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DOI: 10.1055/s-0031-1286042
40. Jahresjubiläum der Gesellschaft für Phytotherapie[*]
Subject Editor:
Publication History
Publication Date:
22 March 2012 (online)
40 Jahre Gesellschaft für Phytotherapie - ein berechtigter Anlass für eine festliche Jubiläumsstimmung! Allerdings gilt es zu fragen, was man heute wirklich feiern will. Denn dass man 40 Jahre »geschafft« hat, ist allein doch wohl nicht Grund genug. Deshalb gestatten Sie mir einen Blick, einen kurzen Rückblick in diese 40 Jahre der Gesellschaft.
Bei meiner Vorbereitung kamen mir viele Erinnerungen an die vergangenen Jahrzehnte, sei es in Verbindung mit namhaften, für die Phytotherapie engagierten Persönlichkeiten, wie z.B. Dr. Deininger, Dr. Menßen, Dr. Trunzler und insbesondere Professor Vogel; seien es aberauch Erinnerungen an oft recht emotionale Definitionsdebatten oder in Verbindung mit unerwarteten Ereignissen für den Phytopharmaka-Markt.
Die Geschichte der Gesellschaft für Phytotherapie war geprägt von begeisternden, aber auch enttäuschenden Ereignissen.
Bei ihrer Gründung am 17. November 1971 hier in Köln, beflügelt durch den gleichzeitigen damaligen allgemeinen Aufschwung in unserem Lande, wollten die Gründungsmitglieder, insbesondere aus dem Hause Klosterfrau, etwas in aller Bewusstsein bringen, was sie dessen für wert hielten und was bis dahin anscheinend noch keine genügende wissenschaftliche Kommunikationsplattform hatte, nämlich »die Phytotherapie«.
Fragt man sich, weshalb man solch eine neue Gesellschaft wollte, da es doch bereits die recht bekannte und angesehene Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung gab, wird offensichtlich: Der naturwissenschaftlich geprägten, phytochemischen Arzneipflanzenforschung fehlte das publizistische therapeutische Pendant der primär empirisch geprägten ärztlichen Erfahrung mit sogenannten pflanzlichen Präparaten.
In der wohl gemeinten Absicht, die neue Gesellschaft breit zu verankern, suchte und fand man sich engagieren wollende Mitglieder, welche allerdings recht unterschiedliche Interessen an der Phytotherapie hatten, z.T. sogar konträre Interessen, wie es sich im Laufe der Zeit zeigen sollte.
Waren es doch einerseits nicht nur solche erfahrungsheilkundlich überzeugten Ärzte, wie man sie primär gesucht hatte, sondern andererseits auch pharmakognostisch geprägte Pharmazeuten sowie naturwissenschaftlich denkende Arzneipflanzenchemiker. Und es kamen ebenfalls Vertreter von kontrollierenden Behörden sowie insbesondere Mitarbeiter bzw. sogar einzelne Geschäftsführer der pharmazeutischen Industrie, wie z.B. Herr Claus Ruppert von Klosterfrau als Gründungsmitglied und erster langjähriger Präsident.
Denn man wollte ausdrücklich, ich zitiere: »Ärzte, Apotheker und Naturwissenschaftler vereinen, um biologische, pharmakologische und klinische Forschung sowie ärztliches Erfahrungswissen auf dem Gebiet der Phytopharmaka zu fördern«.
Dabei wurde insbesondere darauf verwiesen, dass die Phytotherapie, die Verwendung von Phytopharmaka in der Behandlung von Erkrankungen, immer wieder zu Unrecht zusammen mit sogenannten »alternativen Therapien« genannt wird. Die von der Gesellschaft vertretene moderne Behandlung mit Arzneipflanzenzubereitungen sollte integraler Bestandteil einer wissenschaftlich fundierten Pharmakotherapie sein.
Ich vermute, dass die meisten von Ihnen heute die Phytotherapie realistisch und pragmatisch ebenso verstehen, und dass dies die Entwicklung von selektiven Spezialextrakten mit einschließt sowie gegebenenfalls vielleicht sogar die arzneiliche Anwendung von isolierten pflanzlichen Inhaltsstoffen, wie jüngst das Silibinin bei der chronischen Virushepatitis C.
Das klingt heutzutage sicherlich für viele ganz plausibel und scheint, auch gerade unter der Ägide von ESCOP, kaum noch des besonderen Erwähnens wert. Wer aber zurückdenken kann, weiß, und das gehört zur Geschichte der GPT, wie emotional und polarisiert zeitweilig um die Definition »Phytotherapie« gerungen wurde:
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Zum Nachweis der besonderen Wirksamkeit von phytotherapeutischen Arzneimitteln erklärte man die subjektive Wahrnehmung des behandelnden Arztes zum objektiven Maßstab und nicht die Ergebnisse von klinischen Doppelblindstudien.
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Dazu gesellte sich dann noch recht bald, infolge des Mitte der 70er-Jahre vorbereiteten neuen AMGs, eine Furcht, dass pflanzliche Arzneimittel keine behördliche Registrierungs- bzw. Zulassungszukunft haben würden, und dass es eine solche nur noch für synthetische Monopräparate geben sollte.
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Somit war die Einstufung als »besondere Therapierichtung« geradezu das Resultat solchen phytotherapeutischen Verständnisses - als nämlich mit Inkrafttreten des II. Arzneimittelgesetzes 1978 pflanzliche Arzneimittel nicht mehr für die reguläre medizinische Therapie anerkannt, sondern im Verbund mit Homöopathie und Anthroposophie als besondere Therapierichtung gesetzlich geduldet wurden.
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Das ermöglichte allerdings andererseits auch für viele pflanzliche Präparate zunächst den weiteren Verbleib im Markt.
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Und Dr. RF Weiss, seinerzeit ebenfalls Gründungsmitglied, plädierte bei der Begründung zur Einführung seiner »Zeitschrift für Phytotherapie« 1980 für die empirische Wichtigkeit der damals sogenannten komplexen Mite-Phytopharmaka.
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Andererseits aber gab es viele Pharmakologen und Pharmazeuten, für welche es als irreführend galt, wenn mit dem Begriff Phytotherapie ein therapeutischer Gegensatz zu einer Therapie mit synthetischen Wirkprinzipien hervorgehoben wurde. Hierzu verweise ich auf eine klare Stellungnahme von Herrn Professor Wagner aus dem Jahr 1980.
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Aber für den von 1990-1991 im Interesse der Gesellschaft sehr engagierten Vorsitzenden, Professor Volker Fintelmann, war die »Wirksamkeit von Phytopharmaka nicht im Sinne eines Dosis-Wirkungs-Verhaltensbestimmt, sondern durch die Begegnung zweier Wirkprinzipien, nämlich Organismus Pflanze mit Organismus Mensch und daraus entstehender Interferenzen«.
Das ist Erlebtes während der 40-jährigen Geschichte der Gesellschaft. Und so lesen wir in dem Editorial der ZPT von Professor Czygan im ersten Heft von 1992 als Überschrift: »Und immer noch keine Klarheit: Was ist Phytotherapie, was sind Phytopharmaka?«
Unabhängig von diesen ideologisch-definitorischen Auseinandersetzungen konnte sich aber die Gesellschaft dann in den 80er-Jahren sehr konstruktiv einbringen bei der Wissensaufbereitung zur Erstellung der E-Monografien durch die wegweisende »Kooperation Phytopharmaka«. Wie wesentlich deren erfolgreiche Arbeit unter anderem von der höchst umsichtigen Koordination durch Herrn Dr. Eberwein damals abhing, sei hier noch einmal erinnernd erwähnt.
Ab 1990 hatte man sich dann zunehmend in einem regulatorischen sowie ideellen Dilemma befunden: Politisch sollte zwar der Erhalt der altbewährten Phytopharmaka garantiert bleiben. Allerdings hatten immer mehr negative oder Null-Monografien der E-Kommission eine weitere Legalisierung solcher einzelnen davon betroffenen Präparatebestandteile nicht mehr gerechtfertigt.
Als einzig mögliche Konsequenz zum Verbleib nämlicher Präparate im Markt sah man sich dann auf der Basis der AMG-Novelle von 1994 gezwungen, besagte unwirksame oder risikobehaftete Bestandteile aus den bewährten Rezepturen zu entfernen. Dies wurde danach meistens kenntlich gemacht durch ein großes N hinter dem bisherigen Warenzeichen.
Bei dieser somit zwangsläufig über die Zeit immer stärker gewordenen Einflussnahme der Pharmazeutik auf die primär doch ärztlich geprägte Phytotherapie überrascht es nicht, dass die Sorge sich breitmachte, das erfahrungsheilkundliche ärztliche Wissen um die besondere Therapie komme immer mehr zu kurz, und damit auch das ursprüngliche Anliegen der Gesellschaft.
Es verwundert daher nicht, dass bereits zuvor der damalige Vorsitzende Professor Reuter als Naturwissenschaftler bei der Jahresmitgliederversammlung der Gesellschaft im Jahr 1989 ganz bewusst hervorgehoben hatte, der Medizin und der Therapie müsse im Rahmen der Gesellschaft wieder mehr Einfluss und Außenwirkung zukommen. Dabei hatte er sich viele Jahre als Vorsitzender publizistisch und organisatorisch höchst verdienstvoll für die Belange der Gesellschaft eingesetzt.
Rückblickend sah sich also vor ca. 20 Jahren die Gesellschaft mitten in einer geradezu historischdramatischen Bewusstseinsänderung: Phytotherapie wandelte sich zusehends zu einer naturwissenschaftlichschulmedizinischen Pharmakotherapie, lediglich charakterisiert durch deren arzneipflanzliche Wirkstoffprovenienz.
Hierin lag damals sicherlich ein besonderes Verdienst der Gesellschaft - und das sei heute mit einem gewissen Stolz hervorgehoben -, dass sie bereit und in der Lage war, diesen bedeutungsvollen Weg der phytotherapeutischen Qualitätsoptimierung hin zu wissenschaftlich modernen Präparaten mitzugehen und zu unterstützen.
Denn dadurch wurde auch frühzeitig der Boden bereitet für die Schaffung der ESCOP am 18. Juni 1989, dem heute international anerkannten wissenschaftlichen Repräsentanten moderner, zeitgemäßer Phytotherapie. Beim Nennen von ESCOP denken wir zu Recht an die dafür besonders heute geehrten Mitglieder: Herr Professor Reuter, dem es auch bereits bei der Unterzeichnung der Gründungsurkunde um die Internationalisierung des Projektes ging; und Herr Professor Kemper, in seinem langjährigen, immer wieder neu bestätigten Vorsitz des internationalen Vorstandes.
Sicherlich lag hier außerdem ein zweites großes Verdienst der Gesellschaft, dass sie die für die Phytotherapie unerlässliche Symbiose von praktizierenden Ärzten sowie universitären Pharmakologen und pharmazeutischer Industrie ermöglichte; ein jeder hätte nämlich ohne den anderen nicht so effizient arbeiten können. Eine solche Symbiose, oft in anderen Bereichen polemisierend als unseriös verschrien, konnte sich über die Jahre als integer bewähren.
Dazu sei ebenfalls am heutigen 40. Geburtstag der Gesellschaft gratuliert; denn auf diese Weise konnte man trotz des frühen Makels der »besonderen Therapierichtung« oder mit den gravierenden Rezepturänderungen vieler bewährter Phytopharmaka durch die fortschreitende Aufbereitung im Vorfeld der endgültigen Nachzulassung existenzfähig bleiben; und nur so konnte diese »Phytoptherapie«, zumindest im deutschsprachigen Raum, sich zu einem nicht wegzudiskutierenden Begriff etablieren, ähnlich wie dann auch ESCOP für Europa.
Ohne eine solche zeitgemäße Entwicklung hätte wahrscheinlich die Gesellschaft das heutige Jubiläum nicht feiern können.
Und dennoch wird zumindest bei einigen eine gewisse Wehmut aufkommen. Denn von der bei der Gründung vor 40 Jahren vorherrschenden Aufbruchstimmung ist, wie es scheint, kaum noch etwas geblieben, trotz mancher immer wieder zu hörenden Selbstbeteuerungen:
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Das ursprünglich geradezu generalisierte Postulat von natürlicher Unbedenklichkeit pflanzlicher Arzneistoffe wurde zusehends eingeengt und war spätestens seit dem Anthrachinon-Stufenplanverfahren und der Kava-Kava-Zulassungsrücknahme nicht mehr valide. Diese damalige »Entmythologisierung« berechtigt allerdings selbstverständlich nicht zu einer Generalisierung des Gegenteils, dass nämlich alles »Pflanzliche« Risiko bedeutet.
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Neue Fragezeichen zum therapeutischen Wert von so mancher vertrauten Droge erscheinen immer wieder, wie z.B. auch gerade erst jüngst nach der negativ abgeschlossenen großen CAMUS-Studie[1] zu Sabal serrulata in den USA.
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Der Verlust der Verschreibungs- und Erstattungsfähigkeit fast sämtlicher Phytopharmaka zum 1. April 2004 markiert ihre arzneiliche Herabstufung durch die verantwortlichen Behörden und behindert somit auch die ärztliche Therapiefreiheit; ganz zu schweigen von daraus resultierenden existenziellen Folgen für so manches Unternehmen.
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Das phytotherapeutische Präparatesortiment beschränkt sich immer mehr -insbesondere in der europäischen Aufarbeitung an deren Community Monographs erkennbar - auf eine lediglich traditionelle Anwendungserfahrung.
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Die wissenschaftlichen und regulatorischen, d.h. auch die finanziellen Anforderungen der Jetztzeit, erlauben so gut wie keine Entwicklung neuartiger Präparate mehr für die Phytotherapie.
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Der Verbleib vieler bekannter Arzneipflanzenpräparate im Apothekenmarkt gelingt zahlreichen Produkten nur noch mithilfe intensiver Verbraucherwerbung.
Alles in allem ein wohl etwas düsteres Bild und anscheinend gar nicht so passend zu einer jubilierenden Festtagsstimmung.
Und dennoch: Es erscheint heute für Phytopharmaka wichtiger denn je, als Gesellschaft moderne naturwissenschaftliche Qualitätssorgfalt sowie verantwortungsbewusstes ärztliches Beurteilen und therapeutisches Empfehlen zu garantieren. Denn es gilt den scharlatanerischen Versprechungen sogenannter natürlicher Produkte entgegenzuwirken - gerade gegenüber dem naiv vertrauenden und heilsgläubigen, vom Internet immer mehr abhängigen Verbraucher und Patienten.
Hier sind zweifellos einerseits die Hersteller pflanzlicher Präparate gefordert, keine unbewiesenen Heilsversprechen in ihrer Werbung zu präsentieren. Vor allem aber bedarf es der fachkundigen, auch emotional engagierten unabhängigen, glaubwürdigen Kontroll- und Führungsinstanz als Gesellschaft mit starker Außenwirkung, welche nicht erlahmt, das wirklich umzusetzen, was das Kuratorium mit seiner Vorsitzenden, Frau Professor Nieber, kürzlich als eins der künftigen Aufgabenziele formuliert hatte: nämlich die Weiterbildung für Ärzte und Apotheker über Phytopharmaka. Das Interesse daran ist groß, gerade in heutiger Zeit.
Wenn dies jedoch möglich wird, und es ist mehr als nur wünschenswert, dann gibt es für die Gesellschaft für Phytotherapie auch im neuen Jahrzehnt viel zu tun und vieles zu leisten. Dem gelten alle besten Erfolgswünsche.
Online
http://dx.doi.org/10.1055/s-0031-1286042
Note
* In Erinnerung an Herrn Dr. med. Rolf Madaus, gest. am 6. September 2011