Zeitschrift für Palliativmedizin 2011; 12(06): 254
DOI: 10.1055/s-0031-1295612
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Buchbesprechung

Contributor(s):
Maja Falckenberg
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Publication History

Publication Date:
07 November 2011 (online)

 
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Accabadora
Michaela Murgia
2010, 176 Seiten, Verlag Klaus Wagenbach, 17,90 €, ISBN 978-3-8031-3226-0

Das Buch ist trotz des ernsten Themas ein wunderbares Ferienbuch oder löst zumindest Erinnerungen an Ferien aus. Die Geschichte spielt in Sardinien und macht uns mit der sardischen Tradition der Accabadora vertraut. Eine Accabadora ist eine Frau, die Sterbenden in Agonie zum Tode verhilft. Anthropologen sind sich nicht einig, ob sie tatsächlich existiert hat oder es sich nur um eine mythologische Figur handelt. Die sechsjährige Maria wird als "fill´e anima", als "Seelenkind" von einer wohlhabenden Witwe in einem kleinen Dorf in Sardinien aufgenommen. Diese scheint in zwei Welten zu wohnen. Maria spürt das, darf aber nicht nachfragen. Erst später entdeckt sie die Wahrheit.

"Ich bin nicht diejenige, die Eile hat, ganz im Gegenteil. Wenn die Dinge geschehen sollen, dann geschehen sie im richtigen Moment von allein." Die Alte legte jäh ihr Schultertuch ab, … ihre dunklen Augen fixierten Maria mit strenger Ungeduld. "Sie geschehen von allein…" murmelte sie freudlos lächelnd. "Bist du vielleicht von selbst geboren worden, Maria? Bist Du aus eigener Kraft aus dem Bauch Deiner Mutter geschlüpft? Oder bist du mit der Hilfe von anderen auf die Welt gekommen, wie wir alle?

Damals haben andere für dich entschieden und andere werden wieder für dich entscheiden, wenn es nötig wird. Es gibt keinen Lebenden, der seine letzte Stunde erreicht, ohne Väter und Mütter an jeder Wegkreuzung gehabt zu haben, Maria, und du solltest das von allen am besten wissen. Ich hatte keine eigenen Kinder, aber auch ich hatte einen Teil beizutragen."

"Und welcher Teil war das?"

"Der letzte. Ich bin die letzte Mutter gewesen, die einige gesehen haben."

Maria schwieg einige Minuten lang, während die Wut langsam in der für sie akzeptablen Bedeutung dieser Worte verebbte. Als sie weiter sprach, wusste Bonaria, dass keine Verständigung mehr möglich war.

Das Thema, das alle in der Palliativmedizin immer wieder beschäftigt und auffordert, die eigenen Standpunkte zu überdenken und gegebenenfalls zu festigen wird hier in anrührender Weise vor dem Hintergrund einer mir bisher nicht bekannten Tradition reflektiert.

Maja Falckenberg, Hamburg