Senologie - Zeitschrift für Mammadiagnostik und -therapie 2011; 8(2): 91
DOI: 10.1055/s-0031-1271510
Der senologische Auftrag zwischen politischer Realität und wissenschaftlichem Fortschritt

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Mitten im Leben – Fünf Jahre Mammografie-Screening-Programm

Anlässlich der Festveranstaltung „Fünf Jahre Mammographie-Screening“ mit Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler (2010)D. Wallwiener
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Publication Date:
17 June 2011 (online)

Die Brustkrebsversorgung in Deutschland schreibt Geschichte: Im Jahr 2010 konnte das fünfjährige Jubiläum des flächendeckenden Mammografie-Screenings begangen werden. 

Auf der Grundlage europäischer Leitlinien haben Ärzte, Krankenkassen und Politik gemeinsam das größte europäische Brustkrebs-Früherkennungsprogramm für über 10 Mio. Frauen nach strengen Vorgaben zur Qualitätssicherung aufgebaut. Der Paradigmenwechsel des Mammografie-Screenings besteht in der Evidenzbasierung, in strengen Vorgaben an die Qualität wie z. B. der Doppelbefundung, der interdisziplinären und sektorenübergreifenden Zusammenarbeit sowie in der Transparenz des Programms. 

Die geforderten Erfolgsparameter werden hierbei zumeist nicht nur erfüllt, sondern sogar übertroffen. Wesentlich häufiger als gefordert werden kleine Tumoren aufgespürt. Der Anteil der invasiven Karzinome von einer maximalen Größe bis 10 mm liegt im Screening bei gut 30 %. Vor Einführung des Mammografie-Screenings waren es nur rund 14 %. Bei mehr als zwei Drittel (76,7 %) aller im Programm entdeckten invasiven Karzinome waren die Lymphknoten noch nicht befallen. Vor dem Screening lag der Wert mit 49 % deutlich darunter. 

Für Frauen mit kleinen Tumoren, die nicht gestreut haben, bestehen durch die Früherkennung die besten Chancen geheilt zu werden. Sie profitieren außerdem von einer schonenderen und meist brusterhaltenden Therapie.: Wenn der Brustkrebs diagnostiziert wird, bevor er über den sonst üblichen klinischen diagnostischen Horizont komm, bedeutet dies in vielen Fällen Heilung. 

Natürlich muss eine Vielzahl von gesunden Frauen an dieser Früherkennungsuntersuchung teilnehmen, und zwar mit bestmöglicher Aufklärung, und die Erfolge werden erkauft mit falsch positiven Ergebnissen und all ihren bekannten Folgen. Aber um Leben zu retten – und darum geht es bei diesem Screeningprogramm – sind sich alle Beteiligten derzeit einig, dass es keinen besseren Weg gibt. Dass dies funktioniert, ist daran zu erkennen, dass viel häufiger als früher Patientinnen mit im Screening detektierten kleinen Brustkrebstumoren in den Brustzentren ankommen. Für alle im senologischen Konzept beteiligten Ärztinnen und Ärzte, die nicht nur Brustkrebspatientinnen optimal therapieren, sondern – soweit es in der Macht der modernen Onkologie steht – auch heilen wollen, ist dies eine unglaubliche Motivation. 

Allerdings darf nicht vernachlässigt werden, dass an den Schnittstellen noch viel zu tun bleibt. Schnittstellen müssen zu Nahtstellen werden und die gesamte Prozesskette der Versorgung muss als dynamisches System ständig weiter verbessert werden. 

Denn neben der Einführung des Mammografie-Screenings blicken wir in Deutschland auch die auf die 10-jährige Erfolgsgeschichte der Brustzentren zurück, die von der Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Senologie flächendeckend implementiert, zertifiziert und mit Gütesiegel ausgestattetet wurden. Sie tragen als weitere Säule zur Optimierung der Brustkrebsversorgung in Deutschland ganz wesentlich bei. Gerade auf der Basis der Interdisziplinarität und durch multidisziplinäre prä- und postoperative Fallkonferenzen konnte schon in der Erfolgsgeschichte der zertifizierten Brustzentren gelernt werden, was nun in der Prozesskette des Mammografie-Screenings Platinstandard geworden ist – die Erfahrung mit sektorenübergreifenden Schnittstellen. Gerade die geschilderte Prozesskette – Screening, Detektion, qualitätsgesicherte Diagnostik und Therapie im zertifizierten Brustzentrum – führt dazu, dass im T1-Anfangsstadium des Brustkrebs nach den neuesten Analysen der Deutschen Gesellschaft für Senologie 85 % der Patientinnen brusterhaltend therapiert werden können (Analyse bei 229 zertifizierten Brustzentren mit einheitlichem Benchmarkingsystem bei 40 000 primär erkrankten Frauen pro Jahr, von 250 insgesamt zertifizierten Brustzentren in Deutschland). Dabei haben die Patientinnen Gewissheit über Befund und Mitsprachemöglichkeiten bei der operativen Versorgung (über 90 Prozent der Tumoren sind präoperativ gesichert). 

Auf dieser Basis ist Deutschland heute das Land mit der besten flächendeckenden Brustkrebsversorgung überhaupt geworden. Doch alle, insbesondere Politik und Kassen, sind gefordert, Sorge dafür zu tragen, dass die aufwendige Interdisziplinarität für die Klinikträger kein ökonomisches Wagnis wird und dass vor allen Dingen auch Erreichtes bewahrt bleibt, getreu der Zusage „Das Geld der Qualität folgen zu lassen“! So darf das Mammografie-Screening nicht missbraucht werden, um aus Marketinggründen Patientenströme umzuleiten. Vor allen Dingen muss das Primat ärztlichen Handelns bestehen bleiben, den Menschen im Mittelpunkt zu sehen. Albert Einstein hat es so ausgedrückt: „Nicht alles was gezählt werden kann, zählt – und nicht alles was zählt, kann gezählt werden!“. 

Prof. Dr. med. D. Wallwiener

Ärztlicher Direktor der Universitäts-Frauenklinik

Calwerstr. 7

72076 Tübingen

Email: diethelm.wallwiener@med.uni-tuebingen.de