Gesundheitswesen 2011; 73 - A155
DOI: 10.1055/s-0031-1283679

Sozioökonomische Ungleichheiten im Gesundheitsverhalten: ‘Was wissen wir eigentlich?’ am Beispiel Ernährung

S Weyers 1, C Muff 2
  • 1Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf
  • 2Schweizer Paraplegiker-Forschung, Nottwil

Einleitung/Hintergrund: Gesundheitsbezogene Verhaltensweisen wie Zigarettenrauchen, ungünstige Ernährung oder ein geringes Maß an körperlicher Bewegung gelten als wichtige Faktoren bei der Entstehung chronischer Erkrankungen und vorzeitiger Mortalität. Eine Fülle an empirischer Literatur bescheinigt den sozialen Gradienten dieser gesundheitsbezogenen Verhaltensweisen, was bedeutet, dass Personen mit niedrigerem Sozialstatus häufiger rauchen, sich häufiger ungünstig ernähren und seltener Sport treiben als Personen mit höherem sozialem Status. Doch wie lässt sich dieser offenbar systematische Zusammenhang zwischen Schichtzugehörigkeit und gesundheitsrelevantem Verhalten erklären? Erstaunlicherweise gibt es hierzu wenige Konzepte und Untersuchungen. Gesundheitspsychologische Modelle erfassen die soziale Schichtzugehörigkeit in der Regel als Kovariate. Aus einer soziologischen Perspektive ist jedoch davon auszugehen, dass die soziale Struktur die Prädiktoren eines gesundheitsbezogenen Lebensstiles in erheblichem Maße beeinflusst. Ziel des Beitrages ist, am Beispiel der gesunden Ernährung die vielfältigen Mechanismen zu illustrieren, welche zum Zusammenhang von sozialer Schicht und Gesundheitsverhalten beitragen können. Daten und Methoden: Auf Basis der aktuellen empirischen Forschung wird eine Reihe von Faktoren dargestellt, welche einerseits mit der Ernährung korrelieren und andererseits sozial ungleich verteilt sind. Ergebnisse: In einem ersten Versuch der Systematisierung wird die Fülle der Ergebnisse in ein Kategoriensystem sortiert, welches sozioökonomische (Armut, erlebte Lebensmittelknappheit, Erwerbslosigkeit), strukturelle (deprivierter Lebensraum), psychosoziale (Ernährungswissen und -bewusstsein, Selbstwirksamkeit, Kontrollüberzeugungen, soziale Unterstützung) und soziokulturelle (sozialen Normen bezüglich Körperbild und Schönheitsidealen, Sozialisation von Ernährungsgewohnheiten) Faktoren beinhaltet. Diskussion/Schlussfolgerungen: Trotz der methodischen Begrenzungen dieser Ergebnisse gibt die Forschungsliteratur Hinweise darauf, dass sozioökonomische Ungleichheiten im Ernährungsverhalten von verschiedenen Faktoren determiniert werden. Den komplexen Zusammenhang dieser Faktoren zu untersuchen sollte künftig eine Aufgabe der Gesundheitswissenschaften sein. In der Zwischenzeit sollte die Vielfalt der Einflüsse auf die Ernährung spezifischer Personengruppen bei der Planung von Interventionsmaßnahmen berücksichtigt werden. Beispiele viel versprechender Interventionen, welche ungünstigen ökonomischen, strukturellen, psychosozialen und soziokulturellen Einflüssen begegnen, finden sich im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung.

Literatur:

Muff C, Weyers S (2010). Sozialer Status und Ernährungsqualität: Evidenz, Ursachen und Interventionen. Ernährungsumschau, 2, 84–88.