Der Klinikarzt 2011; 40(12): 544-545
DOI: 10.1055/s-0031-1299637
Medizin & Management
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Gesundheitsfonds und Krankenkassen haben jetzt schon Milliardenüberschüsse

Interview mit Dr. Rudolf Kösters, scheidender Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft
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Publikationsdatum:
27. Dezember 2011 (online)

 
Zum 12. Mal fand vom 16. bis 19. November 2011 in Düsseldorf, parallel zur Medizinmesse MEDICA, der 34. Deutsche Krankenhaustag statt. "Versorgung verbessern – Barrieren abbauen!" hieß das Motto der gemeinsamen Tagung der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), des Verbandes der Leitenden Krankenhausärzte Deutschlands (VLK), des Verbandes der Krankenhausdirektoren Deutschlands (VKD) sowie der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schwesternverbände und Pflegorganisationen (ADS) und dem Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBFK). Für Dr. Rudolf Kösters war es der letzte Krankenhaustag, den er als amtierender Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft mitgestaltete. Nach zwei Amtsperioden (2006–2011) gibt der langjährigen Vorstandvorsitzenden der St. Franziskus-Stiftung Münster das Ehrenamt zum 1. Januar 2012 an den bisherigen DKG-Vizepräsident Alfred Dänzer ab.

? Herr Dr. Kösters, das Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VstG) ist – wenn auch mit Verspätung – Anfang Dezember vom Bundestag verabschiedet worden. Es ist das erste Gesetz, das Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) zu verantworten hat. Wie wichtig ist es für Sie?

Dr. Rudolf Kösters: Es war ein mehr als überfälliges Gesetz! Die Entwicklung der ambulanten Versorgung – gerade was die Versorgung der ländlichen Räume angeht - ist tatsächlich besorgniserregend und darum musste ein solches Gesetz kommen.

? Einerseits sieht die DKG in dem Gesetz zwar Potenzial für die Krankenhäuser, andererseits wurde aber auf dem Deutschen Krankenhaustag wieder geklagt. Was stört Sie an dem Gesetz?

Dr. Rudolf Kösters: Es ist nicht ausreichend, weil es den Fokus fast ausschließlich auf den ambulanten Sektor setzt. Nehmen Sie den Ärztemangel! Der beginnt in den Krankenhäusern; da haben wir im Augenblick 6000 bis 10 000 offene Stellen. Im Gesetzesentwurf sind leider keine diesbezüglichen Verbesserungen zum stationären Bereich zu finden.

? Das klingt ein bisschen nach Neiddiskussion; nach Eifersüchteleien zwischen Krankenhaus und niedergelassenem Bereich.

Dr. Rudolf Kösters: Wir gönnen den Niedergelassenen voll und ganz, was ihnen durch diese Gesetzgebung gerade auch im Hinblick auf eine Verbesserung der Versorgung im ländlichen Raum nun zuwächst. Viele Maßnahmen, wie die Flexibilisierung der Bedarfsplanung oder die Aufgabe der Residenzpflicht usw., sind überfällig und werden von uns unterstützt. Aber für die Krankenhäuser sind im Detail noch Korrekturen erforderlich.

? Meinen Sie damit das Thema Finanzierung? Der Ruf nach mehr Geld ist bei allen Beteiligten im Gesundheitssystem obligatorisch. Warum sollte der Gesetzgeber gerade die Finanzierungslücke der Krankenhäuser mit diesem neuen Gesetz schließen?

Dr. Rudolf Kösters: Die Finanzsituation der Krankenhäuser ist in dem Gesetzesentwurf ja überhaupt kein Thema und das kann nicht sein. Die Krankenhäuser erwarten 2012 einen Kostenschub von bis zu fünf Prozent. Auf der Einnahmeseite haben wir aber nur Budgetzuwächse von unter einem Prozent. Die Kliniken haben 2011 zur Sanierung des GKV-Systems eine halbe Milliarde Euro beigetragen. Weitere 600 Millionen Kürzungen zu Lasten der Krankenhäuser sind nach dem GKV- Finanzierungsgesetz für 2012 vorgesehen.

? Diese Kürzungen sind der Beitrag der Krankenhäuser im GKV-Finanzierungsgesetz, das die GKV sanieren soll und jetzt seit einem Jahr greift. Was hat sich in dem einen Jahr geändert, dass man die Krankenhäuser aus der Pflicht nehmen könnte?

Dr. Rudolf Kösters: Damals war die GKV mit einem Defizit von 8 Milliarden in einer großen Schieflage. Das ist ausgebügelt! Das erwartete Defizit ist ausgeblieben; die GKV steht heute mit einem riesigen Rücklagevolumen von geschätzten 30 bis 34 Milliarden Euro so gut da wie noch nie.
Unter diesen Bedingungen einen einmal gefassten Beschluss zur Sanierung und deswegen auch zum Sparen in den Krankenhäusern weiter durchzuziehen – das halten wir für völlig verfehlt. Ich warne die Politik, diese regelmäßigen Spar-orgien durchzuführen! Das sind fatale Signale u. a. an die jungen Leute, die sich überlegen, ihre berufliche Zukunft im Krankenhaus zu finden.

? Wo gibt es im Gesetz aus Ihrer Sicht Nachbesserungsbedarf für die Krankenhäuser?

Dr. Rudolf Kösters: Zum Beispiel beim § 116 b SGBV, der spezialfachärztlichen Versorgung. Wenn auch anzuerkennen ist, dass bzgl. der spezialfachärztlichen Versorgung das Zulassungsverfahren nach dem Grundsatz "wer kann, der darf" rechtssicher ohne politische und berufsständische Blockierungsmöglichkeiten ausgestaltet worden ist, so bleibt doch scharf zu kritisieren, dass das mögliche Leistungsspektrum dieses Versorgungsbereiches erheblich eingeschränkt werden soll.
Nur noch Krankheiten mit besonders schwerwiegenden Verläufen sollen – nach Maßgabe des GBA – Gegenstand dieses Versorgungsbereiches sein. Außerdem wird eine schlecht durchdachte Regelung zur vor- und nachstationären Versorgung eingeführt, die anrüchigen Kick-back-Strategien Vorschub leistet.
Eine längst überfällige Klarstellung zur Leistungserbringung von Honorarärzten in Krankenhäusern ist dagegen unverständlicher Weise letztlich unterblieben.
Unverständlich ist auch die völlige Unsensibilität der Koalition gegenüber dem Ärztemangel in Krankenhäusern. Hier gibt es keinerlei Hilfen, z. B. den Weiterbildungsort Krankenhaus für junge Ärztinnen und Ärzte attraktiver zu machen. Aber das Sparprogramm zugunsten der Kassen wird in den Krankenhäusern fortgeführt! Auch sind mögliche Tarifhilfen ("nach Prüfung") auf das nächste Jahr verschoben worden – mit großer Skepsis unsererseits!

? Ist Ihnen das Gesetz innovationsfreundlich genug?

Dr. Rudolf Kösters: Ich denke, dass die deutschen Krankenhäuser mit den diesbezüglichen Regelungen, die eingeführt worden sind, leben können. Der sogenannte Verbotsvorbehalt ist letztlich nicht angetastet worden.

? Herr Dr. Kösters, Ende des Jahres werden Sie das Präsidentenamt nach zwei Amtsperioden abgeben. In Ihrer Amtszeit haben die Gesundheitsminister mehrfach gewechselt. Wenn Sie zurückblicken: Mit welchem Minister oder Ministerin war es am schwierigsten?

Dr. Rudolf Kösters: Man muss die Minister so nehmen wie sie kommen. Horst Seehofer und Ulla Schmidt haben die Gesundheitspolitik der letzten 20 Jahre geprägt. Sie haben die pauschalierende Krankenhausfinanzierung auf den Weg gebracht. Frau Schmidts Leistung ist vielfach unberechtigterweise herabgesetzt worden. Sie war besser als von Interessierten behauptet. Sie hat u. a. die Integrierte Versorgung, die Spezialärztliche Versorgung, das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz und die MVZ’s auf den Weg gebracht. Echte Reformen, die im Prinzip auch die Gesetzgebung dieser Koalition überdauert haben. Bei der Zentralisierung hat sie wohl überzogen und den Ärztemangel hat sie zu lange übersehen.

? Auf die beiden FDP-Gesundheitsminister Philipp Rössler und Daniel Bahr haben Sie viel Hoffnung gesetzt. Wurden die erfüllt?

Dr. Rudolf Kösters: Nur zum Teil. Aus dem Versorgungsstrukturgesetz ist im Gesetzgebungsverfahren mehr und mehr ein Vertragsarztversorgungsgesetz geworden. Die vielfältigen Nöte der Krankenhäuser wurden nicht aufgegriffen.

? Ihr Nachfolger, Alfred Dänzer, ist ein erfahrener "Hase", wenn es um die Belange von Krankenhäusern geht. Was glauben Sie, wird seine schwierigste oder auch wichtigste Aufgabe in der nächsten Amtsperiode sein?

Dr. Rudolf Kösters: Die Themen sind seit längerem bekannt: Große Sorgen bestehen, ob auch in Zukunft ausreichend viele qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Versorgung der steigenden Zahl der Patienten zur Verfügung stehen werden. Hier muss in vielfältiger Weise gegengesteuert werden. Dazu gehört auch die ausreichende Finanzierung des stationären Sektors. Es ist völlig verfehlt, wenn Krankenhäuser nur noch wirtschaftlich über die Runden kommen können, wenn sie von Jahr zu Jahr mehr Patienten behandeln, ansonsten ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nicht ordentlich bezahlen können. Auch das Thema Abbau der Sektorengrenzen ist weiter auf der Tagesordnung.

? Sie sind einstimmig zum Ehrenpräsidenten gewählt worden. Ist das nur Ehre, oder mischt man doch noch weiter mit?

Dr. Rudolf Kösters: Ich kann mir nicht vorstellen, dass meine Expertise zukünftig nicht mehr gefragt sein wird.

Das Interview führte Anne Marie Feldkamp, Bochum