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DOI: 10.1055/s-0031-1277992
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Tödlicher Seeunfall im schweren Tropensturm – Erst- und Folgeversorgung auf Schiffen erfolgt meist direkt am Unfallort
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
21. April 2011 (online)

Anamnese
Das Containerschiff unter deutscher Flagge hatte seine Fracht in Ostasien gelöscht. Wegen der Wirtschaftskrise lag das Schiff anschließend mehr als 2 Seemeilen außerhalb der territorialen Gewässer und hatte über Monate den Status eines Aufliegers vor Anker in einem Taifungebiet. Aus einem Tiefdruckgebiet kann sich dort innerhalb von 24 Stunden ein Wirbelsturm entwickeln. Die Besatzung war auf nur 11 Seeleute reduziert. Am Unfalltag erhielt der Kapitän gegen 14 Uhr eine Warnung über einen tropischen Sturm mit 40 Knoten, der eine Stunde später zum schweren tropischen Sturm herabgestuft wurde. Vergeblich versuchte der Kapitän, den Auswirkungen des Sturms auszuweichen. Abends hatte das Schiff nach beiden Seiten eine Schlagseite von über 35 Grad. Die Wellenhöhe betrug 7–8 m. Auf der Brücke konnte sich die Schiffsführung kaum noch auf den Beinen halten. Alles, was nicht gesichert war, rutschte auf dem Boden hin und her.
Um Mitternacht traf der wachhabende Offizier auf der Brücke zum Dienst ein. Er stürzte und wurde durch die Rollbewegungen des Schiffs hin- und her geschleudert. Da die Querbeschleunigung zeitweise 1,5 g betrug, musste er das 1,5-fache seines Körpergewichts abfangen. Dies gelang ihm nicht und er prallte mit dem Gesicht gegen die Tür. Unmittelbar danach wurde er auf die andere Seite geschleudert. Das Schiff rollte jetzt alle 8 Sekunden von einer Seite zur anderen. Der Kapitän bekam den Fuß seines Offiziers zu fassen. Er hielt ihn daran fest und stabilisierte den Körper mit seinen Füßen zusätzlich, um ihn vor weiteren Verletzungen zu schützen. Er gab später an, dass sein Offizier zu diesem Zeitpunkt nur eine kleine Abschürfung des linken Arms hatte. Er habe aber über stärkste Schmerzen geklagt und selber vermutet, dass sein linkes Bein gebrochen sei. Über einige Stunden war er noch ansprechbar und erhielt zwei Tabletten Paracetamol 500. Die Wetterbedingungen und ein zwischenzeitlich ausgelöster Feueralarm verhinderten einen Transport 4 Decks tiefer in das Hospital, wo weitere Hilfsmittel und Medikamente zur Verfügung gestanden hätten.
Gegen 4 Uhr morgens hatte der Sturm weiter zugenommen. Der Verletzte hatte aufgehört zu sprechen. Er war blass und sein Puls schwach. Als der Sturm etwas nachließ, legte das Brückenpersonal den Verletzten auf den Boden. Puls und Atmung waren nicht mehr fühlbar. Die Besatzung begann, die Herz-Lungenwiederbelebung durchzuführen. Die telemedizinische Beratung wurde konsultiert und ein Rettungshubschrauber entsandt. Der – trotz stundenlanger Wiederbelebungsmaßnahmen – inzwischen Verstorbene wurde 6 Stunden nach dem Unfall geborgen. Der Kapitän war zu diesem Zeitpunkt über 20 Stunden auf der Brücke im Dienst. Der amtliche Leichenbeschauer dokumentierte als Todesursache „multiple injuries“. Eine Sektion erfolgte nicht. Der Verstorbene wurde in seinem Heimatland auf den Philippinen beerdigt.
Abb. 1 Apothekenschrank an Bord von Frachtschiffen unter deutscher Flagge.
Literatur
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1 Verordnung über die Krankenfürsorge auf Kauffahrteischiffen vom 25.04.1972 (BGBl. I S. 734), zuletzt geändert (BGBl. I S. 2221) durch Art. 1 V vom 05.09.2007 I 2221.
- 2 Hagelstein J-G. Schwere Seeunfälle mit Personenschäden in der Kauffahrteischifffahrt [Dissertation]. Hamburg: Medizinische Fakultät der Universität Hamburg; 2010
- 3 Arbeitskreis der Küstenländer für Schiffshygiene. Räume und Ausstattung auf Kauffahrteischiffen bis 75 Personen, Richtlinie Nr. 3 zur Verordnung über die Krankenfürsorge auf Kauffahrteischiffen 2007. Im Internet: http://www.ship-sanitation.de/ Stand 2011
- 4 Bundesstelle für Seeunfalluntersuchungen im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Im Internet: http://www.bsu-bund.de/ Stand 2011
- 5 Gau B, Sevenich C, Schlaich C. Sturm vor Hongkong – Medizinische Notfallversorgung an Bord von Kauffahrteischiffen. 48. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrtmedizin, 27.08.–28.08.2010, Wiesbaden, Abstractband.
Korrespondenz
Dr. Clara Schlaich
Hamburg Port Health Center des Zentralinstituts für Arbeitsmedizin und Maritime Medizin
Seewartenstraße 10
20459 Hamburg
eMail: Clara.Schlaich@bsg.hamburg.de