Todesursachen und ist ausweislich britischer Perinatalstatistiken der letzten 4 Jahrzehnte
unverändert für 20–40 % der jährlichen Todesfälle verantwortlich. Obwohl im Zeitalter
der thrombophilen Ursachenforschung der Thematik auch gynäkologisch/geburtshilflicherseits
erhöhte Aufmerksamkeit zuteil wurde, bescheinigt eine kritische Aufarbeitung der Jahre
2000–2002 bei rund 60 % der maternalen Todesfälle in England ein unzureichendes Thrombosemanagement
in Bezug auf Prophylaxe und Therapie [9]. Festzustellen ist, dass die klassischen Risikofaktoren wie höheres Alter und Komorbiditäten
nicht zu eben den Merkmalen des Risikoklientels in der Schwangerschaft oder der Anwender
einer hormonellen Antikonzeption gehören und damit die Thrombose eigentlich ein untypisches
Ereignis darstellt.
Die Differenzierung zwischen klinisch verdächtigen und physiologischen Symptomen,
beispielweise Dyspnoe, unilaterale Beinschwellung, Beckenschmerzen, etc. ist insbesondere
in der Schwangerschaft schwierig. Auch wenn bei klinischen Verdachtssymptomen die
Zahl objektivierter Diagnosen bei Schwangeren im Vergleich zu Nichtschwangeren mit
8 vs. 25 % für eine Thrombose und 3 vs. 30 % für die Lungenembolie in entsprechenden
Erhebungen sehr gering ausfällt [10], [11], muss bis zu deren sicherem Ausschluss die unverzüglich einzuleitende therapeutische
Heparinisierung – i. A. mit niedermolekularem Heparin (NMH) – fortgesetzt werden.
Eine bildgebende Diagnostik mit vorzugsweise der Kompressionssonografie zur Verifizierung
einer Thrombose bzw. transthorakaler Echokardiografie zur Klärung einer PE ist unmittelbar
anzustreben. In den S2-LL wird auch deutlich gemacht, dass für die Schwangerschaft
kein getesteter Ausschlussalgorithmus für eine VTE zur Verfügung steht. Da sich die
Plasmakonzentrationen fast aller Gerinnungsparameter einschließlich der Fibrinspaltprodukte
mit fortschreitender Schwangerschaft im Sinne einer balancierten Hyperkoagulabilität
verändern und tragzeitabhängige Grenzbereiche auch für das D-Dimer nicht etabliert
sind, liefern die meist schon zu Beginn des 2. Trimesters erhöhten D-Dimer-Konzentrationen
eine höhere Ausfallrate (falsch positive Ergebnisse). Allerdings schließen niedrige
Werte (z. B. < 1000 µg/l) auch in der Schwangerschaft mit hoher Sicherheit eine Thrombose
aus [12]. Unter den klinischen Risikofaktoren kommt der vorangegangenen Thrombose die größte
Bedeutung für die Entstehung einer Thrombose in der Schwangerschaft mit einer adjustierten
Odds Ratio von 24,8 (95 %-KI:17,1–36) zu [13]. Obgleich die NMH in der Schwangerschaft 1. Wahl bei der Behandlung von VTE-Komplikationen
sind, muss die akut lebensbedrohliche, kreislaufinstabile Lungenembolie, falls eine
Thrombolyse/Embolektomie nicht erforderlich ist, aufgrund der sofort einsetzenden
Wirkung intravenös mit unfraktioniertem Heparin (UFH; Bolusgabe von 80 U/kg KG dann
18 U/kg KG/h) und über die aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT) adjustiert
(4–6 h nach Bolusgabe; 6 h nach jeder Dosisänderung; täglich: Ziel aPTT: das 1,5–2,5-Fache
der normalen aPTT) therapiert werden [14]. Die NMH-Erhaltungstherapie einer in der Schwangerschaft diagnostizierten VTE sollte
bis mindestens 6 Wochen post partum erfolgen und lediglich peripartal 24 h vor Entbindung
unterbrochen werden. Eine Regionalanästhesie ist 24 h nach der letzten NMH-Injektion
möglich [15], wobei ein Epiduralkatheter erst 12 h nach der letzten NMH-Injektion entfernt bzw.
nach dessen Entfernung erst 4 h später mit NMH erneut begonnen werden sollte [16], [17]. Auch ist die Einlage von Wunddrainagen nach Kaiserschnitt sinnvoll, wobei die NMH-Therapie
3 h postoperativ mit einer 1. Injektion in prophylaktischer und 12 h danach in therapeutischer
Dosierung fortgesetzt werden sollte. In der Regel ist die Thrombose keine Indikation
für einen Kaiserschnitt und eine vaginale Entbindung sollte prinzipiell angestrebt
werden.
Erwähnt sei noch, dass unter NMH-Langzeitbehandlung das Risiko für osteoporotische
Frakturen in der Schwangerschaft mit 0,04 % angegeben ist [14] und die durchschnittliche Rate schwerer Blutungen in der bis dato größten Datenauswertung
mit 1,98 % (95 %-KI:1,50–2,57 %) deutlich unter den Vergleichszahlen der allgemeinen
Perinatalstatistiken (2–5 %) liegt. Eine heparininduzierte Thrombozytopenie Typ II
(HIT 2) wurde in keiner der ausgewerteten Studien beobachtet [18].
Innerhalb der gynäkologischen Klientel ist die Thromboseinzidenz bei Patientinnen
mit Malignomerkrankungen am höchsten, und aufgrund der in Klinik und in der Praxis
kontinuierlich steigenden Zahl betreuter Tumorpatientinnen hat vor allem hier die
Thromboseproblematik an Bedeutung gewonnen. Die maligne Tumorerkrankung ist ein unabhängiger
Risikofaktor für eine Thrombose [19], wobei sich das kumulative Risiko aus der Summe der häufig koinzidenten Risikofaktoren
(Komorbidität, Alter, Immobilität) ergibt. Thrombosen treten insbesondere im Zuge
des therapeutischen Managements (Operation, systemische Behandlung) auf [20], aber auch in der Endstrecke der Tumorbehandlung, und sind in vielen Fällen unmittelbare
Todesursache [21]. Ähnlich wie in der Schwangerschaft können postoperative Veränderungen, tumorassoziierte
Symptome und Hyperkoagulabilität die Interpretation der klinisch/laborchemischen Thrombosediagnostik
erschweren [22]. Ein wichtiger Hinweis der S2-LL ist die im Vergleich zu NMH deutlich geringere
Effektivität der Vitamin-K-Antagonisten in der Präventionstherapie einer Rethrombose
bei Tumorerkrankungen, sodass vorzugsweise NMH bei der Langzeitbehandlung eingesetzt
werden sollte und die Dauer der Therapie entsprechend des klinischen Tumorstadiums
gegebenenfalls lebenslang fortgesetzt werden muss. Die häufig im Zuge der Tumorerkrankung
erforderlich werdenden zentralvenösen Verweilkathetersysteme verursachen bei bis zu
30 % dieser Patienten symptomatische Thrombosen im Schulter-/Arm-Bereich, wobei die
tatsächliche Inzidenz nach systematischem Thrombosescreening zwischen 27–66 % liegt
[23]. Rund 12 % der Tumorpatientinnen mit zentralvenösen Verweilkathetersystemen entwickeln
eine symptomatische PE. Bemerkenswerterweise konnte in den Thromboseprophylaxestudien
unabhängig von den verwendeten Antikoagulanzien die VTE-Rate nicht effektiv gesenkt
werden [24]. Obgleich die Studienlage hierzu keine mit hoher Evidenz basierte Stellungnahme
zu lässt, kann bei katheterassoziierter Thrombose, wie auch in den S2-LL beschrieben,
nach Ausschluss einer Infektion und bei korrekter Katheterlage unter therapeutischer
NMH-Antikoagulation auf dessen Entfernung verzichtet werden.
Der Hinweis der S2-Leitlinie auf einen Zusammenhang zwischen Thromboseentwicklung
und unerkannter Malignomerkrankung gilt im besonderen Maße für Genitalkarzinome der
Frau. So konnte ausweislich schwedischer epidemiologischer Statistiken bei Frauen
mit einer stationären Aufnahme wegen Thrombose 11-mal häufiger ein Ovarialkarzinom
(standardisierte Inzidenzverhältnisse [SIR]: 11,4; 95 %-KI: 9,6–13,4) und 4-mal häufiger
ein Zervix- (SIR: 4,3; 95 %-KI: 2,8–6,6) oder Endometriumkarzinom (SIR: 4,4; 95 %-KI:
3,2–5,7) im 1. Jahr nachgewiesen werden als im landesweiten Durchschnitt [25]. In diesen Fällen sollte zum Ausschluss eines gynäkologischen Malignoms die klinische
Untersuchung und Ultraschalldiagnostik insbesondere im Anschluss an eine spontane/idiopathische,
aber auch atypische Thrombose erfolgen. Obgleich angesichts verbesserter Behandlungsmethoden
bei Zufallsdiagnose eines frühen Tumorstadiums ein kurativer Therapieansatzpunkt möglich
ist, weist die koinzidente Thrombose bei Tumorleiden häufig auf eine ungünstige Prognose
und fortgeschrittenes Tumorstadium hin [26].
Prognosen zur demografischen Entwicklung und die bereits seit einigen Jahren erkennbaren
Tendenzen in der Altersstruktur unserer Bevölkerung sind deutliche Warnhinweise auf
eine Zunahme der VTE-Komplikationen. Gehört bereits jetzt jede 4. Frau in Deutschland
in die Altersgruppe der über 60-Jährigen, liegt die Prognose bei mehr als ein Drittel
aller Frauen für das Jahr 2030 [27]. Der allgemeine Trend zur ambulanten Behandlung wird auch das Thromboseproblem vermehrt
in die Praxis der Niedergelassenen verlagern. Insofern ist die aktuelle Fassung der
S2-Leitlinie „Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie“ ein
wichtiger Leitfaden für ein zielgerichtetes interdisziplinäres Vorgehen bei der Betreuung
potenziell lebensbedrohter Patientinnen mit VTE nicht nur, aber vor allem auch für
die niedergelassenen Frauenärzte.
PD Dr. Georg-Friedrich von Tempelhoff FCATH
Klinikum Aschaffenburg (Lehrkrankenhaus der Maximilians-Universität Würzburg)
Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe
Am Hasenkopf 1
63739 Aschaffenburg
E-Mail: g-f.von.tempelhoff@gmx.de
Literatur
- 1
Reissig A, Haase U, Schulze E et al.
Diagnosis and therapy of pulmonary embolism prior to death.
Dtsch Med Wochenschr.
2010;
135
1477-1483
- 2
Nicolaides A N, Breddin H K, Fareed J Cardiovascular Disease Educational and Research
Trust and the International Union of Angiology et al.
Prevention of venous thromboembolism. International Consensus Statement. Guidelines
compiled in accordance with the scientific evidence.
Int Angiol.
2001;
20
1-37
- 3
Geerts W H, Pineo G F, Heit J A et al.
Prevention of venous thromboembolism: the Seventh ACCP Conference on Antithrombotic
and Thrombolytic Therapy.
Chest.
2004;
126 (Suppl. 3)
S338-S400
- 4
Nick A M, Schmeler K M, Frumovitz M M et al.
Risk of thromboembolic disease in patients undergoing laparoscopic gynecologic surgery.
Obstet Gynecol.
2010;
116
956-961
- 5
White R H, Zhou H, Romano S.
Incidence of symptomatic venous thromboembolism after different elective or urgent
surgical procedures.
Thromb Haemost.
2003;
90
446-455
- 6
Peedicayil A, Weaver A, Li X et al.
Incidence and timing of venous thromboembolism after surgery for gynecological cancer.
Gynecol Oncol.
2011;
[in press]
- 7 Medical eligibility criteria for contraceptive use. 4. Aufl. WHO Library Cataloging-in-Publication
Data. World Health Organization; 2009
- 8
Samuelsson E, Hedenmalm K, Persson I.
Mortality from venous thromboembolism in young Swedish women and its relation to pregnancy
and use of oral contraceptives — an approach to specifying rates.
Eur J Epidemiol.
2005;
20
509-516
- 10 N.N.. Saving Mothers Lives: Reviewing maternal Deaths to make Motherhood safer
– 2003 – 2005. Seventh Report of the confidential Enquiries into maternal Death and
Childhealth in the United Kingdom.. London: RCOG Press; 2007
- 11
Hull R D, Raskob G E, Carter C J.
Serial impedance plethysmography in pregnant patients with clinically suspected deep-vein
thrombosis. Clinical validity of negative findings.
Ann Intern Med.
1990;
112
663-667
- 12
Chan W S, Ginsberg J S.
Diagnosis of deep vein thrombosis and pulmonary embolism in pregnancy.
Thromb Res.
2002;
107
85-91
- 13
Tan M, Huisman M V.
The diagnostic management of acute venous thromboembolism during pregnancy: recent
advancements and unresolved issues.
Thromb Res.
2011;
127 (Suppl. 3)
S13-S16
- 14
Nelson-Piercy C, MacCallum P et al.
Reducing the risk of thrombosis and ambolism during pregnancy and the puerperium.
Sec. Ed.
Thromboprophylaxis during pregnancy, labour and after vaginal delivery 2004; Settings
standards to improve women's health (Royal College of Obstetricians and Gynaecologists)
Green-top Guidelines.
2009;
37
1-35
- 15
Green-top Guideline. Thromboembolic disease in pregnancy and the puerperium. Acute
management.
Green-top Guideline.
2007;
28
1-17
- 16
Checketts M R, Wildsmith J A W.
Central nerve block and thromboprophylaxis – is there a problem?.
Br J Anaesth.
1999;
82
164-167
- 17
Gogarten W, Van Aken H, Wulf H et al.
[Para-spinal regional anesthesia and prevention of thromboembolism/anticoagulation.
Recommendations of the German Society of Anesthesiology and Intensive Care Medicine,
October 1997].
Urologe A.
1998;
37
347-351
- 18
Horlocker T T, Wedel D J.
Spinal and epidural blockade and perioperative low molecular weight heparin: smooth
sailing on the Titanic.
Anesth Analg.
1998;
86
1153-1156
- 19
Greer I A, Nelson-Piercy C.
Low-molecular-weight heparins for thromboprophylaxis and treatment of venous thromboembolism
in pregnancy: a systematic review of safety and efficacy.
Blood.
2005;
106
401-407
- 20
Alikhan R, Cohen A T, Combe S et al.
Prevention of venous thromboembolism in medical patients with enoxaparin: a subgroup
analysis of the MEDINOX study.
Blood Coag Fibrinolsysis.
2003;
14
341-346
- 21
von Tempelhoff G F, Heilmann L.
.
.
2000;
14
1151-1169
- 22
Saeger W, Genzkow M.
Venous thromboses and pulmonary embolisms in post – mortem series: Probable causes
by correlations of clinical data and basic diseases.
Path Res Pract.
1994;
190
394-399
- 23
Knowlson L, Bacchu S, Paneesha S et al.
Elevated D-dimers are also a marker of underlying malignancy and increased mortality
in the absence of venous thromboembolism.
J Clin Pathol.
2010;
63
818-822
- 24
Verso M, Agnelli G.
Venous thromboembolism associated with long-term use of central venous catheters in
cancer patients.
J Clin Oncol.
2003;
21
3665-3675
- 25
Akl E A, Vasireddi S R, Gunukula S et al.
Anticoagulation for patients with cancer and central venous catheters.
Cochrane Database Syst Rev.
2011;
(2)
CD006468
- 26
Baron J A, Gridley G, Weiderpass E et al.
Venous thromboembolism and cancer.
Lancet.
1998;
351
1077-1080
- 27
Khorana A A.
Venous thromboembolism and prognosis in cancer.
Thromb Res.
2010;
125
490-493
- 28 Statistisches Bundesamt .Bevölkerung Deutschlands bis 2050.
Prof. Dr. M. W. Beckmann
Frauenklinik, Universitätsklinikum Erlangen
Universitätsstraße 21–23
91054 Erlangen
eMail: fk-direktion@uk-erlangen.de