Arzneimittelforschung 2011; 61(11): 659-660
DOI: 10.1055/s-0031-1300578
PMS-Symposium Innovative Therapies in Palliative Care
Editio Cantor Verlag Aulendorf (Germany)

IV. Symptomkontrolle (II)

State of the art in der Therapie der Atemnot
Steffen Simon
1   Zentrum für Palliativmedizin und Klinisches Studienzentrum Palliativmedizin, Uniklinik Köln
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
06. Februar 2012 (online)

Atemnot ist ein häufiges Symptom bei Patienten mit einer lebenslimitierenden Erkrankung. In einer Analyse von 5320 Patienten der stationären Palliativversorgung in Deutschland zeigt sich, dass 53,8% der Patienten über Atemnot klagen [1]. Die Prävalenz und Schwere von Atemnot nimmt im Verlauf der Erkrankung zu [2].

Die weit verbreitete und anerkannte Definition des Symptoms Atemnot stammt von der American Thoracic Society: „A subjective experience of breathing discomfort that consists of qualitatively distinct sensations that vary in intensity. The experience derives from interactions among multiple physiological, psychological, social, and environmental factors, and may induce secondary physiological and behavioural responses.” [3]. Pathophysiologisch ist die Entstehung der Wahrnehmung Atemnot nur sehr unzureichend verstanden, was die Entwicklung neuerer Therapien erschwert. Neuere Untersuchungen zeigen eine enge Beziehung zum limbischen System, was die Bedeutung der emotionalen Komponente erklären kann [4]. Atemnot ist ein sehr komplexes und belastendes Symptom. Patienten, aber auch Angehörige fühlen sich im täglichen Leben stark beeinträchtigt und in ihren Handlungen und Mobilität sehr stark einschränkt. Es ist ein beängstigendes Symptom, insbesondere bei einer akuten Verschlechterung, und verursacht dadurch häufig Todesangst [5]. Patienten beschreiben (a) eine kontinuierliche Atemnot und/oder (b) Atemnotepisoden/-attacken, die nur für eine kurze Zeit anhalten [6]. Atemnotattacken werden von einer Mehrheit der Patienten beschrieben (81% bei Krebspatienten). Diese treten vor allem unter Belastung auf, sind von kurzer Dauer (in der Mehrheit weniger als 10 min), treten täglich auf und werden als bedrohlich empfunden [6].

Vor der Einleitung einer symptomatischen Therapie sollte mittels Anamnese, körperlicher Untersuchung und angemessener Diagnostik eine behandelbare Ursache abgeklärt und wenn möglich behandelt werden, z. B. ein Pleuraerguss, eine Anämie oder eine Atemwegsobstruktion.

Auch wenn eine Vielzahl an Maßnahmen zur Linderung von Atemnot in der täglichen Praxis eingesetzt wird, so liegt doch nur für wenige Therapien eine ausreichende Evidenz vor. Immer wieder kann Atemnot nur unzureichend gelindert werden, und es sind in den kommenden Jahren deutlich mehr Forschungsanstrengungen notwendig, um neue und wirksame Therapieoptionen zu entwickeln.

Die symptomatische Therapie der Atemnot umfasst Allgemeinmaßnahmen, nicht-medikamentöse Verfahren und medikamentöse Optionen. Bei den Allgemeinmaßnahmen ist es wichtig, den Patienten und seine Angehörigen ausführlich über das Symptom, potenzielle Notfälle (Atemnotattacke) und effektive Eigenmaßnahmen aufzuklären. Ein Notfallplan kann hierbei sehr hilfreich sein, v.a. auch für Angehörige. Beruhigende Maßnahmen sind vor allem in akuten Atemnotfällen wichtig, z.B. gemeinsames und ruhiges Atmen, Entspannungsübungen oder beruhigende Musik. Zudem empfinden viele atemnötige Patienten einen Luftzug im Gesicht als angenehm, welcher z. B. durch ein offenes Fenster oder eine offene Tür hergestellt werden kann.

Zusätzlich zu den Allgemeinmaßnahmen sind verschiedene nicht-medikamentöse Verfahren als wirksam eingestuft worden, die in einer systematischen Literaturübersicht der Cochrane Collaboration zusammengetragen wurde [7]. Ventilatoren, die als Hand-, Tisch- oder Standventilatoren einsetzbar sind, zeigen eine effektive Linderung der Atemnot. Insbesondere die Handventilatoren sind empfehlenswert, da sie kostengünstig, transportabel und effektiv sind. Die Verwendung eines Rollators, eines Stockes oder von Halterungen an der Wand zur Unterstützung beim Laufen stellen weitere, effektive Maßnahmen dar. Die Behandlung der Atemnot ist zudem eine Domäne der Physiotherapie, die mittels Atemtraining und einer allgemeinen Mobilisation wirksam zu einer Linderung beitragen kann. Eine bisher wenig bekannte Therapieoption ist die Neuromuskuläre Elektrische Stimulation (NMES) der Oberschenkelmuskulatur, die in mehreren kontrollierten Studien eine gute Wirksamkeit zur Atemnotlinderung gezeigt hat. Die Stimulation führt zu einem verbesserten Muskelaufbau, der wiederum zu einer Linderung der Atemnot führt. Weitere Optionen sind die pulmonale Rehabilitation bei COPD-Patienten und die Implementierung eines Atemnotservice, welcher alle potenziellen Maßnahmen, die hier genannt werden, gemeinsam und individuell auf den Patienten abstimmen [8].

Es gibt verschiedene medikamentöse Therapieoptionen, die in der palliativmedizinischen Praxis eingesetzt werden, allerdings liegt nur für die Gruppe der Opioide eine Evidenz aus kontrollierten Studien vor. Opioide (z. B. Morphin) zeigen in Studien wiederholt eine gute Wirksamkeit in der Linderung von Atemnot bei Patienten mit einer malignen (z.B. Lungenkarzinom) oder nicht-malignen Grunderkrankung (z.B. COPD), wenn sie als orale oder parenterale (aber nicht als inhalative) Applikation verabreicht werden [9] [10]. Insbesondere im Vergleich zum Einsatz bei Schmerzen werden bei der Linderung von Atemnot häufig geringere Dosen benötigt, so dass mit einer niedrigen Dosis begonnen werden sollte, v. a. bei Patienten mit einer nicht-malignen Grunderkrankung. Für die schnellwirksamen und hochpotenten Fentanyle gibt es aktuell noch keinen Wirksamkeitsnachweis. Eine Atemdepression muss bei einer sachgerechten Anwendung nicht befürchtet werden, was alle Studien bisher gezeigt haben. Neben Opioiden werden häufig Benzodiazepine eingesetzt, für die allerdings in mehreren kontrollierten Studien keine Wirksamkeit in der Linderung der Atemnotintensität nachgewiesen werden konnte [11]. Möglicherweise sind sie aber dennoch indiziert zur Unterstützung eines besseren Umgangs mit der Atemnot (sog. coping), ebenso beim Vorliegen einer zusätzlichen Angstkomponente und bei der Atemnot in der Sterbephase. Die Gabe von Sauerstoff erscheint zwar intuitiv als sinnvoll, hat sich aber in mehreren kontrollierten Studien als nicht überlegen gegenüber Raumluft erwiesen [12] [13] [14]. Sauerstoff wird somit nur nach einer Einzelfallprüfung empfohlen und ist eher selten indiziert, da das Nebenwirkunsgprofil schlechter ist als z. B. beim Einsatz von Ventilatoren. Weitere medikamentöse Therapieoptionen, wie Neuroleptika, inhalatives Furosemid oder Antidepressiva, sind weiterhin ohne Evidenz aus kontrollierten Studien.

Die aktuelle Forschung im Bereich Atemnot umfasst zum einen pathophysiologische Fragestellungen (insbesondere Forschung mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) mit Fokus auf das limbische System) und zum anderen die (Weiter-)Entwicklung neuer Therapieansätze. Aktuell laufen klinische Studien zu Antidepressiva, Fentanyl und der komplexen Intervention mittels eines Atemnotservice zur Linderung von Atemnot und für einen besseren Umgang der Patienten und Angehörigen mit diesem belastenden Symptom.

 
  • Literatur

  • 1 Altfelder N, Nauck F, Alt-Epping B, Bausewein C, Simon ST. Characteristics of patients with breathlessness: a German national survey on palliative care in-patient units. Palliat Med. 2010; 24: S37
  • 2 Bausewein C, Booth S, Gysels M, Kuehnbach R, Haberland B, Higginson IJ. Individual breathlessness trajectories do not match summary trajectories in advanced cancer and chronic obstructive pulmonary disease: results from a longitudinal study. Palliat Med. 2010; 24 (8) 777-86
  • 3 American Thoracic Society. Dyspnea. Mechanisms, assessment, and management: a consensus statement. American Thoracic Society. Am J Respir Crit Care Med. 1999; 159 (1) 321-40
  • 4 von LA, Vovk A, Bradley MM, Keil A, Lang PJ, Davenport PW. The impact of emotion on respiratory-related evoked potentials. Psychophysiology. 2010; 47 (3) 579-86
  • 5 Gysels M, Bausewein C, Higginson IJ. Experiences of breathlessness: a systematic review of the qualitative literature. Palliat Support Care. 2007; 5 (3) 281-302
  • 6 Reddy SK, Parsons HA, Elsayem A, Palmer JL, Bruera E. Characteristics and correlates of dyspnea in patients with advanced cancer. J Palliat Med. 2009; (l) 29-36
  • 7 Bausewein C, Booth S, Gysels M, Higginson IJ. Non-pharmacological interventions for breathlessness in advanced stages of malignant and non-malignant diseases. Cochrane Database Syst Rev 2008;
  • 8 Booth S, Moffat C, Farquhar M, Higginson IJ, Burkin J. Developing a breathlessness intervention service for patients with palliative and supportive care needs, irrespective of diagnosis. J Palliat Care. 2011; 27 (l) 28-36
  • 9 Jennings AL, Davies AN, Higgins JP, Broadley K. Opioids for the palliation of breathlessness in terminal illness. Cochrane Database Syst Rev 2001;
  • 10 Abernethy AP, Currow DC, Frith P, Fazekas BS, McHugh A, Bui C. Randomised, double blind, placebo controlled crossover trial of sustained release morphine for the management of refractory dyspnoea. Br Med J. 2003; 327 (7414) 523-8
  • 11 Simon ST, Higginson IJ, Booth S, Harding R, Bausewein C. Benzodiazepines for the relief of breathlessness in advanced malignant and non-malignant diseases in adults. Cochrane Database Syst Rev 2010;
  • 12 Abernethy AP, McDonald CF, Frith PA, Clark K, Herndon JE, Marcello J et al. Effect of palliative oxygen versus room air in relief of breathlessness in patients with refractory dyspnoea: a double-blind, randomised controlled trial. Lancet. 2010; 376 (9743) 784-93
  • 13 Cranston JM, Crockett A, Currow D. Oxygen therapy for dyspnoea in adults. Cochrane Database Syst Rev 2008;
  • 14 Uronis H, McCrory DC, Samsa G, Currow D, Abernethy A. Symptomatic oxygen for non-hypoxaemic chronic obstructive pulmonary disease. Cochrane Database Syst Rev 2011;