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DOI: 10.1055/s-0031-1291213
Postpartale Blutungen (PPH): „too little is done too late“!
Postpartum Haemorrhage (PPH): „too little is done too late”!Publication History
Publication Date:
25 October 2011 (online)
Postpartale Blutungen (PPH): „too little is done too late“! Mit diesem Untertitel kommentierte der CEMACH-Report 2007 die Hauptursache, warum Mütter immer noch infolge einer PPH sterben. Solange PPH weltweit an führender Stelle der (direkten) mütterlichen Todesfälle stehen, müssen wir uns mit diesem Problem intensiv beschäftigen, vergessen wir nicht die schwere mütterliche Morbidität, die 5–7/1 000 Geburten betragen soll. Unübersehbar ist darüber hinaus die steigende Inzidenz schwerer PPH in verschiedenen Industrieländern, die auf eine Zunahme der Rate an Uterusatonien und vor allem von Plazentaimplantationsstörungen als Folge steigender Sektioraten zurückgeführt wird.
Alarmierend sind Analysen mütterlicher Todesfälle aus England und Frankreich, nach denen 70–90% dieser Todesfälle als Folge einer unzureichenden Versorgung (Substandard Care) eingestuft werden und damit als potentiell vermeidbar gelten. Dies dürfte nach aktuellen Erkenntnissen aus der Kommission Müttersterblichkeit auch für Deutschland zutreffen. Es ist also eine drängende Notwendigkeit angesichts schwerer, die gesamte Familie belastender Einzelschicksale und angesichts der Zunahme strafrechtlicher und zivilrechtlicher Auseinandersetzungen infolge unzureichender, verspäteter oder der klinischen Situation nicht angemessener Vorgehensweisen Verbesserungspotenzial und Orientierungshilfen aufzuzeigen, die maßgeblich zu einer Reduktion der mütterlichen Morbidität und Mortalität beitragen können.
Am Anfang einer Kette von Problemen steht die Definition der PPH. Basierend auf Studien zum peripartalen Blutverlust aus den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts definiert die WHO die PPH als Blutverlust ≥ 500 ml und die schwere PPH als Blutverlust ≥1 000 ml bezogen auf die ersten 24 Stunden nach der Geburt, ca. 80% der lebensbedrohlichen PPH treten innerhalb der ersten 4 Stunden postpartum auf. Internationale Leitlinien und Empfehlungen geben andere Grenzwerte für den Blutverlust an, beziehen die klinischen Symptome des Schocks in die Definition mit ein oder befürworten einen Hämoglobinabfall von 10% zwischen den prä- und postpartal gemessenen Werten als geeignetes, objektiveres Kriterium im Vergleich zum Blutverlust. Zutreffend ist daher die Feststellung des ACOG, dass es bisher keine einheitliche und befriedigende Definition der PPH gibt, die sowohl für die Industrie- als auch für die Entwicklungsländer (hohe Rate anämischer Schwangerer) geeignet ist. Kritisch zu sehen ist auch die Differenzierung in der Definition der PPH zwischen vaginaler Geburt (≥ 500 ml) und Sektio caesarea (≥ 1 000 ml Blutverlust). Mindestens 8 verschiedene Versionen, zumeist abgeleitet aus der Transfusions- und Intensivmedizin, liegen für die Definition der schweren PPH vor. Im Hinblick auf die hämodynamische Situation der Schwangeren und deren Prognose spielt aber nicht nur der absolute Blutverlust, sondern vor allem die Rasanz, mit der das Blut verloren geht, eine ausschlaggebende Rolle; daher dürfte die Definition der schweren PPH als akuter Blutverlust ≥150 ml/min wegweisend sein.
Eines der Kardinalprobleme nicht nur für die Definition, sondern vor allem für die Diagnose und Behandlung der PPH ist, dass der peripartale Blutverlust selten gemessen und bei visueller Beurteilung bekanntermaßen um 30–50% unterschätzt wird. Dabei gilt, je größer der Blutverlust ist, umso größer ist das Ausmaß der visuellen Unterschätzung. Beispielsweise werden beim Kaiserschnitt und einem gemessenen Blutverlust ≥1 000 ml der Blutverlust nur in 18% der Fälle visuell korrekt beurteilt. Die Folge ist eine Verzögerung der Diagnose und des Behandlungsbeginns mit häufig schwerwiegenden Folgen für die Mutter.
Wie zahlreiche aktuelle Studien zeigen, lohnt es sich, durch bildliche Algorithmen oder andere „teaching tools“ das geburtshilfliche Personal zu schulen, den Blutverlust präzise einzuschätzen. Das Ziel, bei jeder vaginalen Geburt den Blutverlust z. B. mit kalibrierten Blutauffangbeuteln zu messen, dürfte in der klinischen Praxis nicht erreichbar sein, ist aber bei anamnestischen Risikofaktoren für eine PPH oder wenn es nach der Geburt beginnt stärker zu bluten, dringend zu empfehlen.
Ausweislich des jüngsten CEMACH-Reports (2011) liegt ein häufiger Fehler im Management der PPH in der inadäquaten Überwachung der Patientin und der unzureichenden Beurteilung der klinischen Symptome und Befunde (signs and symptoms) eines hypovolämischen (hämorrhagischen) Schocks. Daher muss jeder Geburtshelfer die Zusammenhänge zwischen Blutverlust (Reduktion des Blutvolumens), Blutdruck-/Pulsverhalten, klinischen Symptomen der Hypovolämie und dem Ausmaß des Schocks kennen. Aufgrund der Schwangerschafts-induzierten Erhöhung des zirkulierenden Blutvolumens (das Blutvolumen einer Schwangeren entspricht ca. 9% des Körpergewichts) kann beispielsweise eine 70 kg schwere, gesunde und normovolämische Schwangere einen Blutverlust von 1,2–1,5 Liter ohne Zeichen der hämodynamischen Instabilität tolerieren. Infolge der Unterschätzung des Blutverlustes wird dieser kritische Bereich (20–25% des Blutvolumens) häufig nicht rechtzeitig erkannt mit der Konsequenz, dass bei fortbestehender Blutung der noch kompensierte Zustand der Mutter für den Geburtshelfer plötzlich und unerwartet in einen dekompensierten Zustand mit hämorrhagischem Schock, Gerinnungsstörung und Multiorganversagen übergehen kann. Blutverluste > 40% des Blutvolumens (ca. 2,5 Liter) gelten unbehandelt als lebensbedrohlich.
Es ist unabdingbar, wird aber – wie aus der gutachterlichen Praxis bekannt – oft versäumt, bei der Diagnosestellung PPH adäquate Venenzugänge zu legen und unverzüglich Blut für Kreuzprobe, Blutbild und Gerinnungsstatus abzunehmen.
Das Zeitintervall bis zum Vorliegen des „Notfalllabors“ und bis zur Verfügbarkeit von gekreuzten Erythrozytenkonzentraten und gefrorenem Frischplasma (möglichst innerhalb von 30 min) sollte dem geburtshilflichen Team bekannt sein (auch an Sonn- und Feiertagen)! Die Indikation von Erythrozytenkonzentraten darf sich dabei nicht allein am Hämoglobin- und Hämatokritspiegel orientieren, da beide Parameter in der Initialphase des Schocks noch im Normalbereich liegen können. Bei akuten Blutungen mit gleichzeitigem Verlust von zellulären Blutbestandteilen und Plasma kommt es erst zum Abfall des Hämoglobins und des Hämatokrits, nachdem Flüssigkeit dem interstitiellen Raum zugunsten des intravasalen Plasmavolumens entzogen wurde. Daher darf die Gabe von Erythrozytenkonzentraten nicht allein vom Hämoglobin- und Hämatokritspiegel abhängig gemacht werden, sondern muss immer deren Verlauf und vor allem die klinische Situation der Schwangeren (u. a. signifikanter Abfall des systolischen Blutdrucks, Tachykardie über die physiologische Sinustachykardie in der Schwangerschaft hinaus, Erhöhung der Atemfrequenz) berücksichtigen.
Zur Reduktion der mütterlichen Morbidität und Mortalität kommt im Kreißsaal verfügbaren, allen Beteiligten bekannten Handlungsanweisungen/Notfallplänen der PPH eine besondere Bedeutung zu. Diese sollten auf aktuellen Leitlinien beruhen, ggf. der lokalen Logistik angepasst und interdisziplinär abgestimmt werden. Unbedingt implementiert in die Notfallpläne sollte der Ruf nach kompetenter Hilfe (erfahrener Geburtshelfer, erfahrener Anästhesist), der häufig zu spät erfolgt und bei anhaltender Blutung mit Blutverlust von ca. 1 000 ml anzuraten ist.
Eine interdisziplinäre Expertenkommission aus Deutschland, Österreich und der Schweiz bereitet derzeit unter der Federführung von D. Schlembach und M. Mörtl aktuelle Handlungspläne zum Vorgehen bei PPH vor, die in Kürze publiziert werden.
Die regelmäßige Schulung und das Training des Personals („fire drills“) hat ausweislich einer jüngsten Studie aus New York trotz steigender Sektioraten und geburtshilflicher Blutungskomplikationen zu einer signifikanten Verminderung mütterlicher Todesfälle infolge PPH geführt. Die Simulation geburtshilflicher Notfälle wie der PPH unter Echtzeitbedingungen im Kreißsaal ist in diesem Zusammenhang ein lohnenswerter Ansatz. Ebenso lohnenswert ist die kritische und kollegiale Analyse von „near miss events“.
Das Antizipieren von anamnestisch bekannten oder sich aus dem Geburtsverlauf ergebenden Risikofaktoren ist Voraussetzung für eine adäquate Prävention der PPH. Vor allem bei Schwangeren, die unter der Geburt im Kreißsaal aufgenommen werden, wird eine exakte Anamneseerhebung aus Zeitgründen häufig unterlassen. Einer jüngsten Untersuchung zufolge ist dabei das Wiederholungsrisiko von ca. 15% für eine erneute PPH nach vorangegangener PPH besonders zu berücksichtigen.
Aktuelle Leitlinien empfehlen bei Schwangeren mit vorangegangener Sektio, insbesondere bei Plazenta prävia, die Plazentahaftstelle sonografisch während der Schwangerschaft zu untersuchen, um so durch einen rechtzeitig vor der Geburt erstellten interdisziplinären Behandlungsplan lebensbedrohliche Blutungen infolge von Plazentaimplantationsstörungen unter der Geburt oder bei der Sektio zu vermeiden.
Die international empfohlene aktive Leitung der Nachgeburtsperiode bei allen Schwangeren, die nachweislich die Rate an PPH um 60–70% senkt, findet häufig keine Akzeptanz bei den Schwangeren, Hebammen und Geburtshelfern. Unklar und daher Gegenstand einer derzeit von der WHO weltweit durchgeführten Multizenterstudie ist die Klärung der Frage, welche der Maßnahmen (Oxytocin-Gabe, kontrollierter Zug an der Nabelschnur, frühes Abnabeln) tatsächlich maßgeblich die Vermeidung einer PPH bewirkt. Es ist davon auszugehen, dass der prophylaktischen intravenösen Oxytocin-Applikation postpartum die größte Bedeutung zukommt und dem kontrollierten Zug an der Nabelschnur nur eine marginale. Misoprostol ist zur Prävention der PPH infolge geringerer Wirksamkeit im Vergleich zu Oxytocin ungeeignet. Die lange Zeit unterschätzten kardiovaskulären Nebenwirkungen der intravenösen Bolusgabe von Oxytocin sollten sowohl bei deren prophylaktischer als auch therapeutischer Anwendung Berücksichtigung finden, die Gabe von 5–6 E in einer Kurzinfusion über 5 min ist zu bevorzugen.
Die wichtigste Maßnahme im Management der PPH ist die rasche Diagnose der Blutungsursache und deren gezielte Beseitigung. Bei der Behandlung der Uterusatonie dürfen die einen initial hohen Blutverlust vermeidenden mechanischen Manipulationen (Expression, Halten und bimanuelle Kompression des Uterus) nicht vergessen werden, die in zeitlicher Koordination mit einer ausreichend dosierten Oxytocin-Applikation (mindestens 30 Einheiten über Infusion und Volumengabe (Elektrolyte, HES 130/04) erfolgen muss. Ein häufig unterschätztes Problem sind stark blutende Atonien des unteren Uterinsegmentes bei kontrahiertem Fundus uteri, die vor allem nach protrahierten Geburtsverläufen und operativ-vaginalen Entbindungen vorkommen können; auch hier hilft als Initialmaßnahme die Kompression des schlaffen unteren Uterinsegmentes.
„Too little, too late“ trifft nicht nur für die Oxytocin-Gabe und den Volumenersatz, sondern vor allem für die Anwendung von Prostaglandinen zu! Tritt innerhalb von 5 min nach Beginn der Oxytocin-Zufuhr keine palpable Uterustonisierung ein, sollte mit der Gabe von Sulproston (einziges, in Deutschland zur Behandlung der Uterusatonie zugelassenes Medikament) nach Leitlinien-Dosierung nicht gezögert werden. Prostaglandine sind bei bereits eingetretener Gerinnungsstörung meist wirkungslos, häufig auch bei septischem Uterus nach Chorioamnionitis, bei der der Uterus auf mechanische und medikamentöse Maßnahmen refraktär sein kann.
Ein dem Geburtshelfer häufig nicht bekanntes Problem ist das Lungenödem, welches sich nach hochdosierter Prostaglandin-Applikation, starkem Blutverlust, hoher Volumenzufuhr, Gabe von Erythrozytenkonzentraten und gefrorenem Frischplasma (GFP) in Verbindung mit prädisponierenden Faktoren (z. B. Präeklampsie, Mehrlinge) entwickeln kann (Pulsoxymetrie!).
Im Kreuzfeuer der gegenwärtigen Diskussion steht die Anwendung von Misoprostol zur Behandlung der PPH infolge Uterusatonie. In vielen deutschen Geburtskliniken wird das preisgünstige und einfach zu verabreichende (oral, rektal, sublingual) PGE1-Derivat Misoprostol eingesetzt. Dessen Anwendung ist aber mit den Problemen des off-licence und off-label use belastet, ein Problem, welches angesichts der Verfügbarkeit eines zugelassenen, mindestens äquieffektiven PGE2-Analogons (Sulproston) aus medico-legalen Gründen nicht zu unterschätzen ist. Im Vergleich zu Sulproston intravenös (Wirkungseintritt innerhalb von 1 min) ist der Wirkungseintritt selbst von sublingual appliziertem Misoprostol deutlich später (ca. 10–12 min laut Pharmakokinetik). Ausweislich einer jüngsten Cochrane-Analyse gibt es bisher keine ausreichende Evidenz, die konventionellen Uterotonika durch Misoprostol in der First-line Behandlung der PPH zu ersetzen. Soeben publizierte Vergleichsstudien zwischen der sublingualen Anwendung von 800 µg Misoprostol vs. einer intravenösen Oxytocin-Infusion von 40 Einheiten in 1 000 ml Trägerlösung appliziert über 15 min zeigten in der Behandlung der PPH bei mit und ohne prophylaktische Oxytocin-Gabe behandelten Schwangeren hinsichtlich der Effizienz nicht signifikante Vorteile zugunsten von Oxytocin, aber eine höhere Nebenwirkungsrate (Zittern, Fieber) nach Misoprostol. Randomisierte Vergleichsuntersuchungen zwischen Misoprostol und Sulproston zur Behandlung der PPH fehlen bisher.
Die intrauterine Ballontamponade (z. B. Bakri-Ballon) sollte heute zum „Rüstzeug“ bei Versagen medikamentöser Maßnahmen der PPH gehören, da diese Methode in bis zu 85% der Fälle eine effektive Blutstillung bewirkt oder als geeignetes Überbrückungsverfahren zur Stabilisierung der Mutter vor operativen Eingriffen oder einer selektiven (uterinen) arteriellen Katheterembolisation dienen kann. Der negative Tamponade-Test (anhaltende Blutung bei korrekt platziertem Ballonkatheter) ist eine klinisch relevante Entscheidungshilfe zur Notwendigkeit operativer Interventionen.
Die in internationalen Leitlinien und Übersichtsarbeiten hinsichtlich ihres Stellenwertes unterschiedlich beurteilte selektive Katheter embolisation der Aa. uterinae setzt eine entsprechende Infrastruktur des Krankenhauses (interventionelle Radiologie, Erfahrungen mit der Methode, 24-h-Service) sowie die hämodynamische Stabilität der Mutter voraus und wurde bei PPH infolge Uterusatonie, geburtshilflicher Verletzungen, Plazentaimplantationsstörungen, Versagen konservativer chirurgischer Maßnahmen sowie bei Nachblutungen nach peripartalen Hysterektomien mit Erfolgsraten zwischen 60 und 100% (im Mittel 90%) eingesetzt. Die selektive Katheterembolisation hat folgende Vorteile: Erhalt des Uterus und der künftigen Fertilität, minimal-invasiv mit geringerer Komplikationsrate im Vergleich zu operativen Interventionen, in über 92% der Fälle keine funktionelle Störung des Menstruationsverhaltens sowie komplikationslose Verläufe in nachfolgenden Schwangerschaften.
Nach einer jüngsten aktualisierten Übersicht soll durch die Kombination eines uterinen Ballonkatheters mit der selektiven arteriellen Katheterembolisation bei PPH nach vaginaler Geburt in nahezu allen Fällen eine effektive Blutungskontrolle erreicht werden. Verfügt das Klinikum über die Möglichkeit der arteriellen Katheterembolisation, so sollte ein erfahrener Geburtshelfer in Absprache mit dem Radiologen individuell entscheiden, ob im Hinblick auf das Ausmaß der Blutung (des Blutverlustes) und der klinischen Stabilität der Schwangeren der Zeitaufwand für die Vorbereitung und Durchführung der Katheterembolisation in diesem Fall zu rechtfertigen ist. Bei massiver Blutung infolge Uterusatonie mit Notwendigkeit zur unmittelbaren Blutstillung ist nach meiner Auffassung die Katheterembolisation ungeeignet und der chirurgischen Intervention der Vorzug zu geben.
Vor kurzem wurde in einer Studie aus England die Notwendigkeit zu einer Second-line Therapie der PPH auf 1: 4 500 Geburten geschätzt. Für die Behandlung der therapierefraktären Uterusatonie haben sich uteruserhaltende Kompressionsnähte mit Erfolgsraten von über 90% bewährt, wobei bisher randomisierte Vergleichsuntersuchungen zwischen den verschiedenen Modifikationen (z. B. B-Lynch-Naht, Modifikation nach Hayman usw.) fehlen und daher die spezielle Erfahrung des Operateurs das Verfahren bestimmt. Die B-Lynch-Naht erfordert eine Uterotomie, deren Modifikation nach Hayman ist ohne Uterotomie möglich, allerdings sollte sich der Geburtshelfer davon überzeugen, dass das Uteruscavum leer ist. Es bedarf chirurgischen Fingerspitzengefühls, die Nähte einerseits so fest anzuziehen, dass eine effektive Hämostase gewährleistet ist, andererseits aber auch nicht zu fest, da so das Risiko für eine postoperative Ischämie (Nekrose) des Uterus erhöht ist. Es ist von Vorteil, die einfach durchzuführende Vierecksnaht nach Cho in das operative Repertoire zu integrieren, da mit dieser Methode vor allem Blutungen aus dem unteren Uterinsegment bei Plazenta praevia effektiver gestillt werden können als mit der B-Lynch-Technik. Nach eigenen Erfahrungen versagen Uteruskompressionsnähte vor allem bei bereits manifester Koagulopathie oder bei schweren, auf mechanische Manipulationen nicht ansprechenden Atonien. Jede geburtshilfliche Klinik sollte zumindest eine Technik der Uteruskompressionsnaht sicher beherrschen, bildliche Darstellungen der Operationstechnik oder „Kochrezepte“ zu deren Durchführung sind Vorort zur Verfügung zu stellen (Empfehlung aus RCOG-Leitlinie 2009). Die Entscheidung, bei persistierender Blutung von der Uterus- und damit fertilitätserhaltenden Uteruskompressionsnaht zur Hysterektomie überzugehen, fällt dem Geburtshelfer vor allem bei weiter bestehendem Kinderwunsch schwer, erfordert klinische Erfahrung und darf nicht erst gestellt (und durchgeführt) werden, wenn die Patientin bereits kreislaufinstabil geworden und/oder die Gerinnung dekompensiert ist. „Resort to hysterectomy sooner rather than later“ ist daher das Fazit der jüngsten RCOG-Leitlinie.
Eine im Einzelfall effektive Option die Hysterektomie zu vermeiden, ist im Sinne einer Sandwich-Technik („uterine sandwich“) die B-Lynch-Naht mit einer intrauterinen Ballonkatheter-Tamponade zu kombinieren.
Ligaturen der Aa. uterinae oder die schrittweise Devaskularisation sind die weltweit am häufigsten durchgeführten konservativen Operationsverfahren in der Second-line Therapie der PPH mit Erfolgsraten von 80–96%, sie sind vor allem bei Nicht-Atonie bedingter PPH indiziert, können aber infolge neugebildeter Kollateralen oder inkompletter Ligaturen versagen. Die bilaterale Ligatur der Aa. iliaca internae ist bei Uterusatonie weniger wirksam als Uteruskompressionsnähte (Erfolgsraten zwischen 42–93%), ist technisch schwieriger, mit einer höheren Rate an Organverletzungen belastet, und sie darf nur von einem in der Beckenchirurgie versierten Operateur vorgenommen werden. Ausweislich einer jüngsten Beobachtungsstudie ist bei 26% der Patientinnen nach konservativen Second-line Therapien eine Hysterektomie erforderlich. Der Zeitpunkt der und die Entscheidung selbst, wann die Hysterektomie als lebensrettende Intervention anzusehen ist, ist subjektiv. Als Orientierungshilfe gilt, dass Schwangere mit ausgedehnten Plazentaimplantationsstörungen, nicht rekonstruierbarer Uterusruptur, septischem Uterus oder durch alle konservativen Maßnahmen nicht beherrschbarer Blutung Kandidaten für die Hysterektomie sind. Im Hinblick auf die Vermeidung schwerer mütterlicher Morbidität und Mortalität ist es ratsamer, sofern keine Erfahrungen mit konservativen uteruserhaltenden Operationsverfahren und keine Möglichkeit zur Katheterembolisation zur Verfügung stehen, bei schweren Blutungen unverzüglich die Hysterektomie durchzuführen. In einer jüngsten systematischen Übersicht lag die mütterliche Mortalität der peripartalen Hysterektomie bei 2,6%, die mütterliche Morbidität bei 56%, 44% der Schwangeren benötigten Bluttransfusionen, und 44% der Betroffenen erhielten eine Hysterektomie, ohne das alternative operative Interventionen versucht wurden. In ca. 5–6% der Fälle persistieren die Blutungen auch nach der Hysterektomie, in diesen Fällen kann intraoperativ durch ein „pelvic packing“ eine Blutstillung erreicht werden, bei Nachblutungen nach der Hysterektomie durch eine selektive Katheterembolisation.
Ein Kardinalproblem stellt die zu spät durchgeführte manuelle Lösung bei Plazentaretention dar. Es ist verständlich, dass Geburtshelfer und Hebammen – dem Wunsch der glücklichen und meist erschöpften Mutter mit Baby im Arm folgend – bei Ausbleiben der Plazentalösung invasive Maßnahmen vermeiden möchten; allerdings steht fest, dass einerseits die verlängerte Plazentaperiode einer der wichtigsten Risikofaktoren für eine PPH ist und andererseits die Rate schwerer postpartaler Blutungen, beginnend 10 min nach der Geburt, ab 30 min postpartum drastisch ansteigt. Bei einer verlängerten Nachgeburtsperiode (über 30 min) ist die Plazenta adhaerens mit über 80% die häufigste Ursache der Plazentaretention.
Laut AWMF-Leitlinie 015/063 und RCOG-Leitlinie 2009 sollte die manuelle Plazentalösung nicht später als 30 min nach der Geburt des Kindes durchgeführt werden; wichtig ist, dass die manuelle Lösung früher erfolgen muss, wenn der Blutverlust 500 ml übersteigt. Mit der Entscheidung zur Intervention sollte unbedingt Kreuzblut und ein Notfalllabor abgenommen werden, Erythrozytenkonzentrate und gefrorenes Frischplasma sind zu bestellen und in den Kreißsaal/OP bringen zu lassen.
Die Akupunktur ist bisher keine evidenzbasierte Maßnahme zur Lösung der Plazenta, die Applikation von Oxytocin in die Nabelschnurvene erbringt laut jüngster plazebo-kontrollierter Doppelblindstudie keine Vorteile, die manuelle Lösung zu vermeiden. Diese muss im Operationssaal mit Anwesenheit eines Anästhesisten vorgenommen werden (rechtzeitig Narkosebereitschaft herstellen), was besonders dann lebensrettend sein kann, wenn es bei vorher nicht bekannter Plazentaimplantationsstörung nach frustranem Lösungsversuch massiv aus dem artifiziell eröffneten Plazentabett blutet. Diese Situation erfordert die sofortige Laparotomie meist in Verbindung mit einer Hysterektomie.
Bei bereits im Schwangerschaftsverlauf sonografisch diagnostizierter Plazentaimplantationsstörung wurden in den letzten Jahren verschiedene Therapieoptionen bei der Sektio diskutiert: z. B. das Einlegen von Ballonokklusionskathetern in die Arteriae iliacae internae mit und ohne selektiver Katheterembolisation oder das Belassen der Plazenta in utero ohne Lösungsversuch nach Entwicklung des Kindes über Fundusquerinzision. Allerdings liegen mit diesen Maßnahmen bisher keine ausreichenden Erfahrungen vor.
Ein weiteres Problem in der Behandlung der schweren PPH ist die verspätete Gabe von Erythrozytenkonzentraten (s. o.) und von Gerinnungsfaktoren. Ab einem Blutverlust von 1 500–2 000 ml und anhaltender Blutung ist davon auszugehen, dass Erythrozytenkonzentrate notwendig werden (Cave: Unterschätzung des Blutverlustes).
Die Entscheidung zur Transfusion und das Zeitintervall, in dem Erythrozytenkonzentrate benötigt werden, hängen vor allen von den klinischen Befunden (u. a. Hinweis für hämodynamische Instabilität, Persistenz oder Stopp der Blutung, Ansprechen auf die initiale Volumentherapie) ab. Ein häufiger Fehler in dieser Situation ist, die Gabe von Erythrozytenkonzentraten allein von den Hämoglobin-Spiegeln abhängig zu machen (s. o.), ohne den bereits eingetretenen Blutverlust und die Zeichen des hypovolämischen (hämorrhagischen) Schocks sorgfältig zu berücksichtigen! Stehen gekreuzte Erythrozytenkonzentrate bei Blutverlust > 2 000 ml und persistierender Blutung, Zeichen der hämodynamischen Instabilität oder Hinweisen auf eine Myokardischämie (z. B. ST-Veränderungen im EKG) nicht zur Verfügung, sollten initial 2–4 Erythrozytenkonzentrate der Blutgruppe O Rhesus negativ verabreicht und die Kreuzprobe nachgeholt werden.
Die initiale Behandlung einer Gerinnungsstörung, mit der bei steigendem Blutverlust über 1 500 ml zunehmend gerechnet werden muss, hat in jüngster Zeit Neuerungen erfahren. Aus der CRASH-2-Studie bei Multitraumatisierten und aus der soeben publizierten EXADELI-Studie bei Patientinnen mit PPH wird deutlich, dass die intravenöse Gabe des Antifibrinolytikums Tranexamsäure (Cyklokapron) – 1–2 g initial und 1 g/Std. über 6 Stunden – den Blutverlust und die damit assoziierte Morbidität deutlich senken. Daher ist die „Blindgabe“ von Tranexamsäure nach derzeitigem Kenntnisstand eine wichtige Initialmaßnahme ohne relevante Nebenwirkungen, weswegen Tranexamsäure im Kreißsaal in Griffnähe bereitstehen sollte.
Das Problem bei der Applikation von gefrorenem Frischplasma (GFP) besteht darin, dass es aufgetaut werden muss (Dauer ca. 30 min), bei massivem Blutverlust häufig zur effektiven Anhebung der Gerinnungsfaktoren nicht ausreicht und die hohen notwendigen Volumina mit der Gefahr der Volumenüberlastung und des Lungenödems belastet sind. Steht in der Akutsituation einer schweren PPH kein GFP zeitgerecht zur Verfügung oder ist GFP nicht ausreichend wirksam (Fibrinogenspiegel < 1,5 g/l) sollte unverzüglich Fibrinogen (3–4 g initial) intravenös verabreicht werden, auch wenn noch kein Gerinnungsstatus vorliegt. Fibrinogenkonzentrat sollte daher im Kreißsaal zur Verfügung stehen!
Die jüngste Mitteilung der Herstellerfirma, dass die Sicherheit und Wirksamkeit von rekombinantem Faktor VIIa aufgrund der zugelassenen Indikationen nicht nachgewiesen und daher das Präparat nicht angewendet werden sollte, hat zu Unsicherheiten geführt. Feststeht, dass rekombinanter Faktor VIIa nur nach Ausschöpfen aller chirurgischen und die Hämostase-stabilisierenden Maßnahmen gegeben werden darf. Auch wenn bisher randomisierte, kontrollierte Studien zur Anwendung von rekombinantem Faktor VIIa bei schweren geburtshilflichen Blutungen fehlen, liegen doch umfangreiche klinische Erfahrungen vor, dass nach dessen Applikation in 76–85% der Fälle mit einer Reduktion/Stopp der Blutung, mit keiner weiteren Notwendigkeit zur Transfusion von Erythrozytenkonzentraten und Erhalt des Uterus gerechnet werden kann. Daher halte ich die Anwendung von rekombinantem Faktor VIIa nach wie vor für eine im Konsens mit der Anästhesie zu treffende lohnenswerte Option, die allerdings konservativ-chirurgische Maßnahmen nicht verzögern sollte.
Aus der gutachterlichen Praxis ist bekannt, dass häufig logistische bzw. infrastrukturelle Probleme der Klinik zu schwerer mütterlicher Morbidität und zum Tod der Mutter in Einzelfällen beitragen. Jede geburtshilfliche Abteilung hat daher kritisch die personellen, räumlichen, apparativen und labortechnischen Voraussetzungen für die Behandlung der schweren PPH (und anderer geburtshilflicher Notfälle) zu prüfen und eine adäquate Versorgung dieser vital bedrohten Schwangeren zu gewährleisten, bevor ein Notfall eintritt. Assistenz- und Oberärzte haben Defizite in dieser Versorgung dem Chefarzt mitzuteilen, der Chefarzt sollte – sofern er diese Defizite aus nachvollziehbaren Gründen (fehlendes Personal, fehlende Ausstattung) nicht abzustellen in der Lage ist, den administrativen Vorstand schriftlich mit diesen Problemen konfrontieren und im Sinne der Sicherheit der Schwangeren auf einer zeitnahen Lösung bestehen.
Die Behandlung einer schweren PPH ist immer ein interdisziplinäres Problem und eine interdisziplinäre Herausforderung. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Geburtshelfer und Anästhesisten ist Gegenstand aktueller Übersichtsarbeiten und Empfehlungen. Wegweisend ist dabei der Ruf nach kompetenter Hilfe, eine optimale Kommunikation untereinander (z. B. Information über den bereits eingetretenen Blutverlust) und Kooperation sowie eine präzise abgestimmte Aufgabenverteilung im Falle einer schweren Blutung. Eine wichtige Aufgabe der Anästhesisten, die auch der Geburtshelfer kennen sollte, ist die Aufrechterhaltung der Normothermie, die Korrektur einer metabolischen Azidose und eine ausreichende Kalziumzufuhr, um die Wirksamkeit einer Gerinnungstherapie zu gewährleisten.
Ein in Deutschland bisher kaum propagiertes und praktiziertes Verfahren bei geburtshilflichen Blutungen einschließlich PPH ist die Anwendung eines Cell Savers, insbesondere bei Angehörigen von Jehovas-Zeugen oder Patientinnen mit multiplen Antikörpern. Aus anderen Ländern liegen zahlreiche Erfahrungen vor, nach denen mit dem Cell Saver eine signifikante Reduktion an Bluttransfusionen bei verschiedenen geburtshilflichen Blutungen und bei Sektio caesarea erreicht werden konnte. In England setzen 38% der Geburtskliniken den Cell Saver ein, 28% haben diese Methode in ihre Handlungsanweisungen implementiert. Der weiten Verbreitung des Cell Savers bei geburtshilflichen Blutungen stehen die Kosten und logistische Probleme (vor allem mangelndes Training und fehlende Ausstattung) gegenüber. Es wäre im Sinne der Patientinnen lohnenswert, den Cell Saver zumindest bei voraussehbaren schweren Blutungskomplikationen wie z. B. präpartal diagnostizierten Plazentaimplantationsstörungen und/oder zu erwartender schwerer PPH aus anderen Gründen einzusetzen. Hier besteht zumindest in Deutschland eindeutig Nachholbedarf.
Aus Fehlern zu lernen und das Potenzial an Verbesserungsmöglichkeiten im Sinne einer optimalen Versorgung von Schwangeren mit PPH auszuschöpfen sind zielführend, die mütterliche Morbidität und Mortalität dieser unkalkulierbaren und oft lebensbedrohlichen Komplikation zu reduzieren.
(Literatur beim Verfasser)