Der Klinikarzt 2011; 40(1): 3
DOI: 10.1055/s-0031-1272856
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Lipiddiagnostik und -therapie, wohin geht die Reise?

Achim Weizel
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Publication Date:
24 January 2011 (online)

Die Umsetzung kardiovaskulärer Forschungsergebnisse in die Praxis hat in den letzten Jahrzehnten zu großen Erfolgen in der praktischen Kardiologie geführt. Zurückzuführen sind diese z. T. auf eine verbesserte invasive Diagnostik und Therapie, sowie auf die verbesserte Versorgung der Patienten auf den Intensivstationen. Ein großer Teil (etwa 25 %) der guten Ergebnisse lässt sich aber eindeutig auf die Beeinflussung der LDL-Cholesterin-Konzentration zurückführen [1]. Seit der Einführung der Statine im Jahr 1988 ist es möglich, LDL-Cholesterin effektiv und nebenwirkungsarm zu senken. Durch Monotherapie mit stark wirksamen Statinen und/oder Kombination von Statinen und Ezetimib sind LDL-Cholesterinsenkungen bis zu 60 % möglich. Damit konnten die koronaren Ereignisraten in Studien um 25–35 % in 5 Jahren gesenkt werden. Es bleibt jedoch ein nicht unerheblicher Rest („unmet need“). Verbessert werden könnten diese Ergebnisse durch eine bessere Kontrolle des Blutdrucks, des Diabetes mellitus, durch Raucherabstinenz und Reduktion des Übergewichts – wobei allerdings eine geringe Erfolgswahrscheinlichkeit besteht.

Worin könnte daher der Fortschritt im Lipidsektor bestehen? Drei Möglichkeiten stehen hier zur Verfügung: Neue Medikamente, verbesserte Standardtherapie und verbesserte Diagnostik.

Bei den medikamentösen Neuentwicklungen stehen neben der Beeinflussung der LDL-Cholesterinwerte Medikamente im Fokus, die die Konzentration des HDL-Cholesterins beeinflussen. Der LDL-Stoffwechsel wird beeinflusst durch Medikamente, die in der Leber selbst an der Synthese des LDL beteiligt sind (Mipomersen), sowie Medikamente, die über PC SK9 (Proprotein convertase subtilisin/kexin type 9) den Abbau der LDL-Rezeptoren beeinflussen. Beide Medikamente sind in der Prüfung, werden aber frühestens in 2–3 Jahren zulassungsreif sein. Große Aufmerksamkeit erfährt in letzter Zeit das HDL. Mit den CETP-Hemmern gelingt es, die HDL-Konzentrationen deutlich anzuheben. Die Entwicklung der Substanz Torcetrapib musste allerdings wegen Nebenwirkungen abgebrochen werden, Untersuchungen mit Anacetrapib und Dalcetrapib haben ermutigende Ergebnisse gebracht, klinische Studien stehen noch aus. Ebenfalls ohne klinische Studien sind bisher noch Versuche mit HDL-Infusionen oder durch einen Eingriff an der Synthese bzw. am Transporter, um die HDL-Konzentrationen zu beeinflussen. Zudem ist die grundsätzliche Frage nicht geklärt, ob eine einfache Anhebung der HDL-Konzentration ausreicht oder ob hier qualitative Änderungen notwendig sind. Die Entwicklungen auf medikamentösem Gebiet sind daher interessant, aber noch weit vom klinischen Einsatz entfernt.

Aus diesem Grund muss das Bestreben dahin gehen, die bisher durchgeführte Therapie effektiver zu gestalten. Hier steht die Verbesserung der Compliance an erster Stelle. Durch Aufklärung auf vielen Ebenen ist schon viel erreicht worden, so ist die Zielwerterreichung des LDL-Cholesterins von 20 % auf durchschnittlich 50 % gestiegen, aber damit immer noch unbefriedigend. Zur Verbesserung der Compliance wurden neue Verabreichungsformen, z. B. Blister, empfohlen. Hier befinden sich alle einzunehmenden Medikamente in einer Packung. Größere Zukunft wird der Polypill gegeben, in der die üblichen Medikamente zur sekundären Prävention (Betablocker, Aspirin, ACE-Hemmer und Statin) in einer einzigen Tablette verabreicht werden. Eine Verbesserung der Compliance ist auf jeden Fall sinnvoll, da in Studien erwiesen wurde, dass Patienten mit guter Compliance deutlich bessere Überlebenschancen haben als Patienten mit mittlerer oder schlechter Compliance.

In der Diagnostik werden große Anstrengungen in Richtung „personalized medicine“ unternommen. Das bedeutet, dass die Gruppe der gefährdeten Patienten besser definiert werden muss, beziehungsweise Patienten identifiziert werden können, die auf bestimmte Medikamente in vorhersehbarer Wese reagieren. So können durch die Bestimmung des SLCO1B1-Genotyps Patienten identifiziert werden, die auf die Statintherapie häufiger mit Myopathien reagieren.

In der Labordiagnostik hat sich insofern eine Klärung ergeben, als die mit viel publizistischem Aufwand propagierte Bestimmung des hsCRP deutlich an Bedeutung verloren hat. Alle Ergebnisse der letzten Zeit deuten darauf hin, dass dieser Parameter keine zusätzliche Information bringt. Dies gilt mit größter Wahrscheinlichkeit auch für die anderen Parameter der entzündlichen Aktivität.

Ein völlig neues Feld ist das genetische Screening, wobei durch „whole genome sequencing“ gleichzeitig 1 Million und mehr single nucleotid polymorphisms (SNPs) bestimmt werden können. In genome wide association studies wird versucht, mithilfe dieser Methoden Krankheitsrisiken zu erkennen und/oder Medikamenten(neben-)Wirkungen vorherzusagen. Die Deutung dieser Ergebnisse ist schwieriger als die Auslegung der klassischen Laborwerte, da in vielen Fällen zu den genetischen Anlagen noch Umweltfaktoren (Ernährung, Rauchen, Übergewicht) kommen müssen, die Krankheiten manifest werden lassen.

Im Augenblick ist die Aussagekraft der genetischen Diagnostik nicht besser als die der konventionellen Risikofaktoren. Die Zukunft hat zwar begonnen, es muss aber noch viel Arbeit geleistet werden, ehe praktische und vor allem bezahlbare Anwendungsmöglichkeiten für die Praxis vorliegen.

Literatur

Prof. Dr. med. Achim Weizel

Mannheim

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