Arzneimittelforschung 2011; 61(11): 647-649
DOI: 10.1055/s-0031-1300573
PMS-Symposium Innovative Therapies in Palliative Care
Editio Cantor Verlag Aulendorf (Germany)

Aktueller Stand und Perspektiven der Schmerzmitteltherapie

Edgar Stemmler
1   Medical and Scientific Relation – Pain, Pfizer Pharma GmbH, Berlin
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
06. Februar 2012 (online)

Bei der Behandlung von Schmerzpatienten ist die prinzipielle Unterscheidung zwischen nozizeptiven und neuropathischen Schmerzen von großer Bedeutung, da oft nur bei Kenntnis des zugrundeliegenden Mechanismus der Schmerzentstehung die geeignete analgetische Therapieoption sicher ausgewählt werden kann.

Nach aktueller Auffassung entstehen nozizeptive Schmerzen durch die Reizung von sog. Nozizeptoren. Diese im Gegensatz zu den Rezeptoren der taktilen Oberflächensensorik erheblich filigraneren und vor allem nicht korpuskulären Nervenendigungen von A-deltaund C-Fasern sind durch Noxen verschiedener Qualitäten (mechanisch, metabolisch, thermisch, chemisch, etc.) innerhalb sehr kurzer Zeitfenster stimulierbar und stellen unter physiologischen Normalbedingungen das morphologische Korrelat einer intakten Schutzfunktion des Körpers vor einer potenziellen Gewebeschädigung dar. Die funktionale Reizung der Nozizeptoren basiert auf einer dezidiert abgestimmten Stimulation spezifischer Rezeptoren auf der Nozizeptor-Oberfläche, wobei beispielsweise die infolge einer Gewebeläsion freigesetzten algogenen Mediatoren wie Protonen, Kalium-Ionen, ATP, Serotonin und Bradykinin eine unterschiedlich starke exzitatorische Wirkung auf den Nozizeptor ausüben. Wird das Schmerz- und Entzündungsgeschehen in der Anfangsphase noch durch ein vergleichsweise kleines Spektrum an algogenen Substanzen definiert, so ist die persistierende bzw. chronische Schmerzsituation durch einen erheblich erweiterten „Cocktail” von Schmerzmediatoren gekennzeichnet [1].

Innerhalb dieser Szenarien nimmt die Substanzklasse der Prostaglandine eine besondere Funktion ein, da diese Gewebshormone nicht nur eine direkt erregende Funktion auf den Nozizeptor ausüben, sondern darüber hinaus auch seine Erregungsschwelle erheblich senken können. Vor diesem Hintergrund eröffnet die Inhibierung der Prostaglandin-Synthese mit nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) prinzipiell die Möglichkeit, über die pharmakologische Intervention eine analgetische, antiphlogistische sowie eine antipyretische Wirkung zu erzielen [2]. NSAR inhibieren dabei jedoch als sog. duale Cyclooxygenase-Inhibitoren beide Schlüsselenzyme (COX-1 und -2) der Prostaglandin-Synthese. Wenn es unter dem Einfluss proinflammatorischer Cytokine sowohl in entzündlich verändertem Gewebe wie auch indirekt reguliert im Rückenmark zu einer gesteigerten COX-2-Expression und hierüber zu vermehrtem Anfluten COX-2-abhängiger Prostglandine kommt, wird deren Synthese unter NSAR-Einwirkung gehemmt und auf diese Weise die analgetische und antiphlogistische Wirkung erreicht. Dagegen besitzen die COX-1-abhängig gebildeten Prostglandine sowie Thromboxane und auch Leukotriene eine entscheidende Bedeutung für homöostatische Funktionen u. a. innerhalb des Gastrointestinaltrakts, des Gefäßsystems, des kardiorenalen Systems sowie für Thrombozyten. Entsprechend kann die unter NSAR-Therapie ebenfalls erfolgende COX-1-Inhibierung u. a. zu schwerwiegenden gastrointestinalen Nebenwirkungen, Dysfunktionen innerhalb des Herz-Kreislauf-Systems und der Lunge sowie zu erhöhter Blutungsneigung führen.

Das NSAR-typische Nebenwirkungsprofil bildete die Grundlage für die Entwicklung von COX-2-Inhibitoren, die über eine möglichst spezifische Inhibierung der COX-2 die proinflammatorische Prostaglandin-Synthese hemmen und so bei äquivalenter therapeutischer Wirksamkeit die typische NSAR-Nebenwirkungslast reduzieren sollten. Verglichen mit NSAR führt die Therapie unter sog. Coxiben nachweislich zu einer deutlich geringeren Inzidenz insbesondere von gastrointestinalen Nebenwirkungen. Infolge zunehmender Erkenntnisse musste die ursprünglich getroffene, einfache Unterscheidung in „gute” COX-1 und „böse” COX-2 jedoch zugunsten einer differenzierteren Betrachtung erweitert werden [2]. So finden sich u. a. in den Gefäßen und in der Niere sowohl konstitutiv exprimierte wie auch unter physiologischer Stimulation induzierbare Anteile der COX-2, deren Inhibierung auch unter Coxiben zu entsprechenden Nebenwirkungen führen kann.

Bleiben die Schmerzen unter der Cyclooxygenase-Inhibierung bestehen oder werden sie stärker, so werden die zentralnervöse Verarbeitung der Schmerzreize („pain processing”) sowie Vorgänge zur Beeinflussung ihrer kortikalen Abbildung („no pain without brain”) zunehmend zum Ziel analgetischer Therapieoptionen. In Anlehnung an körpereigene Prozesse zur Schmerzhemmung („endogene Antinozizeption”), deren primäre Aufgabe in der Erschwerung der synaptischen Verarbeitung von Schmerzimpulsen liegt, nehmen hier zunächst die Opiate (Alkaloide des Opiums, z. B. Morphin und Codein) bzw. Opioide (synthetische Derivate der Opiate) eine wichtige Funktion ein [3]. Nach dem Vorbild endogener Opioidpetide (u. a. endogene Morphine, Dynorphine, Enkephaline) binden auch therapeutisch eingesetzte Opiate bzw. Opioide an Opioid-Rezeptoren, die in unterschiedlicher Dichte und in Form diverser Subtypen (µ, δ, κ, etc.) innerhalb des zentralen (Limbisches System, Medulla oblongata, Dorsalhorn, etc.) aber auch des peripheren Nervensystems vorkommen. Dabei bewirkt die Bindung an präsynaptisch lokalisierte Opioid-Rezeptoren über eine Reduktion des Einstroms von Calcium-Ionen prinzipiell eine Freisetzungshemmung von exzitatorischen Neurotransmittern, wohingegen die Bindung an postsynaptischen Rezeptoren zu einer Steigerung des Einstroms von Kalium-Ionen und hierdurch zu einer Hyperpolarsierung der Neurone führt. Auf der Basis dieser zellulären Prozesse werden durch Bindung an Opioid-Rezeptoren neben der erwünschten Analgesie auch Effekte wie Atemdepression, Obstipation, Sedierung, Bradykardie, aber auch Miosis und Euphorie bzw. Dysphorie bewirkt, die insgesamt das typische Nebenwirkungsspektrum der Opioide ausmachen [4].

Neben den typischen, vorrangig opioiderg wirkenden Analgetika sind darüber hinaus auch Therapieoptionen verfügbar, die zusätzlich eine Wiederaufnahme-Inhibierung von Serotonin und Noradrenalin bewirken [5]. Seit kurzem ist zudem für die Behandlung starker Schmerzen auch die Kombination einer opioidergen Wirkkomponente mit einer exklusiv nur das noradrenerge Wiederaufnahmesystem beeinflussenden Therapieoption ebenfalls in einem Molekül verfügbar [6].

Eine besondere Herausforderung im Bereich der Schmerztherapie stellt die Behandlung neuropathischer Schmerzen dar. Im Gegensatz zu nozizeptiven Schmerzen entstehen neuropathische Schmerzen auf der Grundlage einer Läsion oder Krankheit innerhalb des so-matosensorischen Systems mit der Konsequenz der Entwicklung einer sog. neuronalen Dysfunktion [7]. Infolge der funktionalen und morphologischen Reorganisation wird das somatosensorische System insgesamt in ein Stadium der neuronalen Hyperexzitabilität getrieben, wobei auf der Basis ektoper Impulsbildung spontane Schmerzen wie brennender Dauerschmerz, aber auch stechende bzw. einschießende Schmerzattacken entstehen. Darüber hinaus sind als weitere Kardinalsymptome sog. evozierbare Schmerzsensationen wie Allodynie (nicht schmerzhafte mechanische bzw. Kälteoder Wärme-Reize führen zu Schmerzsensationen) und Hyperalgesie (geringfügiger mechanischer bzw. Kälteoder Hitze-Schmerz löst einen intensiven Schmerz aus) von hoher diagnostischer Bedeutung. Neben diesen sog. positiv-sensorischen Symptomen können jedoch auch nicht schmerzhafte negativ-sensorische Symptome wie Taubheitsgefühl oder eine reduzierte Temperatur-Empfindungsfähigkeit (Hypästhesie bzw. Thermhypästhesie), eine reduzierte Schmerzempfindung (Hypalgesie) oder auch ein reduziertes Vibrationsempfinden (Pallhypästhesie) auftreten [8].

Hinsichtlich der medikamentösen Behandlung neuropathischer Schmerzen haben NSAR bzw. Cyclooxy-genase-beeinflussende Therapieoptionen bei kritischer Betrachtung der wenigen kontrollierten Studien keine überzeugende Wirksamkeit gezeigt und sind auch im klinischen Alltag wenig effektiv [9]. Daher werden für die pharmakologische Behandlung neuropathischer Schmerzsyndrome unabhängig von der Ätiologie der Grunderkrankung trizyklische Antidepressiva, aber auch modernere, spezifisch wirkende Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmeinhibitoren (SNRI), Antikonvulsiva mit modulierender Wirkung auf Natrium-Kanäle bzw. Calcium-Kanäle, sowie langwirksame Opiode empfohlen.

Trizyklische Antidepressiva wie auch die moderneren SNRI bewirken vorrangig eine Inhibierung der Wiederaufnahme von Serotonin und Noradrenalin, wodurch nach aktueller Vorstellung neben der antidepressiven Wirkung vor allem auch die serotonerge bzw. noradrenerge Neurotransmission des deszendierenden antinozizeptiven Systems unterstützt werden sollen [4]. Die im Rahmen der Neuropathie-typischen neuronalen Hyperexzitabilität auftretende gesteigerte Reizleitung lässt sich darüber hinaus durch Modulation von nozizeptiv bedeutsamen Ionen-Kanälen beeinflussen. So wirken zahlreiche herkömmliche Antikonvulsiva dämpfend auf spannungsabhängige Natrium-Kanäle und verringern so die Fähigkeit der Neurone, Salven hochfrequenter Aktionspotentiale weiterzuleiten, wodurch letztendlich neben der antikonvulsiven Wirkung auch ein analgetischer Effekt bei bestimmten neuropathischen Schmerzen erreicht werden kann.

Auch durch den Einsatz von Lokalanästhetika lässt sich über die Blockade von spannungsabhängigen Natrium-Kanälen eine Inhibierung des schnellen Einstroms von Natrium-Ionen erreichen und so die Weiterleitung nozizeptiver Impulse letztendlich reduzieren [10].

Darüber hinaus wurde im Rahmen klinischer Neuentwicklungen die Möglichkeit zur therapeutischen Beeinflussung spezifischer Ionenkanäle kürzlich um eine topische Therapieoption ergänzt, wobei durch den Einsatz von Capsaicin als Pflasterformulierung die Aktivität des TRPV1- Ionenkanals (TRPV: Transient Receptor Potential Vanilloid) langfristig gemindert und so ein analgetischer Effekt insbesondere zur Behandlung peripherer neuropathischer Schmerzen erreicht werden kann [11].

Wie in experimentellen Untersuchungen gezeigt werden konnte, geht mit der Entwicklung neuropathischer Schmerzen oft auch die Hochregulation spannungsabhängiger Calcium-Kanäle einher, wobei der durch die höhere Kanaldichte ermöglichte gesteigerte Einstrom von Calcium-Ionen zur vermehrten Freisetzung erregender Neurotransmitter führt [12]. Durch Bindung an die regulatorische Untereinheit dieser Calcium-Kanäle wirken bestimmte moderne Antikonvulsiva modulierend auf den Einstrom von Calcium-Ionen und führen hierüber zu einer Reduktion in der Freisetzung exzitatorischer Neurotransmitter. Dieser Effekt wird derzeit nicht nur als Grundlage der antikonvulsiven Wirkung, sondern neben der analgetischen Wirkung bei neuropathischen Schmerzen auch als Basis für die klinisch nachgewiesene Anxiolyse diskutiert [13].

In Analogie zu diesem Wirkprinzip steht anstatt einer modulatorischen Beeinflussung auch die Blockade eines alternativen, ebenfalls spannungsabhängigen Calcium-Kanal-Subtyps zur Verfügung; die Applikation der betreffenden Therapieoption erfolgt für die Behandlung starker Schmerzen jedoch derzeit ausschließlich intrathekal [14].

 
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