Geburtshilfe Frauenheilkd 2012; 72(1): 36-38
DOI: 10.1055/s-0031-1298148
GebFra HandsOn
Perinatalmedizin
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Messung und Beurteilung der Nackentransparenz

Michael G. Schrauder
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Publication Date:
07 February 2012 (online)

Hintergrundwissen zur Ätiologie

Es ist noch immer nicht vollständig geklärt, warum eine Flüssigkeitsansammlung unter der Nackenhaut im 1. Trimenon in Assoziation mit fetalen Problemen steht. Ein möglicher Erklärungsversuch ist der Zusammenhang der erhöhten Nackentransparenz mit einer kardialen Dysfunktion ([Tab. 1]). Auf diesen Zusammenhang deuten Untersuchungen zur fetalen Auswurffraktion im 2. Trimenon (nach auffälliger NT-Messung im 1. Trimenon) sowie Untersuchungen der mRNA des atrialen natriuretischen Peptids hin. Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der fetalen Herzfunktion und der Nackentransparenz konnte bisher allerdings noch nicht sicher nachgewiesen werden.

Tab. 1 Risiko für Herzfehler in Abhängigkeit von der NT-Messung.

Nackentransparenz

Herzfehlerrisiko

2,5–3,4 mm

1 %

3,5–4,4 mm

3 %

4,5–5,4 mm

7 %

5,5–6,4 mm

20 %

> 6,4 mm

30 %

Hintergrundwissen

Mögliche Ursachen einer erhöhten NT

  • fetale kardiale Dysfunktion

  • Aortenisthmus

  • venöse Stauung im Kopf-Hals-Bereich durch
    z. B. Zwerchfellhernie oder Skelettdysplasien

  • genetische Veränderungen extrazellulärer Matrixproteine

  • Überexpression der Superoxid-Dismutase

  • schlechterer Lymphabfluss durch ein verändertes Lymphsystem oder mangelnde fetale Aktivität

Als Isthmus der Aorta bezeichnet man den Abschnitt der Aorta zwischen dem Ductus arteriosus Botalli und dem Abgang der linken A. subclavia. Engstellen in diesem Bereich treten bei einer Trisomie 21 und beim Turner-Syndrom gehäuft auf und führen zu einer verstärkten Durchblutung der Kopf- und Nackenregion, was Einfluss auf die Ausprägung einer Nackentransparenz haben könnte.

Als weitere Ursachen einer NT-Verbreiterung kommt eine venöse Stauung im fetalen Kopf- und Halsbereich, ausgelöst beispielsweise durch eine Zwerchfellhernie oder eine Verkürzung der Rippen bei Skelettdysplasien, mit konsekutiver Erhöhung des intrathorakalen Drucks infrage. Mögliche Veränderungen der extrazellulären Matrix sind ebenfalls als Ursachen für eine veränderte Nackentransparenz denkbar, da zahlreiche Gene extrazellulärer Matrixproteine auf Chromosom 21 (Kollagen Typ VI), Chromosom 18 (Laminin) und auf Chromosom 13 (Kollagen Typ IV) liegen. Darüber hinaus befindet sich auf Chromosom 21 auch das Gen für die Superoxid-Dismutase. Dieses Enzym verhindert die Spaltung und damit den Abbau von Hyaluronsäure, einem wichtigen Baustein der extrazellulären Matrix, was durch Bindung von Wasser im Gewebe zu einem Ödem führen kann. Eine Überexpression der Superoxid-Dismutase bei Trisomie 21 stellt einen weiteren möglichen Entstehungsmechanismus der auffälligen Nackentransparenz dar ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Echoarmer Zwischenraum im Nackenbereich zwischen Weichteilgewebe und Haut als Hinweis auf eine chromosomale Störung (aus: Entezami M et al., Hrsg. Sonografische Fehlbildungsdiagnostik. Stuttgart: Thieme; 2002).
Merke

Eine abschließende Aussage zur Ätiologie einer Flüssigkeitseinlagerung im Nackenbereich im 1. Trimenon ist nicht möglich.

Ein schlechterer Lymphabfluss aufgrund einer geringeren fetalen Aktivität zählt ebenso wie eine fehlerhafte Anlage des Lymphsystems zu den weiteren möglichen Pathomechanismen einer veränderten Nackentransparenz bei chromosomalen Anomalien. Untersuchungen an Feten mit neuromuskulären Defekten, fetalem Akinesie-Syndrom und spinaler Muskeldystrophie sowie NT-Messungen bei vorliegenden Amnionbändern und dadurch eingeschränkter fetaler Bewegungsfähigkeit stärken diese Theorie. Im Gegensatz dazu führen intrauterine Infektionen, mit Ausnahme der Parvovirus-B19-Infektion, äußerst selten zu einer auffälligen Nackentransparenz.

Die aktuellen Daten lassen vermuten, dass eine Vielzahl von unterschiedlichen Ursachen zu einem auffälligen NT-Befund führen kann. Die Assoziation von NT-Auffälligkeiten mit Chromosomenanomalien und struktureller Veränderung vor allem am Herzen konnte dennoch durch mehrere große Studien sicher nachgewiesen werden ([Tab. 1]).

Merke

Bei einer NT-Messung von 6,5 mm finden sich bei 45 % der chromosomal unauffälligen Feten strukturelle Veränderungen.

Tipp für die Praxis

Für die Beratung und Aufklärung der Eltern sollte allerdings berücksichtigt werden, dass das statistische Risiko für eine fetale Erkrankung bei auffälliger NT-Messung, aber unauffälliger Chromosomenanalyse nur in Fällen mit einem NT-Messwert über der 99. Perzentile (> 3,5 mm) signifikant erhöht ist. In diesen Fällen ist eine erneute Beurteilung des Feten und speziell des fetalen Herzens in der 15.–16. SSW zu empfehlen. Eine weitere engmaschige Betreuung mit qualifizierter Ultraschalluntersuchung im 2. Trimenon sollte bei jedem auffälligen NT-Befund (auch unter der 99. Perzentile) empfohlen werden.

Auch Feten ohne chromosomale Veränderungen, aber mit stark auffälliger NT-Messung (> 3,5 mm), weisen unabhängig von der Ursache für die Nackenauffälligkeit eine schlechtere Überlebensrate auf. Das Risiko für strukturelle Veränderungen beim Feten ist bei hoch auffälligen NT-Werten (deutlich über der 95. Perzentile) auch bei Vorliegen einer unauffälligen Chromosomenanalyse deutlich erhöht.