Sprache · Stimme · Gehör 2010; 34(4): 182
DOI: 10.1055/s-0031-1271895
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Kehlkopfsensibilität – Ursache für Reizhusten und Stimmritzenkrämpfe

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Publikationsdatum:
13. Januar 2011 (online)

 

Husten und Stimmritzenkrämpfe, ausgelöst durch taktile Stimulation der Schleimhaut, dienen als physiologischer Aspirationsschutz. Ob die gleiche Reaktion ohne Auslöser – und damit pathologisch – durch eine Störung der sensiblen Innervation ausgelöst werden kann, untersuchten Murry et al.
Laryngoscope 2010; 120: 1576–1581

Reizhusten und Stimmritzenkrämpfe sind furchtbar. Und das nicht nur für Patienten, die sich nicht mehr in öffentliche Veranstaltungen trauen, wenn sich – wie peinlich – alle Augen auf die "Störenfriede" richten. Sie sind auch für Ärzte unangenehm, die – mindestens ebenso peinlich – "nichts finden": kein Kontakt- oder Intubationsgranulom am Processus vocalis, keine Laryngitis posterior, keine Refluxkrankheit, keine Sinusitis, keine Bronchitis, kein Asthma, keine Allergie. Dann bleibt nur das Diagnoseattribut "psychogen" und vielleicht eine Verordnung von Atemtherapie – doch hilft sie?

Laryngeale und über den N. vagus vermittelte sensible Regelkreise am Kehlkopf lassen sich durch ein Training beeinflussen – und damit Reizhusten und Stimmritzenkrämpfe reduzieren (Quelle: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Hals und Innere Organe. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 2. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2005).

Für Reizhusten und (die damit verbunden) Stimmritzenkrämpfe und Atemnot gibt es offensichtlich mindestens eine weitere Ursache, die wir bisher nicht kennen. Diese haben Murry et al. wahrscheinlich entdeckt, zumal die theoretische Herleitung der Pathophysiologie und der experimentelle Nachweis der vermuteten Sensibilitätsstörung der Kehlkopfschleimhaut absolut logisch sind. Bekannt ist – wer hätte dies nicht schon am eigenen Leib erlebt – dass Husten und Stimmritzenkrämpfe als Reflexe zum Schutz vor einer Aspiration durch taktile Stimulation der Schleimhaut ausgelöst werden, z.B. beim hastigen Essen und Trinken, durch besonders saure und scharfe Speisen. Könnten nicht Husten und Stimmritzenkrämpfe ohne diese Auslöser durch eine Störung der sensiblen Innervation oder der eingebetteten Regelkreise entstehen? Kann man nicht die bei Stimmritzenkrämpfen im symptomfreien Intervall pathognomonischen "paradoxen Stimmlippenbewegungen" , d.h. die Adduktion bei Inspiration und Abduktion bei Exspiration, durch eine solche Störung erklären?

Um diese Hypothese zu prüfen, untersuchten und behandelten die Autoren 16 Patienten mit chronischem Husten, paradoxen Stimmlippenbewegungen und Sodbrennen, bei denen ein Behandlungsversuch mit ex juvantibus verabreichten Protonenpumpeninhibitoren keine Besserung erbrachten. Diese Patienten erhielten mindestens 2 Sitzungen einer Atemtherapie (Instruktionen mit Übungen), die 1983 für die Vocal Cord Dysfunction publiziert wurde [N Engl J Med 1983;308:1566-1570. Die Patienten mussten die Übungen über 3 Monate 2-mal täglich je 10-15 min lang durchführen.

Vor Beginn und nach Beendigung der Übungstherapie wurde die Kehlkopfsensibilität mit Luftdruckimpulsen von 50ms Dauer und von 9 mmHg Stärke (Laryngeal Air Pulse Test) geprüft. Die Impulse wurden über den Arbeitskanal eines flexiblen Endoskops verabreicht. Im Normalfall kommt es bei Stimulation der aryepiglottischen Falte zu einer kurzen Adduktionsbewegung der Stimmlippen. Nach der Therapie berichtete nur noch einer der 16 Patienten über Husten. Nur bei einem von 8 betroffenen Patienten persistierte eine Heiserkeit und bei 2 von 7 Patienten eine dauerhafte Dyspnoe. Und was am meisten überraschte: Bei 12 der 16 Patienten verschwanden die paradoxen Stimmlippenbewegungen. Diese Beobachtung beweist, dass sich laryngeale und über den N. vagus vermittelte Regelkreise durch ein Training beeinflussen lassen. Das dürften doch alle therapeutisch tätigen Leser mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen, zumal sich die Übungstherapie in der evidenzbasierten Medizin bisher so schwer tut!