Arzneimittelforschung 2011; 61(11): 661-662
DOI: 10.1055/s-0031-1300579
PMS-Symposium Innovative Therapies in Palliative Care
Editio Cantor Verlag Aulendorf (Germany)

Neues in der Therapie des Delirs

Johanna Anneser
1   Palliativmedizinischer Dienst, Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München
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Publication Date:
06 February 2012 (online)

Bis zu 90% der Palliativpatienten entwickeln in den letzten Lebenstagen ein Delir. Das terminale Delir bei Pal-liativpatienten ist einer der größten Stressoren für Patienten, Angehörige und das Behandlungsteam (Bruera et al. 2009). Es ist zudem die häufigste Ursache dafür, dass eine häusliche Pflege bei terminalen Tumorpatienten nicht fortgesetzt werden kann und eine stationäre Einweisung erfolgt (Cobb et al. 2000).

Trotz dieses immensen Einflusses auf die Gestaltung der letzten Lebensphase eines Menschen und die Auswirkungen für die Hinterbliebenen wird das Krankheits-bild oft unzureichend diagnostiziert und behandelt. Studien zeigen, dass bei Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen ein Delir in 22–50% der Fälle nicht entdeckt wird (Centeno et al. 2004).

Ein wesentlicher Grund hierfür liegt offensichtlich am vielfältigen Erscheinungsbild des Delirs: Neben einer hyperaktiven Form mit Agitation und oft auch Aggressivität (2–21%) gibt es die häufig unerkannte hypoaktive Form, die durch Apathie, reduzierte Aufmerksamkeit und psychomotorische Verlangsamung charakterisiert ist (29–43%). Daneben werden auch Mischformen beschrieben (43–54%). Auch eine vorbestehende kognitive Einschränkung oder eine Depression können die Diagnosefindung wesentlich erschweren.

Palliativpatienten weisen oft viele Risikofaktoren auf, die zur Entwicklung eines Delirs führen können. Entsprechend zeigen Studien, dass durchschnittlich zwei oder drei Ursachen für ein Delir zu identifizieren sind (Morita et al 2001, Lawlor et al 2000).

Ein wesentlicher Schwerpunkt der neueren Arbeiten liegt daher auf der Entwicklung von praktikablen Instrumenten zur Diagnosefindung (Wong et al. 2010), aber auch auf der Erprobung von Strategien zur Prophylaxe des Delirs.

Die Erforschung von Ursachen und der zentralnervösen Pathogenese ist ein weiteres wichtiges Themengebiet: Als häufigste Ursachen bei Palliativpatienten werden medikamentöse Ursachen, Störungen des Flüssigkeit- und Elektrolythaushaltes, Infektionen aber auch Obstipation, Hyper- und Hypoglykämie sowie eine unzureichende Schmerztherapie angesehen. Psychosoziale und auch spirituelle Ursachen dürfen hierbei aber nicht übersehen werden. Pathogenetisch scheinen Imbalancen des Neurotransmitterhaushaltes (reduzierte Spiegel von Acetylcholin, Fluktuationen im Serotonin-Haushalt und ein Exzess an Dopamin und Glutamat) eine wesentliche Rolle zu spielen.

Der erste und wichtigste Ansatz zur Therapie ist daher eine kritische Durchsicht der Medikation des Patienten. Die am häufigsten als ursächlich identifizierte Substanzgruppe scheinen hierbei die Opiate zu sein (Morita et al. 2001, Lawlor et al. 2000). Aber auch andere, häufig zur Symptomkontrolle bei Palliativpatienten verwendete Medikamente (z. B. Scpolamin-Pflaster, Metoclopramid, Antidepressiva) können eine wesentliche Ursache sein. Das Auftreten eines Delirs ist mit einer schlechten Prognose bezüglich des Überlebens verbunden. Es ist bei adäquater Behandlung jedoch bei ca. der Hälfte der Palliativpatienten reversibel (Lawlor et al. 2000).

Nichtpharmakologische Maßnahmen bestehen in der Anpassung der Umgebung (ruhig, adäquates Maß an Reizen, Limitierung der Anzahl der Besucher), Erleichterung der Reorientierung (Hörgerät, Brille, Uhr), Instruktion und Aufklärung der Angehörigen und Beschränkung irritierender diagnostischer oder pflegerischer Maßnahmen (z.B. Urinkatheter, Blutdruckmessung) auf ein sinnvolles Maß.

Medikamentös ist die Gabe von hochpotenten Neuro-leptika der Gold-Standard. Haloperidol ist hier nach wie vor das am häufigsten eingesetzte Medikament. Die atypischen Neuroleptika Risperidon, Olanzapin und Quet-iapin zeigen in Studien eine vergleichbare Wirksamkeit (Grover et al. 2011, Devlin et al. 2010) bei tendenziell geringerem Risiko für unerwünschte Nebenwirkungen, wobei bei Quetiapin ein zusätzlicher sedierender Effekt therapeutisch genutzt werden kann. Bislang unzureichende Daten gibt es zum prophylaktischen Einsatz von Psychopharmaka bei Palliativpatienten, zur Wirksamkeit von Cholinesteraseinhibitoren bei deliranten Patienten und zur Bedeutung von Psychostimulantien bei der hypoaktiven Form des Delirs.

In Anbetracht der Häufigkeit des Delirs bei Palliativpatienten und der Relevanz für Patienten, Angehörige und Behandlungsteam erscheinen weitere Anstrengungen zur Erforschung der Ursachen, zur Etablierung von Diagnosestandards und Behandlungsstrategien dringend erforderlich.

 
  • Literatur

  • 1 Bruera E, Bush SH, Wiley J, Paraskevopoulos T et al. Impact of delirium and recall on the level of distress in patients with advanced cancer and their family caregivers. Cancer. 2009; 115: 2004-12
  • 2 Centeno C, Sanz A, Bruera E. Delirium in advanced cancer patients. Palliat Med. 2004; 18: 184-94
  • 3 Cobb JL, Glantz MJ, Nicholas PK et al. Delirium in patients with cancer at the end of life. Cancer Pract. 2000; 8: 172-7
  • 4 Devlin JW, Roberts RJ, Fong JJ et al. Efficacy end safety of quetiapine in critically ill patients with delirium: a prospective, multicenter, randomized, double-blind, placebo-controlled pilot study. Crit Care Med. 2010; 38: 419-27
  • 5 Grover S, Kumar V, Chakrabati S. Comparative efficacy study of haloperidol, olanzapine, and risperidone in delirium. J Psychosom Res. 2011; 71: 277-81
  • 6 Lawlor PG, Gagnon B, Mancini IL et al. Occurrence, causes, and outcome of delirium in patients with advanced cancer. Arch Int Med. 2000; 160: 786-94
  • 7 Morita T, Tei Y, Tsunoda J et al. Underlying pathologies and their associations with clinical features of terminal delirium of cancer patients. J Pain Symptom Manage. 2001; 22: 997-1006
  • 8 Wong CL, Holroyd-Leduc J, Simel DL et al. Does this patient have delirium? Value of bedside instruments. JAMA. 2010; 304: 779-86