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DOI: 10.1055/s-0031-1278687
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Kognitive Verhaltenstherapie bei psychotischen Positivsymptomen
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
06. Mai 2011 (online)
Es ist noch nicht viel mehr als ein Jahrzehnt her, da galt die Nichterklärbarkeit und Nichthinterfragbarkeit des Wahns als dessen konstituierendes Merkmal und zugleich als eine der Grundüberzeugungen psychiatrischen Denkens. Mit einem Psychosekranken über die Unrichtigkeit seiner Vorstellungen zu argumentieren, wurde nicht nur als Anfänger-, sondern fast schon als Kunstfehler angesehen. Doch gehört gerade dies, freilich wesentlich ausgefeilter in kognitiv-verhaltenstherapeutischer Technik, nun zum Grund inventar der Behandlung schizophrener Psychosen, zumindest, wenn man den Leitlinien folgt. Schon 2006 wurde diese Psychotherapieform in der S3-Leitlinie Schizophrenie aufgrund der guten Evidenzlage mit dem Empfehlungsgrad A versehen. Den inzwischen zahlreichen Studien (auch Metaanalysen liegen bereits vor) folgten die Manuale, zunächst in englischer, dann auch in deutscher Sprache. Bereits 2003 war das Manual von Klingberg et al. zur Rezidivprophylaxe erschienen, jetzt kamen nahezu zeitgleich 2 weitere Manuale auf den Markt. Während das von Bechdolf et al., hervorgegangen aus einem Projekt des Kompetenznetzes Schizophrenie, sich auf noch fluktuierende Positivsymptome in der Prodromalphase konzentriert, beschäftigt sich das nun in deutscher Übersetzung vorliegende Manual von Hazel Nelson mit Wahn und Halluzinationen bei manifest psychotisch Erkrankten, z.T. auch als pharmakologisch therapieresistent geltenden Personen. Beide Bücher liefern theoretische Modelle zur Herleitung und gut strukturierte Anweisungen, wie man sich in mehreren Sitzungen allmählich an das Problem annähern kann. Aus dem Manual von Nelson wird die jahrelange praktische Erfahrung der Autorin besonders deutlich, die ohne Scheu auch sehr konkrete Empfehlungen gibt (z.B., wie man MP3-Player bei akustischen Halluzinationen verwenden kann und welche Probleme es dabei geben kann). Demgegenüber ist das Manual von Bechdolf et al. etwas theoretischer und idealtypischer und bietet zahlreiche Arbeitsblätter im Anhang an, worin sich auch der Unterschied der Zielgruppen abbilden dürfte: Das Arbeiten mit Arbeitsblättern, Hausaufgaben etc. eignet sich vermutlich besser bei prodromalen als bei langjährig kranken Patienten, welche, wie Nelson anmerkt, meistens wenig Neigung haben, sich mit Arbeitsblättern zu befassen.
Beide Manuale sind sehr klar und übersichtlich strukturiert und können auch gut als Nachschlagewerke dienen, um sich leicht aufzufindende Anregungen für spezielle Situationen zu holen. Mithilfe eines dieser Manuale sollte der mit Psychosepatienten vertraute, erfahrene Psychiater und Psychotherapeut durchaus in der Lage sein, diese Techniken anzuwenden. Erfreulicherweise scheint es noch keine Ausbildungsinstitute, Curricula und Zertifikate zu geben. Das Problem freilich ist ein anderes: Es ist durchaus erfreulich, dass der relative Stillstand bei den pharmakologischen Entwicklungen dazu geführt hat, die Entwicklung wirksamer psychotherapeutischer Techniken voranzutreiben und wissenschaftlich zu evaluieren. Bei den Psychosen sind es mittlerweile fünf recht gut etablierte psychotherapeutische Bausteine: Psychoedukation, Familieninterventionen, kognitive Rehabilitation, kognitiv-behaviourale Therapie bei Positivsymptomen und, mit deutlichen Abstrichen an der Evidenz nach einer vor wenigen Monaten im British Medical Journal erschienenen negativen Studie, verhaltenstherapeutische Interventionen im Sinne des Motivational Interviewing bei Psychose und Suchterkrankung. Es ist nun dringend an der Zeit, dass diese Techniken den Weg von ausgewählten universitären Zentren, wo sie im Rahmen von Studien erprobt wurden, in die allgemeine Versorgung finden. Dazu fehlt in Deutschland bisher ein geeignetes Versorgungsmodell. Es ist zunehmend deutlich geworden, dass das Krankenhaus auf Grund der immer kürzeren Verweildauern nicht mehr der Ort sein kann, an dem alle wichtigen Therapiebausteine stattfinden. Unter anderem auch deshalb, weil es nur begrenzt sinnvoll ist, einsichtsorientierte Therapien gerade dann anwenden zu wollen, wenn die Patienten gerade akut krank sind. Institutsambulanzen fühlen sich aufgrund der finanziellen Ausstattung, besonders wenn über Fallpauschalen abgerechnet wird, zu diesen Aufgaben meist nicht in der Lage. Niedergelassene ärztliche und psychologische Psychotherapeuten, obwohl in großer Zahl vorhanden, pflegen aber meistens keine Patienten mit Psychosen zu behandeln, sind in diesen Techniken nicht versiert und müssen obendrein befürchten, dass Anträge bei solchen Patienten von den Gutachtern abgelehnt werden. Dies muss sich ändern.
Tilman Steinert, Weissenau
eMail: tilman.steinert@zfp-zentrum.de
Bechdolf A, Pützfeld V, Güttgemanns J, Groß S. Kognitive Verhaltenstherapie bei Personen mit erhöhtem Psychoserisiko. Ein Behandlungsmanual. Bern: Hans Huber; 2010: 264 Seiten, € 34,95. ISBN 978-3-456-84853-2
Nelson HE. Kognitiv-behaviourale Therapie bei Wahn und Halluzinationen. Ein Therapieleitfaden. Stuttgart: Schattauer; 2011: 484 Seiten, 13 Abbildungen, € 69. ISBN 978-3-7945-2761-8
- 1 Bechdolf A, Pützfeld V, Güttgemanns J, Groß S. Kognitive Verhaltenstherapie bei Personen mit erhöhtem Psychoserisiko. Ein Behandlungsmanual. Bern: Hans Huber; 2010. 264 Seiten, € 34,95. ISBN: 978-3-456-84853-2
- 2 Nelson H E. Kognitiv-behaviourale Therapie bei Wahn und Halluzinationen. Ein Therapieleitfaden. Stuttgart: Schattauer; 2011. 484 Seiten, € 69. ISBN: 978-3-7945-2761-8