physioscience 2012; 8(1): 38-39
DOI: 10.1055/s-0031-1299243
Veranstaltungsbericht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

AG GGUP-Fachtagung: Unwissen verstärkt Inkontinenz

U. Henscher
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
27. Februar 2012 (online)

Vom 7.–8. Oktober 2011 lauschten in Frankfurt fast 100 aufmerksame weibliche – und leider nur 2 männliche – Ohren 2 Tage lang den fachkundigen Referenten ([Abb. 1]). Die AG GGUP hatte zu ihrer turnusmäßig stattfindenden Tagung vor allem Lehrkräfte und Praxisanleiter ebenso wie interessierte Kollegen eingeladen.

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Abb. 1 Der Vorbereitungsgruppe unter Leitung von Ulla Henscher (Mitte) wird gedankt.

Der fachliche Reigen begann mit Dr. Antje Braumanns (Pflegewissenschaftlerin) Überblickvortrag über den Einfluss von Informationen auf die Bewältigung einer Harninkontinenz. Unwissen führt zu Ungewissheit und somit zu Verunsicherung und Angst. Für die Betroffenen kann dies den Rückzug aus dem sozialen Leben bedeuten, wenn sie keine professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Aus medizinischer Sicht gehören Information, Beratung und Aufklärung in die Diagnostik und Therapie der Harninkontinenz, um die Lebensqualität zu erhalten. Eine flächendeckende Kontinenzberatung befindet sich in Deutschland leider erst im Aufbau. In den von der Deutschen Kontinenzgesellschaft zertifizierten Kontinenzzentren arbeiten interdisziplinäre Teams, um eine individuelle und effektive Versorgung sicherzustellen.

Dr. Stefan Albrich (Gynäkologe an der Uniklinik Mainz) erläuterte in seinem brillanten Vortrag aktuelle komplexe Theorien zur Entstehung von Dysfunktionen im kleinen Becken. Anhand verschiedener Theoriemodelle konnten die Teilnehmer ihre Kenntnisse in funktioneller Anatomie auffrischen. Bei der Darstellung von Weichteilstrukturen und eingebrachten Implantaten spielt die 3-D-Sonografie postoperativ eine wichtige Rolle. Aus der speziellen Diagnostik ergeben sich maßgeschneiderte konservative oder/und operative Therapieempfehlungen.

Den Abschluss des 1. Tages bildete ein Gemeinschaftsvortrag von Reina Tholen und Ulla Henscher zur erfolgreichen Implementierung evidenzbasierter Physiotherapie in der S3-Leitlinie zur Therapie des Mammakarzinoms der Frau. Dieses Beispiel verdeutlicht die Relevanz und Systematik von Leitlinien. Statements mit einem hohen Level of evidence haben Einfluss auf die ärztliche Verschreibungspraxis sowie letztlich auf den Stellenschlüssel und sind eine wichtige Entwicklung innerhalb des Berufsstands. Über die Stellenschaffung für Reina Tholen ermöglichte der ZVK deren systematische Literaturrecherche für die Leitlinien in Zusammenarbeit mit der zuständigen Physiotherapeutin.

Clinical Reasoning als Modell für strukturierte Therapieplanung unter Mithilfe standardisierter Tests läutete den 2. Tag ein. Die Grundlage erfolgreicher Physiotherapie ist eine Evaluation mit Effektivitätsnachweis. Ulla Henscher erläuterte 20 verschiedene anerkannte Testverfahren in der Physiotherapie und regte die Teilnehmer an, diese Assessments umzusetzen, um damit ihre Behandlung konkret überprüfbar zu machen.

Hannelore Ruppert stellte die Aktivierung von Schwangeren und Wöchnerinnen in den Mittelpunkt ihres praxisbezogenen Vortrags über peripartale Physiotherapie. Sie erläuterte, wie die Physiotherapie sensibel in das Geschehen rund um die Geburt eingefügt werden kann. So kann mit Beckenbodentraining schon während der Schwangerschaft einer Inkontinenz vor und nach der Geburt vorgebeugt werden.

Christiane Rothe beschrieb in ihrem Vortrag die Vorteile einer präoperativ eingesetzten behutsamen „Ansprache“ des Beckenbodens. Zum Erhalten der kortikalen Ansteuerung dieser Region ist es notwendig, bereits in den ersten postoperativen Tagen tätig zu werden. Schmerzen führen zu einer Inhibition dieser Muskulatur und damit zu Atrophie. Dagegen helfen behutsame Bewegungsaufträge in Abhängigkeit von der Wundheilung. Atemarbeit, Normalisierung der Blasen- und Darmfunktion sowie beckenbodenentlastendes Alltagsverhalten gehören zwingend in die frühe postoperative Physiotherapie.

Astrid Landmesser erläuterte in ihrem bildhaften Vortrag, dass Sexualität ein Thema in jeder Altersgruppe ist. Informationen über die Physiologie von Erektion, Ejakulation und Orgasmus können Störungen wie vorzeitige Ejakulation, erektile Dysfunktionen oder Dyspareunie vermindern. Ein Ansatz für die erfolgreiche Therapie ist die funktionelle Beckenbodenarbeit bei spezialisierten Physiotherapeuten.

Der Themenabschnitt Stimme und Beckenboden nach der Mittagspause begann mit dem Referat von Dr. Davids (HNO-Facharzt) über den Zusammenhang von Stimmbildung und Atmung. Er stellte Operationsverfahren bei Stimmproblemen vor, deren Erfolg durch Audioaufnahmen im Vorher-nachher-Vergleich transparent wurde.

Der Logopäde Jörg de Boer behauptete in seinem Vortrag über Stimmhygiene in Sprechberufen, Räuspern und Flüstern sei verboten, da beides die Stimme unnötig belastet. Zur Schonung der Stimme eigne sich Schweigen besser. Menschen in Berufen mit hohem Sprechaufkommen sind einem großen Risiko ausgesetzt, eine Stimmstörung zu erleiden. Deshalb ist ein Verständnis für das Zusammenspiel von Atmung, Aufrichtung, Tonus, Intention und innerer Befindlichkeit wichtig, um pathologische Entwicklungen zu verhindern.

Intensiver Austausch unter den Teilnehmern in den Pausen, Diskussionen zu den Vorträgen und Wünsche für die nächste Veranstaltung rundeten die erfolgreiche Tagung ab.