Dtsch Med Wochenschr 2011; 136(14): 671
DOI: 10.1055/s-0031-1274560
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Innere Medizin ist mehr als die Summe ihrer Schwerpunkte

Internal medicine is more than the sum of its subspecialtiesG. Ertl1 , H. Lehnert2
  • 1Medizinischen Klinik und Poliklinik I, Universitätsklinikum Würzburg
  • 2Medizinische Klinik I, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
29. März 2011 (online)

Das erste Heft der DGIM-Gesellschaftsausgaben hat eine erfreuliche Resonanz gefunden. Die Qualität der einzelnen Beiträge war hoch, die Themen aktuell und das Spektrum so weit, wie es gewünscht war. Der Anspruch unserer DGIM-Ausgaben der DMW ist es, auf höchstem Niveau neueste Publikationen oder Leitlinien aus den Schwerpunkten der Inneren Medizin zu referieren und so ein aktuelles Bild der gesamten Inneren Medizin erstehen zu lassen. Eine weitere Besonderheit der DGIM-Ausgabe im Vergleich zu Fachzeitschriften der einzelnen Schwerpunkte besteht darin, dass Experten aus den internistischen Schwerpunkten Themen für die gesamte, breite Leserschaft der DMW aufbereiten, ohne spezielle Hintergrundkenntnisse vorauszusetzen. Die raschen Entwicklungen in den Schwerpunkten übersteigen heute bei weitem die Erfahrungsmöglichkeiten einer einzelnen Person. Andererseits sind für eine umfassende Patientenversorgung, aber auch Forschung und Lehre angesichts der zunehmenden Multimorbidität unserer alternden Gesellschaft zumindest gewisse Kenntnisse jenseits unseres eigenen Spezialgebietes gefordert.

Das Fach Innere Medizin ist einerseits die Summe seiner Schwerpunkte und ist zunächst auch so in der Weiterbildungsordnung definiert. Andererseits wünschen wir uns aber, dass Innere Medizin mehr ist als die Summe ihrer Schwerpunkte. Dieses „Mehr” ist nicht leicht zu fassen, und die Präsidenten der DGIM versuchen es in ihren Eröffnungsreden zum Internistenkongress jedes Jahr aufs Neue: „wissenschaftlich begründete besondere Ausprägung der sprechenden anthropologischen Medizin…” (Schölmerich 2010); „…eine(r) integrierte(n), vernetzte(n) Innere(n) Medizin” (Kolloch 2009); „…Auswirkung von Organerkrankungen oder Systemerkrankungen auf den Gesamtorganismus, insbesondere in Gegenwart mehrerer Organ- oder Systemerkrankungen, und der Auswirkung einer Organ- oder Systemerkrankung auf andere(r) Organ- und Systemerkrankungen” (Ertl 2008); „…die Innere Medizin die unverzichtbare Grundlage der Medizin überhaupt” (Hiddemann 2007); „auf den ganzen Menschen zielend…” „Kenntnis der Interdependenz der verschiedenen in Mitleidenschaft gezogenen Organe” (Seeger 2006). Usadel (2003) hebt auf die Bedeutung des Gebietes Innere Medizin für die studentische Lehre, eine qualifizierte Weiterbildung und die Konsiliartätigkeit ab. Schließlich: „Für den Internisten der Zukunft heißt ein weiteres Stichwort Interdisziplinarität: Interdisziplinär im Fachgebiet Innere Medizin selbst, innerhalb der verschiedenen anderen Fachrichtungen der Medizin, aber auch über die Medizin hinaus” (Riemann 2001).

Interdisziplinarität, Ganzheitlichkeit und damit die systematische Berücksichtigung von Komorbiditäten in Forschung, Lehre, Weiterbildung und Patientenversorgung sollten also das „Mehr” als die Summe der Einzeldisziplinen ausmachen. Für die DGIM-Ausgaben der DMW ergibt sich daraus eine editorische Aufgabe, die neben der Breite des Spektrums, Aktualität und Prägnanz der Darstellung für Schriftleitung und Herausgeberschaft eine Herausforderung sein wird. Beiträge der vorliegenden Ausgabe lassen uns hoffen, dass wir diese meistern können: Pneumologische Schlafmedizin; Tuberkulose und nicht-tuberkulöse Mykobakteriose; Gallenwegserkrankungen; Nierenersatztherapie in der Intensivmedizin; Therapeutische Angiogenese mittels Gen- und Stammzellentherapie bei der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit; Maligne Lymphome: Individualisierte Therapie in Abhängigkeit von biologischen und klinischen Risikofaktoren; Diagnostik und Therapie von Kollagenosen; Primäre und sekundäre glomeruläre Erkrankungen; Typ-2-Diabetes; Akute Verwirrtheit im Alter.

Wir tragen unseren Anspruch der Interdisziplinarität und Ganzheitlichkeit an die Herausgeber und Autoren heran, auch wenn wir nicht erwarten, dass jeder einzelne Artikel diesen erfüllen kann und muss. Wissenschaftliche Aktualität, Brisanz für die Patientenversorgung und Attraktivität für eine breite Leserschaft können durchaus einmal Vorrang haben.

Vereinzelte thematische Überlappungen, zum Beispiel mit den DMW Schwerpunktheften oder Beiträgen in anderen Rubriken der DMW, sind bei einer wöchentlich erscheinenden Zeitschrift nie vollkommen auszuschließen, aber das didaktische Konzept der kurzen DGIM-Update-Beiträge mit nur 3 – 4 Druckseiten, aktuellster Literatur und „Klinischer Relevanz” erlaubt eine Fokussierung und einen ganz anderen Blickwinkel als die „üblichen” Fortbildungsartikel. Dies impliziert keine Qualitätsunterschiede; jede Herangehensweise hat ihren eigenen Wert – gerade auch für den Leser.

Prof. Dr. Georg Ertl

Medizinische Klinik I, Klinikum der Julius-Maximilians-Universität

Josef-Schneider-Str. 2

97080 Würzburg