Der Klinikarzt 2011; 40(3): 158
DOI: 10.1055/s-0031-1276690
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Internistische Schmerzstandards – Lebensqualität für Patienten, Therapiesicherheit für Ärzte und Pflegende

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Publication Date:
18 April 2011 (online)

 

Eine qualifizierte Schmerztherapie ist kein Hexenwerk. Vielmehr bedarf es optimierter Prozesse und Strukturen sowie Empfehlungen für die medikamentöse Therapie, um das Schmerzmanagement im Klinikalltag zu verbessern. Implementierte Schmerzstandards bieten hierfür ein hilfreiches Schema. Wie Ärzte, Pflegende, Patienten und sogar die gesamte Klinik von ihnen profitieren, erläutert Dr. Matthias Richl, Schmerzexperte und Oberarzt an der Klinik Mühldorf am Inn.

Dr. Matthias Richl

? Herr Dr. Richl, wo liegen die größten Herausforderungen, um eine adäquate schmerztherapeutische Versorgung sicherzustellen?

Dr. Matthias Richl: Zuerst muss das Bewusstsein für den Schmerz geschaffen werden. Zudem entscheidet nicht der Arzt oder die Pflegekraft, sondern der Patient, wie stark die Schmerzen sind. Unsere Aufgabe ist es, diesen Schmerz adäquat zu behandeln und so die Lebensqualität des Patienten zu verbessern. Hierbei differenziert der Arzt auch nach der Schmerzart, also beispielsweise Akut-, Tumor-, Bewegungs- oder neuropathischer Schmerz. Diese Vorgehensweise sollte standardisiert werden. Die Implementierung von Schmerzstandards kostet zwar etwas Zeit und Mühe, lohnt sich aber.

? Welche Schmerzstandards haben Sie in Ihrer Klinik eingeführt und für welche Berufsgruppen gelten sie?

Richl: Der erste Standard, den ich erstellt und implementiert habe, fordert, dass jeder Arzt Schmerztherapie betreiben muss. Weitere Schmerzstandards gelten für verschiedene Schmerzarten. Wichtiger ist jedoch die Unterscheidung nach der Schmerzintensität. Wir haben Standards für schwache, mittelstarke und sehr starke Schmerzen entwickelt. Welchen Standard wir anwenden, entscheiden wir nach der Schmerzintensität, die der Patient uns mit der numerischen Ratingskala mitteilt. Die Standards sind nie in Stein gemeißelt, sondern müssen regelmäßig geprüft und überarbeitet werden. Nichtsdestotrotz sind sie für unsere Ärzte, Anästhesisten, Pflegekräfte und Pain Nurses verbindliche Handlungsanweisungen.

? Wie profitieren Ihre und auch andere Kliniken von der Etablierung solcher Schmerzstandards?

Richl: Sie vereinfachen den Alltag auf einer Station, schaffen Transparenz und steigern das Wohlergehen der Patienten. Zudem bieten sie Sicherheit für Ärzte und Pflegende. Durch engmaschige Schmerzkontrollen erfahren alle Beteiligten frühzeitig, ob die angewandte Schmerztherapie hilft. Optimierte Abläufe und Zuständigkeiten ermöglichen mehr Effizienz. Das Pflegepersonal misst und dokumentiert die Schmerzstärke und führt innerhalb vorgegebener Interventionsgrenzen selbstständig die analgetische Therapie durch. Zwar bedeutet diese Kompetenzerweiterung mehr Fortbildungsbedarf, aber sie entlastet Arzt und Pflegende. Denn ein gut versorgter Patient ist schneller mobil und kann meist rascher entlassen werden kann. Das Ergebnis: Der Patient ist zufrieden, das Krankenhaus bekommt positive Mund-zu-Mund-Propaganda und die Kostenträger profitieren.

? Weshalb hat das Messen und Dokumentieren von Schmerzen einen so hohen Stellenwert innerhalb der Schmerzstandards?

Richl: Zusammen mit der Anamnese und Schmerzdiagnose ist es grundlegend für eine frühzeitige, adäquate analgetische Behandlung. In den Schmerzstandards ist eine standardisierte Dokumentation vorgeschrieben, die in der Patientenkurve erfolgen soll. Besonderheiten, zum Beispiel beim Umbetten oder bei Belastung, sind hier vermerkt. Für das regelmäßige Messen und Dokumentieren der Schmerzen sind die Pflegenden zuständig, da sie den Patienten mehrmals täglich sehen.

? Ein wesentlicher Bestandteil der Schmerztherapie ist die medikamentöse Behandlung. Auch hier bieten Schmerzstandards eine wichtige Hilfe. Was sind die Kernpunkte, nach denen Sie die medikamentöse Therapie ausrichten?

Richl: Neben der Schmerzintensität bietet das Stufenschema der WHO eine Orientierung. Jedoch geht man dazu über, nach Nicht-Opioiden direkt starke Opioide einzusetzen. Für Durchbruchschmerzen gibt es spezielle Handlungsanweisungen, wann wie viel von welcher Bedarfsmedikation angewendet werden soll. Sinnvoll ist, ein retardiertes und ein schnell wirksames Opioid mit dem gleichen Wirkstoff zu wählen. In unseren Standards stehen im Durchschnitt 3 verschiedene Präparate für die Dauer- und Bedarfsmedikation. Unsere Ärzte dürfen auch andere Präparate verwenden. Aber die empfohlenen Präparate - wie zum Beispiel Targin® als Basismedikation und Oxygesic® akut bei Durchbruchschmerzen - haben sich in unserem Klinikalltag bewährt. Erfolgskriterien sind eine wirksame Schmerzlinderung sowie eine sehr gute Verträglichkeit. So erhält zum Beispiel Targin® als Fixkombination aus retardiertem Oxycodon und retardiertem Naloxon die normale Darmfunktion und verursacht im Durchschnitt weniger Übelkeit. Natürlich ist auch die Komedikation in unseren Schmerzstandards aufgeführt, was vor allem für chronische Schmerzpatienten wichtig ist.

? Herr Dr. Richl, was wünschen Sie sich für die zukünftige schmerztherapeutische Versorgung in Krankenhäusern?

Richl: Mein größter Wunsch ist, dass alle Ärzte und Pflegenden das Symptom Schmerz sehr Ernst nehmen und den Patienten dazu ermutigen, den Schmerz mitzuteilen statt ihn auszuhalten. Eine flächendeckende Anwendung von Standards in der Schmerztherapie, die genauso selbstverständlich ist wie das Operieren nach Standards, muss angestrebt werden.

! Herr Dr. Richl, wir danken Ihnen für das Gespräch.