Der Klinikarzt 2011; 40(10): 431
DOI: 10.1055/s-0031-1295701
Editorial
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Neue Medikamentenentwicklungen – wo liegen die Schwerpunkte?

Achim Weizel
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Publication Date:
03 November 2011 (online)

Der vFA, der Wirtschaftsverband der forschenden Arzneimittelunternehmen, gibt in jedem Jahr eine Broschüre heraus, in der die Forschungsschwerpunkte der Mitgliedsunternehmen dargestellt sind. Das Studium dieser Aufstellung bietet interessante Einblicke in den Pharmamarkt. Als erstes zeigt sich überraschenderweise, dass der Forschungsschwerpunkt keineswegs in dem Bereich der Erkrankungen liegt, die am häufigsten zum Tode führen. Nach der letzten Statistik des Statistischen Bundesamtes (2009) starben etwa 360 000 Menschen an Krankheiten des Herz-Kreislaufsystems und 220 000 Menschen infolge bösartiger Erkrankungen. Ein Blick auf die Forschungsschwerpunkte zeigt eine völlige andere Gewichtung. Für die Therapie der häufigen Herz-Kreislauferkrankungen werden nur 11 % der Forschungsmittel aufgewandt, für Forschung auf dem Gebiet der bösartigen Erkrankungen dagegen 32,5 %.

Dies lässt 2 Schlüsse zu: Die Forschung auf dem Gebiet der Herz-Kreislauferkrankung war in den letzten Jahrzehnten intensiv und erfolgreich. Antiarrhythmika, Gerinnungshemmer, Blutdrucksenker, Lipidsenker haben in der primären und sekundären Prävention einen festen Platz. In allen Präparategruppen stehen mehrere, teilweise sehr viele, mehr oder weniger gleichwertige Präparate zur Verfügung. Die Einführung eines weiteren Präparates mit verbesserter Wirkung ist wegen der dazu notwendigen großen Probandenzahlen und den damit verbundenen Kosten finanziell riskant, sodass große Pharmafirmen ihren Ausstieg aus der Herz-Kreislaufforschung erklärt haben.

Ganz anders im Bereich der bösartigen Erkrankungen. Im Unterschied zu den Herz-Kreislauferkrankungen waren hier die Fortschritte in den letzten Jahrzehnten deutlich geringer. Während die Mortalität bei Herz-Kreislauferkrankungen um etwa 30 % in 30 Jahren gesunken ist, hat sich die Mortalität bei malignen Erkrankungen nur wenig gebessert. Deutlichen Fortschritten im Bereich der Hämatologie (Leukämien, M. Hodgkin) stehen praktisch unveränderte Verhältnisse im Bereich der Hirntumoren, des Bronchialkarzinoms, des Magen- und Pankreaskarzinoms gegenüber. Verbesserte Überlebensraten beim Kolonkarzinom sind eher auf eine verbesserte Vorsorge als auf eine verbesserte Therapie zurückzuführen. Die erzielten, oft nur Monate betragenden längeren Überlebenszeiten, werden sehr häufig durch massive Nebenwirkungen erkauft. Verständlich ist daher die Hinwendung der Industrie zu diesem Bereich. Im Unterschied zum Herz-Kreislaufbereich werden hier Neuzulassungen schon bei relativ geringeren Prognoseverbesserungen möglich, durch die hohen Preise dieser Präparate kommt es auch rascher zu einer Amortisation der eingesetzten Kosten. Das Krebsmittel Erbitux erzielte 2009 einen Umsatz von 1 Milliarde Dollar und Avastatin 6 Milliarden Dollar, beide Medikament sind damit in der Blockbusterklasse. Wir werden also weiterhin auch in den nächsten Jahren mit neuen Mitteln auf diesem Markt rechnen können, die hoffentlich die Therapie erfolgreicher gestalten, als dies bei vielen Tumoren bisher der Fall ist.

Herz-Kreislauferkrankungen und Tumorerkrankungen sind sehr häufige Erkrankungen, interessant ist daher eine Entwicklung quasi am anderen Ende des Spektrums, nämlich bei den sehr seltenen Erkrankungen, den sogenannten ”Orphan diseases“, Erkrankungen, an denen nicht mehr als 5–7,5 von 10 000 Menschen in der Bevölkerung leiden. Für diese Patienten gab es über lange Zeit wenig Hoffnung, da die Entwicklung von Medikamenten nicht lohnend war. Dies hat sich geändert. Entwickler dieser Medikamente profitieren heute von vereinfachten Zulassungsbestimmungen, geringeren Gebühren und längeren Exklusivrechten. Die Zeiten für Entwicklung und Begutachtung sind deutlich kürzer, in vielen Staaten gibt es Fördermittel (s. auch FAZ 13. Sept. 2011). Viele dieser Entwicklungen werden von kleinen Biotechnologie-Unternehmen vorangetrieben, die bei wirtschaftlichem Erfolg in der Regel von multinationalen Konzernen übernommen werden. Der Weg ist oft lang und mühsam, gelegentlich endet er auch in einer Sackgasse. Führt die Entwicklung zum Erfolg ist allerdings ein großer wirtschaftlicher Erfolg vorhersehbar.

Der Arzneimittelmarkt ist in intensiver Bewegung, sowohl bei Volkskrankheiten wie auch bei den seltenen Erkrankungen. Die kommenden Jahre werden zeigen, auf welchem Gebiet die Patienten am meisten profitieren.