Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/s-0031-1271489
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Die Rolle der Selbsthilfe in der Qualitätssicherung bei Brustkrebs
Grußwort der Frauenselbsthilfe nach Krebs (FSH)Publication History
Publication Date:
17 June 2011 (online)
Zunächst möchte ich der Deutschen Gesellschaft für Senologie meine herzlichsten Glückwünsche zum 30-jährigen Jubiläum und meine Hochachtung vor dem Erreichten aussprechen. In der hohen Versorgungsqualität bei Brustkrebs spiegeln sich 30 Jahre Entwicklungsgeschichte einer exzellenten Fachgesellschaft wieder, die ich mit der Entwicklung der Selbsthilfe verbinden und den Erfolg des Zusammenwirkens betrachten möchte.
Bereits 1976 war die Kritik an der unzulänglichen medizinischen Akutversorgung und den unzureichenden medizinischen und beruflichen Rehabilitationsangeboten Anlass für die Gründung der ersten Selbsthilfegruppe für brustamputierte Frauen in der Frauenselbsthilfe nach Krebs. Medizinisch, d. h. körperlich gut behandelt, fühlten sich die Frauen speziell mit ihren seelischen Nöten, den Auswirkungen der lebensbedrohenden Diagnose und den Therapiefolgen allein gelassen. Sie tauschten ihre individuellen Probleme untereinander aus, halfen sich gegenseitig, stärkten einander und vermittelten Neuerkrankten das Gefühl, nicht allein zu sein. Sie trugen aufgrund der eigenen Erfahrungen zur Akzeptanz der Erkrankung und ihrer Bewältigung bei.
Bis heute bieten Selbsthilfegruppen für an Brustkrebs erkrankte Frauen, neuerdings auch für Männer, psychosoziale Hilfestellung und emotionale Unterstützung für die Alltagsbewältigung bei Brustkrebs an. Die besondere Qualität der Leistungen besteht in problembezogenem, erfahrungsbasiertem Wissen und Kenntnissen über das institutionalisierte Versorgungssystem. Diese psychosoziale Komponente können keine Ärztin, kein Arzt und keine Einrichtung der stationären oder ambulanten Versorgung in diesem Maße und in dieser Qualität erbringen. Die Angebote der Selbsthilfegruppen unterstützen die Arbeit der Ärztinnen und Ärzte, sie ergänzen mit ihrem speziellen Leistungsspektrum die Leistungen des professionellen Systems.
Mitte der neunziger Jahre wurden die Angebote der Selbsthilfe schrittweise in das Versorgungssystem einbezogen. Mit der Einrichtung und Zertifizierung von Brustzentren im Jahre 2003 wurden erstmals Kooperationsvereinbarungen zwischen professionellem System und Selbsthilfegruppen abgeschlossen. Bei der Erarbeitung von Zertifizierungskriterien für Brustzentren wurden Selbsthilfevertreterinnen beteiligt genauso wie bereits Ende der neunziger Jahre bei der Erstellung der ersten Leitlinie zum Brustkrebs, der S3-Leitlinie Brustkrebsfrüherkennung in Deutschland. Es folgten die Interdisziplinäre S3-Leitlinie für die Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms und bereits die Überarbeitung dieser beiden Leitlinien. Mittlerweile ist durch die Brenda-Studie belegt, dass leitlinienkonform behandelte Patientinnen eine längere Überlebenszeit haben und länger ohne Rückfall bleiben.
Bei der Mitwirkung in diesen Gremien sind nun andere Fähigkeiten der Selbsthilfe gefragt als die bisher genannten. Es geht nicht mehr um die individuelle Erfahrung der einzelnen Betroffenen, um die regionale Ebene, sondern um die bundesweit zusammengetragenen, gebündelten Erfahrungen, die nur in einer Selbsthilfeorganisation erfasst werden können. Hier geht es nicht mehr um Selbst- und Beziehungskompetenz, sondern soziale Kompetenz und Demokratieverständnis sind gefragt. Es geht um die Einflussnahme auf Versorgungsabläufe und die Gestaltung des Versorgungssystems bei Brustkrebs.
Und letztlich führte die Patientenbeteiligungsverordnung Ende 2003 zur beratenden Mitwirkung von Patientenvertreterinnen und -vertretern bei Entscheidungsprozessen im Gemeinsamen Bundesausschuss – ein Indiz für die wachsende gesellschaftliche und politische Anerkennung der Selbsthilfe.
Die Einbeziehung der Selbsthilfe als Stimme der Patientinnen in medizinische und politische Gremien hat bei der Versorgung von Brustkrebs eine neue Qualität ermöglicht. Das Erfahrungswissen der Patientinnen ergänzt das Fachwissen der Experten und ergibt eine optimale Versorgung.
In diesem Sinn hat die Selbsthilfe ihren festen Platz auch in der Deutschen Gesellschaft für Senologie. Ich gratuliere der Fachgesellschaft nochmals sehr herzlich zum Jubiläum und wünsche ihr einen ertragreichen Kongress.
H. Schulte
Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Senologie · Ehrenvorsitzende der Frauenselbsthilfe nach Krebs · Bundesverband
Trieschweg 16
34626 Neukirchen
Email: h.schulte@frauenselbsthilfe.de