Arzneimittelforschung 2010; 60(11): 715-716
DOI: 10.1055/s-0031-1300729
PMS-Symposium: Innovative Therapies in Hepatology
Editio Cantor Verlag Aulendorf (Germany)

Hepatische Enzephalopathie – neue Einblicke in die Zellbiologie und therapeutische Konsequenzen

Dieter Häussinger
Zentrum für Innere Medizin, Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
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Publication Date:
30 December 2011 (online)

Die hepatische Enzephalopathie (HE) ist ein neuropsy-chiatrisches Syndrom, das sich im Gefolge chronischer und akuter Lebererkrankungen entwickeln kann und durch kognitive sowie motorische Defizite unterschiedlicher Schweregrade charakterisiert ist. Die HE ist ein funktionelles Geschehen und daher potentiell reversibel. Nach neueren Erkenntnissen ist die HE bei Zirrhosepatienten Ausdruck eines geringgradigen Gliaödems und einer oxidativ-nitrosativen Stressantwort im Gehirn, welche unter dem Einfluss auslösender Faktoren dekompensieren kann [1] [2] [3]. Solche auslösenden Faktoren enthalten Komponenten wie erhöhte Ammoniakbeladung, inflammatorische Zytokine, Benzodiazepine und Elektrolytveränderungen, welche alle zur Astrozytenschwellung führen, die in einer oxidativ-nitrosativen Stressantwort mündet ([Abb. 1]).

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Abb. 1: Autoamplifikation von Astrozytenschwellung und oxidativ-nitrosativem Stress.

Kalzium- und N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)-Rezeptorabhängige Mechanismen sind an der Auslösung dieser oxidativ-nitrosativen Stressantwort beteiligt, die eine Reihe von Konsequenzen nach sich zieht. So kommt es zur Nitrierung von Tyrosinresten von spezifischen Astrozytenproteinen, wie der Glutaminsynthetase, und von an der Signaltransduktion beteiligten Proteinen. Insbesondere Astrozyten in der Nähe der Blut-Hirn-Schranke weisen hohe Protein-Tyrosin-Nitierungsraten mit potentiellen Konsequenzen für die Funktion der Blut-Hirn-Schranke auf. Die nitrosative Stressantwort führt auch zur Zinkmobilisation, welche zur Aktivierung des Transkriptionsfaktors Sp1 führt und über diesen Weg eine Heraufregulation des peripheren Benzodiazepinrezeptors (PBR) bewirkt. Eine Folge hiervon ist die vermehrte Synthese von Neurosteroiden mit positiver Gamma-Aminobuttersäure-A (GABAA)-Rezeptor modulierender Aktivität. Dies mag den gesteigerten GABAergen Tonus bei Patienten mit HE erklären. Kürzlich gelang der Nachweis, dass der Rezeptor TGR5, der bislang lediglich als Gallensäurerezeptor in peripheren Organen bekannt war, interessanterweise auch in Neuronen und Astrozyten exprimiert wird und durch Neurosteroide in nanomolaren Konzentrationen aktiviert werden kann [4]. Die Aktivierung von TGR5 im Gehirn führt zur vermehrten Bildung von zyklischem Adeno-sinmonophosphat (cAMP), Kalziumsignalen und verstärktem oxidativem Stress. Diese Wirkungen scheinen pathogenetisch relevant, da bei HE dieser Rezeptor stark herabreguliert wird. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die bei hepatischer Enzephalopathie auftretende RNA-Oxidation, insbesondere in Astrozyten und Neuronen. Hiervon ist in den Neuronen auch die in sogenannten RNA-Granula transportierte RNA betroffen, welche an der postsynaptischen Proteinsynthese und damit an Prozessen wie Gedächtnisbildung und synaptischer Plastizität teilhaben [5]. Da RNA-Oxidation zu Störungen der Translationseffizienz und -genauigkeit führt, bietet sich hier eine Erklärung für die bei HE beschriebenen multiplen Veränderungen der Neurotransmitter-Rezeptor-Systeme. Besondere Bedeutung hat der Nachweis, dass RNA-Oxidation, Protein-Tyrosin-Nitrierung und oxidative Stressantworten auch signifikant erhöht im Gehirn von Zirrhosepatienten mit HE zu finden sind, nicht aber im Gehirn von Zirrhosepatienten ohne HE. Damit wurde erstmals der Beweis erbracht, dass die HE beim Menschen mit einer oxidativ-nitrosativen Stressantwort einhergeht [6]. Die genannten Störungen führen zu Veränderungen der synaptischen Plastizität und, wie mittels Magnetenzephalographie gezeigt werden konnte, zu Störungen oszillatorischer Netzwerke im Gehirn und so letztendlich zu den klinischen Symptomen der HE. Das derzeit gültige Modell zur Pathogenese der HE ist in [Abb. 2] gezeigt.

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Abb. 2: Pathogenese der hepatischen Enzephalopathie.

Derzeit setzen Behandlungsmethoden bei HE auf der Ebene der auslösenden Faktoren an; so werden z. B. Infektionen bekämpft, Sedativa abgesetzt und ammoniaksenkende Maßnahmen eingeleitet. Therapiemaßnahmen, welche in das oxidativ-nitrosative Stressgeschehen im Gehirn eingreifen, stellen einen neuen, bislang aber nicht erprobten Therapieansatz dar, der bereits im Tierexperiment erfolgreich war. So können mit Indomethacin die Ammoniak-induzierte NMDA-Rezeptoraktivierung und somit die oxidativ-nitrosative Stressantwort und RNA-Oxidation im Gehirn verhindert werden. Unter diesen Bedingungen kommt es auch zur deutlichen Abschwächung der Ammoniaktoxizität im Tierexperiment. Es bleibt zu hoffen, dass durch die verbesserten Einblicke in die Pathophysiologie der HE neue Therapieformen entwickelt werden können.

 
  • Literatur

  • 1 Häussinger D, Laubenberger J, vom Dahl S et al. Proton magnetic resonance spectroscopy on human brain myo-inositol in hypoosmolarity and hepatic encephalopathy. Gastroenterology. 1994; 107: 1475-80
  • 2 Häussinger D, Kircheis G, Fischer R et al. Hepatic encephalopathy in chronic liver disease: a clinical manifestation of astrocyte swelling and low-grade cerebral edema. J Hepatol. 2000; 32: 1035-8
  • 3 Häussinger D, Schliess F. Pathogenetic mechanisms of hepatic encephalopathy. Gut. 2008; 57: 1156-5
  • 4 Keitel V, Görg B, Bidmon HJ, Zemtsova I, Spomer L, Zilles K, Häussinger D. The bile acid receptor TGR5 (Gpbar-1) is a neurosteroid receptor in brain. Glia. 2010; in press
  • 5 Görg B, Qvartskhava N, Keitel V et al. Ammonia induces RNA oxidation in cultured astrocytes and brain in vivo . Hepatology. 2008; 48: 567-79
  • 6 Görg B, Qvartskhava N, Bidmon H.J, Palomero-Gallagher N, Kircheis G, Zilles K, Häussinger D. Oxidative stress markers in the brain of cirrhotic patients with hepatic encephalopathy. Hepatology. 2010; 52: 256-65