Sprache · Stimme · Gehör 2010; 34(4): 185
DOI: 10.1055/s-0031-1271899
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Stimmprobleme – Kontaktgranulome durch glottische Hypofunktion?

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Publication Date:
13 January 2011 (online)

 

Kontaktgranulome werden durch Intubationen, hyperfunktionelle Dysphonien und gastroösophagealer (und -laryngealer) Reflux verursacht. Bei den letzten beiden Ursachen drohen nach Abtragung Rezidive, wenn der eigentliche Grund nicht behandelt wird. Doch wer hat nicht trotzdem Rückfälle erlebt? Gibt es eine weitere Ursache, die wir noch nicht kennen?
Laryngoscope 2010; 120: 114–120

Dies war die Hypothese der Arbeitsgruppe um Clark Rosen, Leiter des Voice Centers in Pittsburgh. Es wurde postuliert, dass auch eine glottische Hypofunktion Kontaktgranulome verursachen kann. Zur Erinnerung: eine glottische Hypofunktion vermutet man bei "asthenischer", leicht rau und behaucht klingender Stimme (z.B. R1 B1 H1). Man man weist sie durch stroboskopisch sichtbare ausladende Randkantenkantenschwingungen, niedrige Schlussquotienten (<0,5) bzw. hohe Offenquotienten (>0,5) in der Stroboskopie-Einzelbildanalsyse nach, genauer aber in der Elektroglottografie oder Hochgeschwindigkeitsglottografie, sowie durch hohe Phonationsquotienten (>200 ml/s). Die Patienten versuchen nämlich, die glottische Insuffizienz bzw. den damit verbundenen Luftverlust dadurch auszugleichen, dass sie die Aryhöcker hyperfunktionell adduzieren – meiner Erfahrung nach oft auch mit Taschenfaltenpressen. Dies führt, so die Hypothese der Autoren, zu einer Druckbelastung und Entzündung der Mukosa und der Entwicklung der Granulome am Processus vocalis.

Nun sind wir bei einem grundsätzlichen pathophysiologischen Thema, das ich bereits in der Rubrik "Hören – Erkennen – Verstehen" diskutiert habe [Sprache Stimme Gehör 2009; 33: 56]: was und wo im Kehlkopf ist hyperfunktionell oder hypofunktionell? Die klassische Entweder-oder-Theorie muss falsch sein! Man sollte versuchen, Hypofunktion und Hyperfunktion für die verschiedenen Muskelfunktionen im Kehlkopf genau zu unterscheiden. Ich schrieb: "Eine Hyperfunktion während der Phonation [...] birgt eher die Gefahr von Stimmlippenknötchen als organische Folgeerscheinung. Eine Hyperfunktion nur bei Beginn der Phonation [...] birgt eher die Gefahr von Kontaktgranulomen. Nach jahrelangem Verlauf kann eine glottische Hyperfunktion in eine glottische Hypofunktion übergehen, wobei aber die übrige Hyperfunktion in der Regel bestehen bleibt. Dies erklärt die stroboskopisch sichtbaren tonusarmen und ausladenden Randkantenschwingungen mit kurzem Schlussquotienten bei gleichzeitig sichtbarer extraglottischer Hyperfunktion."

Kontaktgranulome können nicht nur durch Intubationen, hyperfunktionelle Dysphonien und gastroösophagelaer Reflux verursacht werden, sondern auch durch eine glottische Hypofunktion (Bild: Arnold, Ganzer. Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Thieme 1999).

In der aktuellen Studie untersuchten die Autoren 34 Patienten mit Kontaktgranulomen. Sie wurden nach klinischen, nicht wissenschaftlichen Gesichtspunkten mit verschiedenen Kombinationen von konservativer und/oder chirurgischer Maßnahmen behandelt. Diese Maßnahmen umfassten eine Medikation mit Protonenpumpen-Inhibitoren, eine Stimmübungstherapie mit 4-6 wöchentlichen Therapieeinheiten und einer 4-wöchigen Transferphase mit häuslichen Übungen, sowie eine primäre mikrolaryngoskopische Entfernung mit Fibrin-"Versiegelung" der Wundfläche am Processus vocalis und in 4 Fällen sogar mit einer Botulinum-Toxin-Injektion in die Stimmlippenadduktoren der betroffenen Seite. Es kamen alle Permutationen dieser Therapieelemente zur Anwendung, was natürlich zu vielfältig für eine Gruppenbildung war. Outcome-Parameter waren der Voice-Handicap Index 10, der stroboskopisch geschätzte Schlussquotient und der Reflux-Symptom-Index. Bei 34 (53%) der untersuchten Patienten stellte sich eine bisher nicht entdeckte glottische Hypofunktion bzw. glottische Insuffizienz heraus, die über den Umweg einer hyperfunktionellen Fehlkompensation der Adduktionsmuskulatur als neue Hauptursache der Kontaktgranulome angenommen wurde. Für Rezidive wurde sogar die Stimmlippenaugmentation empfohlen. Bei 9 (26%) der Patienten war eine vorausgegangene Intubation die wahrscheinlichste alleinige Ursache. Über die Hauptursache eines gastrolaryngealen Refluxes konnte keine Aussage getroffen werden.