Der Klinikarzt 2011; 40(3): 125
DOI: 10.1055/s-0031-1277684
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Krankenhausinfektionen – Nemesis der Medizin?

Volker H. Mersch-Sundermann
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Publikationsdatum:
18. April 2011 (online)

Wenige Faktoren imponierten in den letzten etwa 100 Jahren als wirkliche Meilensteine der Medizingeschichte: die Verbesserung der Ernährungssituation, die Einführung von Hygiene und Impfungen und die Entdeckung der Antibiotika. Als der schottische Bakteriologe Alexander Fleming in den 1930er Jahren das Penicillin entdeckte, brach für die medizinische Therapie eine neue Ära an. Infektionskrankheiten, die bis dahin dominierend für Leid und Tod gewesen waren, verloren plötzlich ihren Schrecken. Der Arzt schien nun das Mittel in der Hand zu halten, um den Siegeszug der Seuchen endgültig aufzuhalten. In den auf Fleming folgenden Jahrzehnten wurden zahlreiche antimikrobielle Wirkstoffe isoliert und synthetisiert; viele Erreger bakterieller Infektionen hatten so kaum noch eine Chance, Herr des Organismus zu werden.

Doch das in der Evolutionstheorie bereits von Charles Darwin beschriebene Prinzip des „survival of the fittest“ ließ auch bei den Mikroorganismen nicht lange auf sich warten. Ihre geringen Generationszeiten, spontane Mutationen und zunehmender Selektionsdruck infolge unreflektierter Antibiotikatherapien verschafften resistenten Erregern den entscheidenden Überlebensvorteil. Und so stehen wir heute – 80 Jahre nach Fleming – vor einer neuen Herausforderung: Hospitalinfektionen durch multiresistente Erreger (MRE). Zu Anfang waren dies Methicillin-resistente, grampositive Staphylococcus aureus (MRSA)-Stämme, heute zunehmend gramnegative, multiresistente „extended spectrum beta-lactamase-Bildner“ (ESBL) aus der Familie Enterobacteriaceae. Die Therapie steht diesen Erregern nahezu hilflos gegenüber!

Der Grund hierfür liegt – wie beim Menschen nicht selten – in seiner „bequemen“ Kurzsichtigkeit: Viele Jahrzehnte verharrten Ärzte im Irrglauben an die letztendliche Wirksamkeit immer weiter entwickelter Antibiotika mit breitem Wirkungsspektrum. Hygiene war nicht wirklich wichtig, schließlich hatte man Antibiotika! Im Hype der operativen und molekularen Medizin verschwanden dann endgültig viele Lehrstühle für Hygiene an den Hochschulen und mit ihnen die Hygiene-Institute und die Hygieniker. Hygiene schien für die Forschung und die Lehre der jungen und werdenden Mediziner irrelevant; eine Vorstellung, an der selbst Hygieniker durch fehlende Präsenz bei aktuellen Entwicklungen nicht ganz unschuldig waren. Die Folgen dieses Handelns sind in den Aufsätzen des vorliegenden Schwerpunktheftes eindrucksvoll beschrieben.

Erst im Angesicht von MRE und ESBL wandelt sich an den Universitätsklinika und Schwerpunktkrankenhäusern langsam das Hygienebewusstsein. Infolge der Tatsache, dass sich in Deutschland mittlerweile mehr als œ Millionen Menschen pro Jahr in Kliniken mit zum Teil hochresistenten Keinem infizieren und Zehntausende daran sterben, wird der Ruf nach der Krankenhaushygiene wieder lauter. Hygienerichtlinien und Hygieneverordnungen entstehen, in Eile müssen in den Kliniken Strukturen geschaffen und in Crashkursen „Light“-Hygieniker ausgebildet werden, um den offensichtlichen Handlungsdruck nicht zur Katastrophe unseres Gesundheitswesens werden zu lassen. Dieses nicht nur, weil nosokomiale Infektionen für den Menschen erhebliche Folgen haben können, sondern weil Isolierung mit wochenlangen Liegezeiten Krankenhäuser an den Rand des Ruins treiben können. Die Krankenhaushygiene ist aber keine „Feuerwehr“, sondern lebt in der Kontinuität des ärztlichen Wirkens.

Bedeutsam ist dabei, dass Patienten immer älter und mit zunehmender Morbidität in zunehmendem Maße mit invasiven und operativen Maßnahmen konfrontiert werden. Immunologische Inkompetenz und „bequeme“ Eintrittspforten sind für Erreger, die ansonsten kaum eine pathogenetische Bedeutung besitzen, geradezu eine Einladung zur Infektion. Dabei können „einfache“ krankenhaushygienische Maßnahmen, allen voran die hygienische Händedesinfektion, in entscheidendem Maße verhindern, dass solche gefährdeten Patienten überhaupt mit multiresistenten Erregern in Kontakt kommen. Die Unterbrechung der Infektketten von multiresistenten Erregern von Patient, Arzt, Schwester oder Instrument zum Patienten ist der Schlüssel einer Infektionsprävention, für die aus Mangel an Personal und bei überfrachtetem Verwaltungsstress heute nur selten die so dringend gebotene Zeit verfügbar ist.

Um dem Sog der Krankenhausinfektionen zu widerstehen brauchen wir vom Gesetzgeber eingeforderte und von den Kliniken mitgetragene Maßnahmen einer effektiven und qualitätsgesicherten Krankenhaushygiene, Lehrstühle und Institute für Hygiene an den medizinischen Fakultäten, klinikumsübergreifende krankenhaushygienische Netzwerke sowie eine strukturierte Zusammenarbeit von Hygienikern, medizinischen Mikrobiologen und klinischen Infektiologen mit den klinischen operativen wie auch nicht-operativen Abteilungen. Hierin liegt der Schlüssel einer effektiven Infektionsprävention. Sicherlich: Nosokomiale Infektionen sind nicht in ihrer Gänze vermeidbar; jede Reduktion besitzt aber ein hervorragendes „Kosten-Nutzen-Verhältnis“ für die Patienten und die Krankenhausbudgets.

Univ.-Prof. Dr. med. habil. Volker H Mersch-Sundermann

Freiburg i. Breisgau

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